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Nationale Regierungsparteien haben die Europawahl 2009 verloren

Mein französischer Kollege Olivier Rozenberg hat mich vorgestern am Rande einer Konferenz gefragt, warum denn die Ergebnisse der vergangenen Wahl nicht den Erwartungen entsprochen hätten, die wir an eine Nebenwahl richten. Insbesondere hätten einige Regierungen, darunter der französiche Präsident Sarkozy und der italienische Ministerpräsident Berlusconi, dazugewonnen anstatt zu verlieren.

Diese Wahrnehmung geht allerdings auf eine notorisch falsche Darstellung der Europawahlergebnisse in großen Teilen der Presse zurück. Dort werden üblicherweise die Ergebnisse der letzten Europawahl mit denen der Europawahl des Jahres 2004 verglichen, also die Ergebnisse einer „unwichtigen“ Wahl mit denen einer anderen „unwichtigen“ Wahl. In der Theorie der Nebenwahlen heben wir jedoch auf regelmäßige Abweichungen der Europawahlergebnisse von den Ergebnissen nationaler Hauptwahlen ab. Einer dieser regelmäßigen Unterschiede ist es, dass nationale Regierungsparteien in Nebenwahlen verlieren – und zwar relativ zu ihrem vergangenen Hauptwahlergebnis.

Die folgende Grafik konfrontiert das Europawahlergebnis der nationalen Regierungsparteien mit ihrem vorherigen Hautwahlergebnis. Wären diese Ergebnisse alle gleich, fänden sich alle Länder auf der Diagonalen aufgereiht. Hätten die Regierungsparteien in der Europawahl systematisch gewonnen, wären sie oberhalb der Diagonalen abgetragen. Dies ist jedoch nicht so. Die allermeisten Länder sind unterhalb der Diagonalen platziert: nationale Regierungsparteien haben die Europawahl 2009 verloren.

Stimmenanteile der Regierungsparteien in Europa und national

(Klicken, um die Grafik zu vergrößern)

Dies war nur in Polen und Finnland anders. Den Sonderfall Polen geht wohl darauf zurück, dass es dort für viele Bürger nicht so ganz klar ist, wer eigentlich die Regierung führt – Ministerpräsident Tusk oder Präsident Kascinski, die sich zudem gerade in europäischen Fragen im permanenten Clinch befinden. Und in Finnland hat das Zentrum, die regierungsführende Partei, deutlich verloren, während die kleineren Koalitionspartner, die konservative Partei und die Grünen, zulegen konnten. Das gilt tendenziell auch in Italien, wo Berlusconi mit seinem „Volk der Freiheit“ klar verloren hat, während sein kleiner Koalitionspartner „Lega Nord“ dazu gewinnen konnte. Belgien ist ein weiterer Grenzfall, was wohl der dort herrschenden Wahlpflicht und der Tatsache, dass sich die föderale Politik dort im Prozess der Auflösung zu befinden scheint, zuzuschreiben ist.

Die klarsten Verlierer – das hat die Presse richtig erkannt – waren die britischen, die ungarischen und die bulgarischen Sozialisten. Aber das sieht man nun wirklich auch ohne Brille.

 

Wahlen werden in der Mitte gewonnen!

Die SPD hat sich auf ihrem Bundesparteitag vom vergangenen Wochenende „einstimmig“ (wo gibt es das noch?!) beschlossen, den Bundestagswahlkampf 2009 zu einem klaren Richtungswahlkampf zu machen und „schwarz-gelb“ zu konfrontieren mit dem sozialdemokratischen (eigentlich: rot-grünen) sozialen und ökologischen Gewissen: Priorität hat klar die soziale Gerechtigkeit, nicht das Wirtschaftswachstum. Der Kanzlerkandidat der Partei, Frank Walter Steinmeier (FWS), ist dafür gefeiert worden. Allerdings musste der Parteivorsitzende Franz Müntefering dann auf Nachfrage doch erklären, dass man mit der FDP nicht verfeindet sei und diese wenn nötig auch in einer Ampel mitregieren dürfe.

Das Problem ist, dass Wahlen in der Mitte gewonnen werden und nicht an den Rändern. Jede potentielle Regierungs-führende Partei sollte dies wissen, und ihr Spitzenkandidat auch. Nicht nur in der Bundesrepublik ist es so, dass das rechte und das linke politische Lager (von saisonalen Schwankungen einmal abgesehen) tendenziell gleich stark sind, und Regierungs-entscheidende Zugewinne nur in der Mitte zu erzielen sind. Was die SPD angeht, hat dies zuletzt Gerhard Schröder erkannt und 1998 als SPD-Spitzenmann die „Neue Mitte“ für sich reklamiert (und damals gegen Kohl gewonnen). Der erste SPD-Kanzler der Bonner Republik, Willy Brandt, hat auch nicht mit einem trennenden Umverteilungsprojekt gewonnen, sondern mit einem gemeinschafts-stiftenden Projekt namens Wiedervereinigung (das war die neue Ostpolitik) und für die neu-linke sozialdemokratische Seele war auch noch „mehr Demokratie wagen“ dabei.

Man darf sich wundern (in einem Blog mit dem Titel „Wahlen nach Zahlen“ zumal), ob FWS die Normalverteilung vertraut ist. Links-Rechts-Orientierungen der Wähler folgen derselben recht zuverlässig. Die Position der SPD ist knapp links der Mitte, die der CDU knapp und die der CSU nicht ganz so knapp auf der anderen Seite. Links von der SPD gibt es die Grünen und die Linke. Wo kann man da Stimmen gewinnen? In der Mitte!!!