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Ja oder Nein? Das ist hier die Frage – Die Plakate zur S21-Volksabstimmung im Vergleichstest

Am kommenden Sonntag sind die Bürger in Baden-Württemberg dazu aufgerufen, über die Finanzierung des Bahnprojekts „Stuttgart 21“ abzustimmen. Soll das Land seine Finanzierungsanteile zu „Stuttgart 21“ kündigen oder nicht? Ja oder nein? Das ist hier die Frage. Leider ist diese Frage im Stimmzettel zur Volksabstimmung nicht ganz so klar formuliert. Dort steht: „Stimmen Sie der Gesetzesvorlage ‚Gesetz über die Ausübung von Kündigungsrechten bei den vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21‘ (S21-Kündigungsgesetz) zu?“ Ein zentrales Ziel der Plakat-Kampagnen beider Seiten zur Volksabstimmung war und ist es deshalb, den eigenen Anhängern zu erklären, ob sie nun mit „Ja“ oder mit „Nein“ stimmen müssen, um alles richtig zu machen. Nebenbei sollen die Kampagnen natürlich auch das eigene Lager mobilisieren und den ein oder anderen noch immer Unentschiedenen auf die eigene Seite ziehen. Doch: Wie gut können die Plakate diese Ziele umsetzen? Das hat nun eine Studie der Universität Hohenheim untersucht.
Für ihre Studie haben die Hohenheimer Forscher insgesamt 348 Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger aus einem Online Access Panel zu ihren Einstellungen zu Stuttgart 21 und ihrer Bewertung und Erinnerung der Plakate zur Volksabstimmung befragt. Ihre Bewertung von „Stuttgart 21“ und ihre Abstimmungspräferenz mussten die Teilnehmer zweimal angeben: Das erste Mal vor Studienbeginn. Das zweite Mal, nachdem sie die Plakate betrachtet und bewertet hatten. Aufgrund der Art der Stichprobenziehung ist die Untersuchung nicht repräsentativ, absolute Aussagen oder Vorhersagen über Einflüsse der Plakat-Kampagnen in der Gesamtbevölkerung sind deshalb nicht möglich. Allerdings ist dies bei Experimentaluntersuchungen auch nicht das Ziel. Hier geht es um relative Aussagen und den Einfluss bestimmter Merkmale (z.B. Einstellungen zu „Stuttgart 21“) auf das Verhalten der Befragten. Solche relativen Aussagen über das Verhalten von S21-Gegnern, -Befürwortern und Neutralen können durchaus getroffen werden. Denn alle drei Gruppen waren ausreichend und zu etwa gleichen Teilen in der Stichprobe vertreten.
Wie sich anhand der Ergebnisse leicht zeigen lässt, kommt es bei der Bewertung der Plakate – kaum überraschend – zu großen Unterschieden zwischen Befürwortern und Gegnern des Bahnprojekts. Beide Seiten bewerten jeweils „ihre“ Plakate besonders positiv und die Plakate der gegnerischen Seite besonders negativ. Interessanter sind deshalb die Bewertungen der neutralen und unentschiedenen Probanden. Hier zeigte sich ein deutliches Ergebnis: Die drei untersuchten Plakate der bunten Ja-Kampagne des Gegner-Bündnisses „Ja zum Ausstieg“ belegten die ersten drei Plätze. Die roten Nein-Plakate der Befürworter-Initiative „IG Bürger für Baden-Württemberg“ hingegen die letzten drei Plätze. Die Erklärung hierfür dürfte zum einen im aggressiven Slogan der Befürworter-Plakate („Wir sind doch nicht blöd!“), zum anderen in der sehr unterschiedlichen Plakatgestaltung liegen. Trotz oder gerade wegen dieser Störfaktoren wurden die Plakate der „Wir sind doch nicht blöd!“-Kampagne jedoch mit am besten erinnert.
Noch interessanter als diese deskriptiven Befunde der Studie sind jedoch die Ergebnisse zum Einfluss der Plakatbetrachtung auf die Einstellungen der Probanden. Denn hier zeigte sich, dass – anders als vielleicht von Vielen vermutet – durchaus noch ein gewisses Beeinflussungspotenzial vorhanden ist. Trotz des nun schon jahrelang andauernden Bahnhof-Streits und der mittlerweile – auch nach dem Schlichterspruch von Heiner Geißler – eisern verhärteten Fronten. So änderten immerhin 55 der 348 Befragten (15,8 Prozent) ihre Meinung über „Stuttgart 21“ (auf einer 7er-Skala von „sehr positiv“ bis „sehr negativ“). Bei etwa einem Drittel dieser Probanden (18 Personen), fielen diese Änderungen auch recht deutlich aus (mindestens zwei Skalenpunkte). Eine weitere Folge der Plakatbetrachtung: Auch das geplante Abstimmungsverhalten änderte sich bei 23 Befragten (6,7 Prozent). Hierbei kam es nicht nur zu Verschiebungen zwischen dem Lager der ursprünglich noch Unentschiedenen und dem Ja- und Nein-Lager, sondern durchaus auch zu Verschiebungen zwischen dem Ja- und dem Nein-Lager. Angesichts der intensiven Berichterstattung zu „Stuttgart 21“ und dem überdurchschnittlichen politischen Interesse der Befragten liegt es nahe, diese Verschiebungen insbesondere als eine Folge des „Erklär-Effektes“ der Plakate zu interpretieren. Offensichtlich wurde einem beträchtlichen Teil der Befragten erst durch die Plakat-Betrachtung klar, wie sie abstimmen mussten, um ihrer jeweiligen Einstellung zu „Stuttgart 21“ Ausdruck zu verleihen. Offen bleibt allerdings die Frage, bei wie vielen Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg dieser „Erklär-Effekt“ der Kampagnen noch rechtzeitig vor dem 27. November eintritt.

