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Nichts dazu gelernt? Zur Verständlichkeit der Wahlprogramme in Baden-Württemberg

 

Am 27. März wird in Baden-Württemberg gewählt und mittlerweile haben alle Parteien mit einer realistischen Chance auf den Einzug in den neuen Landtag ihre Wahlprogramme vorgelegt. Wie schon bei früheren Wahlen stellen die Parteien hierbei äußerst unterschiedliche Ansprüche an ihre potenzielle Wählerschaft. Dies lässt sich schon allein anhand der unterschiedlichen Programmlängen belegen: Während z.B. die SPD mit 65 Seiten (etwa 20.000 Wörter) das kürzeste Programm vorlegt, präsentieren die Grünen zum wiederholten Mal das mit Abstand längste Programm (241 Seiten bzw. ca. 48.000 Wörter).

Ob die Öko-Partei tatsächlich glaubt, dass sich ihre Wähler vor der Wahl durch dieses Kompendium kämpfen werden, darf bezweifelt werden. Auch die FDP dürfte mit ihrem 136 Seiten umfassenden Werk kaum auf die breite Masse der Wähler hoffen. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass die Parteien die Langfassungen ihrer Programme – auch wenn die Bezeichnung und der Inhalt anderes vermuten lassen – nicht für den „normalen“ Wähler und Politiklaien schreiben. Vielmehr richten sie sich an parteiinterne und -externe Experten, quasi als Leitlinie für die eigenen Mitglieder und als Grundlage für die Berichterstattung der Massenmedien. Das hat zwangsläufig auch Folgen für die Verständlichkeit, wie der gerade wieder veröffentlichte „Wahlprogramm-Check“ der Uni Hohenheim belegt.

Demnach lässt sich die Verständlichkeit des FDP-Wahlprogramms mit der von politikwissenschaftlicher Fachliteratur vergleichen (4,6 von maximal 20 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex). Die anderen Programme schneiden zwar deutlich besser ab, für die breite Masse der Wähler dürfte jedoch – wenn überhaupt – nur das CDU-Programm verständlich sein (Index-Wert: 11,2). Doch auch in diesem finden sich sprachliche Ungetüme wie „Hochwasserrisikomanagementpläne“ oder „Landschaftserhaltungsverbände“. Und nicht nur die schiere Wortlänge lässt bei fast allen Wahlprogrammen zu wünschen übrig: So mancher Wähler dürfte auch mit vergleichsweise kurzen Begriffen wie „novellieren“, „konsekutiv“, „partizipativ“ oder „proporzgerecht“ seine liebe Mühe haben.

Abbildung 1: Länge der Wahlprogramme

Dass es auch anders geht, beweisen die Parteien mit den Kurzfassungen ihrer Programme, allen voran die Grünen, die auch das mit Abstand kürzeste Kurzprogramm vorlegen (ca. 700 Wörter). Offensichtlich ist die verständliche Formulierung der Wahlziele für diese Fassungen der Wahlprogramme reserviert: So erzielen die Grünen hier einen Index-Wert von 16,1 Punkten, was nahe an die Verständlichkeit des politischen Teils der Bild-Zeitung heranreicht. Und auch das am schlechtesten verständliche Kurzprogramm der Linken (11,7 Punkte) ist noch immer verständlicher formuliert als die verständlichste Langfassung der Wahlprogramme.

Abbildung 2: Verständlichkeit der Wahlprogramme

Insgesamt ergibt sich auf diese Weise ein sehr ähnliches Bild wie bei der letzten großen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Mit Ausnahme der CDU legen die Parteien Programme vor, die für den Großteil der Wähler nicht verständlich sein dürften. Nichts dazu gelernt also? Nicht unbedingt: Denn mit Ausnahme der SPD fallen die Kurzprogramme bei allen Parteien deutlich verständlicher aus als in Nordrhein-Westfalen. Anders als die Langfassungen, die ausnahmslos unverständlicher ausfallen. Ein Ergebnis, das möglicherweise für eine gezielte Fokussierung der politischen Verständlichkeitsbemühungen seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen spricht.

P.S.: Eines sollte nicht unerwähnt bleiben: Alle fünf untersuchten Parteien haben neben den Lang- und Kurzfassungen ihrer Programme auch Programme in „leichter Sprache“ vorgelegt, die sich an geistig behinderte Menschen richten und allesamt den Maximalwert von 20 Punkten auf der Hohenheimer Verständlichkeitsskala erreichen. In dieser Hinsicht können die Bemühungen der Parteien also durchaus als vorbildlich bezeichnet werden.