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Eine Bildungsbefragung, die mehr Fragen aufwirft als beantwortet

 

Seit einiger Zeit diskutiert die deutsche Öffentlichkeit über das Bildungssystem. Nun sind Bürger zu Wort gekommen: in einer „großen Bürgerbefragung“ unter dem Titel „Zukunft durch Bildung – Deutschland will’s wissen“, die auf Initiative von Roland Berger Strategy Consultants, der Bertelsmann Stiftung, der BILD-Zeitung und von Hürriyet durchgeführt wurde. Nach den Ergebnissen scheinen die Befragten bereit zu einem Paradigmenwechsel in der Bildung, zugleich trauen die Bürger der Politik mehrheitlich nicht genügend Reformfähigkeit zu. Die Reformvorstellungen der Befragten umfassen unter anderem die Forderung nach mehr Vergleichbarkeit im Bildungswesen. Auch zeigten die Befragten, so die Studie, den Weg zu einem konsequenten Ausbau des Ganztagsschulsystems auf. Zudem seien sie bereit, für ein besseres Bildungssystem mehr Steuern zu zahlen. Nur gut, so denkt man, dass diese Untersuchung große öffentliche Aufmerksamkeit fand. So berichteten diverse Onlinemedien wie etwa Spiegel-Online und Süddeutsche-Online ausführlich darüber. Die Bundesbildungsministerin wurde über die Befunde offenbar vorab informiert, und der Berliner Bildungssenator Zöllner sah sich von den Ergebnissen der Befragung in seiner Politik bestätigt.

Als empirischer Sozialforscher kann man die Lektüre freilich nicht abschließen, ohne einen Blick auf die Erhebungsmethoden geworfen zu haben. Und hier wartet eine Überraschung, ist doch zu lesen: „Die Umfrage ist nicht repräsentativ, da die Befragten nicht zufällig ausgewählt wurden: Alle konnten sich beteiligen. […] Im rund dreiwöchigen Befragungszeitraum vom 14. Februar bis zum 9. März haben sich 480.000 Menschen beteiligt, von denen rund 130.000 den kompletten Fragebogen beantwortet haben. ‚Zukunft durch Bildung – Deutschland will’s wissen‘ ist somit nach der Teilnehmerzahl die größte Umfrage zum Thema Bildung, die es je in Deutschland gab.“ Es konnte also jeder online oder per Post an dieser offenen Befragung teilnehmen, der von dieser Umfrage erfahren sowie gerade Zeit und Lust hatte, einen Fragebogen auszufüllen. Wer aber überhaupt davon erfuhr und daher eine Chance hatte, an der Befragung teilzunehmen, bleibt vollkommen unklar. Waren es die BILD- und Hürriyet-Leser? Welche Personen entschlossen sich zur Teilnahme? Haben sie Freunde und Bekannte zur Teilnahme bewegt? Wie oft haben sie teilgenommen? Und welche Schlussfolgerungen kann man aus einer solchen Befragung ableiten? Welche Bedeutung würde man einer nach diesen Prinzipien gestalteten Befragung auf einer beliebigen Internetseite zumessen?

Die methodischen Probleme dieser Befragung lassen den Leser mit mehreren Fragen zurück: Wie kann eine Befragung mit so zweifelhafter Aussagekraft so große öffentliche Aufmerksamkeit finden? Ist es die Magie der großen Teilnehmerzahl? Sind es die Prominenten von Josef Ackermann und Franz Beckenbauer über Eckhart von Hirschhausen bis hin zu Dieter Zetsche, deren Konterfeis die Ergebniszusammenfassung zieren? Wurden die Befragungsergebnisse ungeachtet ihrer Aussagekraft nach der Devise „der Zwecke heiligt die Mittel“ zitiert, um den eigenen Vorstellungen in der politischen Auseinandersetzung zusätzliche Legitimation zu verschaffen? Fragen, die darauf hindeuten, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für diese Befragung mehr über das Bildungswesen und die Diskussion darüber aussagen könnte als die Ergebnisse der Befragung selbst.