 

Alle an Bord? Ein Blick auf den Frauenanteil in der deutschen Politik

Am 30. Juni wird die neue Bremer Landesregierung vereidigt. Wie bereits in der Vorgängerregierung wird die Hälfte des achtköpfigen Bremer Senats weiblich besetzt sein. Bis 2010 stellte dieser Umstand noch ein Alleinstellungsmerkmal unter den deutschen Bundesländern dar. Dann jedoch kam mit dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen und dem Kabinett von Hannelore Kraft eine weitere Landesregierung mit 50 Prozent weiblicher Beteiligung hinzu. Und seit dem 18. Mai 2011 regiert in Rheinland-Pfalz ein Kabinett, in dem der Frauenanteil trotz männlichem Ministerpräsidenten sogar bei 60 Prozent liegt (jeweils ohne Staatssekretäre). Zudem übernimmt am 10. August 2011 im Saarland die bisherige Arbeits- und Sozialministerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Regierungsführung von Peter Müller. Damit steigt die Zahl der Ministerpräsidentinnen in Deutschland auf drei – so viel wie nie zuvor. Zeit, um einen etwas genaueren Blick auf den aktuellen Frauenanteil in der deutschen Politik zu werfen.

Beginnt man mit einer Betrachtung des deutschen Bundestags und seiner Abgeordneten, so lässt sich feststellen, dass der Frauenanteil hier seit der Bundestagswahl 1998 relativ stabil bei etwa einem Drittel der Bundestagsabgeordneten liegt. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien (vgl. Abbildung 1): So liegt der Frauenanteil bei der CSU bei lediglich 13,6 Prozent, bei den Grünen und der Linken hingegen bei über 50 Prozent. Die FDP belegt mit 25,8 Prozent den vierten Platz hinter der SPD (37,7 Prozent) und knapp vor der CDU (20,2 Prozent). Ein sehr ähnlicher Befund ergibt sich bei einer Betrachtung der durchschnittlichen Frauenanteile in den Fraktionen auf Länderebene (vgl. ebenfalls Abbildung 1). Zu deutlichen Abweichungen zwischen Bundes- und Landesebene kommt es lediglich bei zwei Parteien: So liegt der Frauenanteil bei der CSU im bayerischen Landtag um etwa sieben Prozentpunkte höher als im Bundestag, in den Landtagsfraktionen der Linken hingegen liegt der mittlere Frauenanteil etwa acht Prozentpunkte niedriger als im Bundestag.

Abbildung 1: Frauenanteil Abgeordnete

Betrachtet man in einem zweiten Schritt den Frauenanteil bei den politischen Spitzenämtern in Deutschland, so zeigt sich, dass der Anteil bei den Parteivorsitzenden der Bundestagsparteien deutlich über dem Anteil bei den Fraktionsvorsitzenden im Bundestag liegt: Drei der sieben Parteivorsitzenden sind Frauen (43 Prozent), aber nur eine der sechs Fraktionsvorsitzenden (17 Prozent). Dabei ist jedoch zu beachten, dass sich mit Ausnahme von Angela Merkel, der Parteivorsitzenden der CDU, alle weiblichen Fraktions- und Parteivorsitzenden die Leitungsfunktion mit einem männlichen Co-Vorsitzenden teilen. Unter den insgesamt 15 deutschen Bundesministern finden sich fünf Frauen (33 Prozent). Der Frauenanteil bei den sieben CDU-Ministerien (43 Prozent) liegt hierbei höher als bei den drei CSU-Ministerien (33 Prozent) und den fünf FDP-Ministerien (20 Prozent). Durch Angela Merkel als Bundeskanzlerin ergibt sich im Bundeskabinett insgesamt ein Frauenanteil von 38 Prozent.

Abbildung 2: Frauenanteil Spitzenämter

(Graphik anklicken für größere Darstellung)

Bei einem Blick auf die Besetzung der politischen Spitzenämter auf Länderebene zeigt sich, dass der Frauenanteil eher niedriger ausfällt als im Bundestag (vgl. Abbildung 2). Besonders deutlich zeigt sich dieser Befund bei der SPD: Hier findet sich unter den insgesamt 32 Partei- und Fraktionsvorsitzenden in den Ländern nur eine einzige Frau (Katrin Budde, Partei- und Fraktionsvorsitzende in Sachsen-Anhalt). Ähnlich niedrig fällt der Frauenanteil in den Führungspositionen der FDP aus: 15,4 Prozent bei den Parteivorsitzenden, 7,7 Prozent bei den Fraktionsvorsitzenden und nur 5,6 Prozent bei den Ministerposten. Im Gegensatz dazu stellen Frauen bei den Parteivorsitzenden der Grünen in den Ländern sogar die Mehrheit (60 Prozent), ebenso wie bei den Ministerposten (61,3 Prozent). Auch bei der Linken sind Frauen bei den Ministerposten (45,8 Prozent) und den Fraktionsvorsitzenden (38,5 Prozent) vergleichsweise stark vertreten. Betrachtet man dieselben Daten nach Ländern (vgl. Abbildung 3), so fällt insbesondere auf, dass in zwei Ländern (Mecklenburg-Vorpommern, Saarland) kein einziger Fraktionsvorsitz weiblich besetzt ist.

Abbildung 3: Frauenanteil Parlamente

(Graphik anklicken für größere Darstellung)

Fazit: Eine „gläserne Decke“ zeigt sich bei den politischen Spitzenämtern in Deutschland insbesondere bei der Besetzung von Fraktions- und Parteivorsitz. Besonders deutlich kommt dies – auf Parteienebene – bei SPD und FDP bzw. – auf Länderebene – in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen zum Vorschein. Beim Anteil der weiblichen Abgeordneten hingegen schneiden CDU, CSU und FDP bzw. Baden-Württemberg (18,1 Prozent), Hessen (23,7 Prozent) und Mecklenburg-Vorpommern (22,5 Prozent) besonders schlecht ab. Selbst wenn man den Frauenanteil innerhalb der jeweiligen Parteien als Maßstab heranzieht (und nicht den Frauenanteil an der bundesdeutschen Wählerschaft, fällt das Urteil deshalb eindeutig aus: Von einer angemessenen Repräsentation der Frauen in der deutschen Politik kann nach wie vor nicht gesprochen werden – trotz einer Bundeskanzlerin und dreier Ministerpräsidentinnen.

Quellen:

Gender-Report des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Parlaments- und Wahlstatistik des deutschen Bundestages

Der Bundeswahlleiter

 

Wahlrecht ab 16 – Chance oder Risiko?

„Wir wollen das Wahlalter bei Kommunalwahlen auf 16 Jahre absenken.“ So steht es im vor wenigen Tagen veröffentlichten Koalitionsvertrag von Bündnis-Grünen und SPD in Baden-Württemberg. Die Grünen setzen damit eines ihrer Wahlziele um, wie zuvor schon in sechs anderen Bundesländern.

In Bremen konnte die Ökopartei vor zwei Jahren eine entsprechende Wahlrechtsreform sogar für die Wahl zur Bürgerschaft durchsetzen. Am 22. Mai 2011 dürfen deshalb in Bremen zum ersten Mal auch 16- und 17-Jährige an einer Wahl auf Landesebene teilnehmen. Eine Senkung des Wahlalters auf Bundesebene, die ebenfalls von den Grünen beantragt worden war, scheiterte dageben schon zweimal an der Mehrheit des Bundestages, zuletzt am 2. Juli 2009.

Wie lässt sich dieses Scheitern erklären? Ein wichtiges Argument der Skeptiker lautet: Die Senkung des Wahlalters könne leicht zu einer Stärkung extremer Parteien führen, da Jugendliche möglicherweise anfälliger für links- und rechtsextremes Gedankengut seien. Insbesondere auf Bundesebene könne eine entsprechende Wahlrechtsänderung also fatale Konsequenzen haben.

Dem gegenüber stehen die Vorzüge eines niedrigeren Wahlalters, die auch im baden-württembergischen Koalitionsvertrag angeführt werden: „Kinder- und Jugendpolitik darf nicht nur Politik für junge Menschen sein, sie muss stets Politik mit jungen Menschen sein. […] Kinder und Jugendliche sollen grundsätzlich bei allen sie betreffenden Fragen politisch beteiligt werden.“

Betrachtet man die Datenlage auf kommunaler Ebene, wird deutlich, dass gesicherte Aussagen über das Wahlverhalten der 16- und 17-Jährigen nur schwer möglich sind . Das liegt daran, dass ihr Anteil an der Gesamtwählerschaft relativ gering ist. In vielen Wahlgebieten ist deshalb die Datenbasis für verlässliche Aussagen zu klein für , auch weil statistische Erfassungen des Wählerverhaltens aus datenschutzrechtlichen Gründen in der Vergangenheit immer stärker eingeschränkt wurden.

Die vorhandenen Daten sprechen jedoch eher gegen die Befürchtung, dass Jungwähler bei Kommunalwahlen überproportional häufig zur Wahl extremer Parteien neigen oder dass nur eine kleine Anzahl Jugendlicher mit extremen politischen Ansichten zur Wahl gehen würde. Im Gegenteil: Die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen lag zwar meistens etwas unterhalb der Wahlbeteiligung in der gesamten wahlberechtigten Bevölkerung, aber teilweise höher als die Wahlbeteiligung bei den volljährigen Erstwählern.

Ein aufschlussreiches Beispiel für ein Wahlrecht ab 16 auf Bundesebene bietet Österreich. Hier durften bei den Nationalratswahlen 2008 zum ersten Mal auch Wähler ab 16 Jahren an der Wahl teilnehmen. Betrachtet man deren Wahlverhalten, so lässt sich laut einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Sora feststellen: Je jünger die WählerInnen waren, desto eher wählten sie eine der beiden rechtspopulistischen Parteien FPÖ und BZÖ. Demnach gaben insgesamt 31 Prozent der 16-Jährigen an, BZÖ oder FPÖ gewählt zu haben, jedoch nur 18 Prozent der 18-Jährigen. Der tatsächliche Anteil von jugendlichen Rechtswählern lag zudem möglicherweise noch deutlich höher, da etwa ein Viertel der Jungwähler die Antwort verweigerte. Gleichzeitig rangierten aber die von den Rechtsparteien stark propagierten Themen wie strengere Einwanderungsbestimmungen oder die Integration von Ausländern auf der Prioritätenliste der Jugendlichen ganz unten.

Abbildung 1: Wahlverhalten von Jungwählern bei der Nationalratswahl in Österreich 2008 (Quelle: SORA – Institute for Social Research and Analysis)

Eine mögliche Erklärung für dieses Wahlverhalten findet sich in einer Studie der Universität Hohenheim zum Wahlrecht ab 16: Wie deren Befunde zeigen, bestanden zwischen den Probanden im Alter von 16 bis 17 Jahren und den Teilnehmern im Alter von 18 bis 20 Jahren systematische Unterschiede beim Wissen über und dem Verständnis von Politik. Bei der subjektiven Einschätzung des Verständnisses hingegen ergaben sich keine signifikanten Unterschiede. Die minderjährigen Jugendlichen waren sich ihrer Wissens- und Verständnisdefizite also nicht bewusst. Dass deshalb ähnliche Folgen einer Wahlrechtsreform wie in Österreich durchaus auch in Deutschland möglich wären, zeigt z.B. das Ergebnis der sog. U18-Jugendwahl in Baden-Württemberg, die kurz vor der Landtagswahl am 27. März 2011 durchgeführt wurde und an der sich über 30.000 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren beteiligten. Hier erhielt die NPD eine Zustimmung von 3,9 Prozent und damit einen etwa vier Mal so hohen Stimmenanteil wie bei der eigentlichen Landtagswahl (1,0 Prozent).

Abbildung 2: Wahlergebnis der U18-Jugendwahl und der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2011 (Quellen: Statistisches Landesamt, www.jugendwahl-bw.de)

Fazit: Um Risiken und Chancen eines Wahlrechts ab 16 Jahren gesichert einschätzen zu können, sind weitere und umfangreichere Datenerhebungen dringend nötig. Die bislang vorhandenen Daten weisen jedoch darauf hin, dass für Gemeinde-, Landes- und Bundesebene durchaus unterschiedliche Beurteilungen und Maßnahmen sinnvoll sein könnten. Demnach wurde in Österreich möglicherweise der zweite vor dem ersten Schritt getan, wie nach der Wahl auch der Vorsitzende der SPÖ-Fraktion im Nationalrat, Walter Steidl, feststellte: „Normalerweise wäre der erste Schritt nämlich die Vorbereitung der jungen Menschen auf diese Situation. Und das hat man etwas verschlafen.“

Weitere Quellen zum Thema:
Mößner, Alexandra (2006): Jung und ungebunden? Parteiidentifikation von jungen Erwachsenen. In: Roller, Edeltraud / Brettschneider, Frank / van Deth, Jan W. (Hrsg.): Jugend und Politik: „Voll normal!“. Wiesbaden: VS Verlag, S. 337-359.
Schoen, Harald (2006): Junge Wilde und alte Milde? Jugend und Wahlentscheidung in Deutschland. In: Roller, Edeltraud / Brettschneider, Frank / van Deth, Jan W. (Hrsg.): Jugend und Politik: „Voll normal!“. Wiesbaden: VS Verlag, S. 379-406.

 

Ein Plakat sagt mehr als 1000 Worte? Wahlplakate 2011

Wenn am kommenden Sonntag feststeht, wer zu den Verlierern der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gehört, dann wird mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder eine beliebte Erklärung hierfür zu hören sein: „Wir konnten den Wählern unsere Konzepte nicht gut genug vermitteln.“ Zwar steckt hinter dieser These zumeist der durchschaubare Versuch, die Verantwortlichkeit für die Wahlniederlage auf die (begriffsstutzigen) Wähler zu verschieben. Doch: Das bedeutet im Umkehrschluss nicht zwangsläufig, dass Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Parteien und Wählern als Erklärung für das Wahlergebnis ausscheiden.

Betrachtet man die Kommunikation zwischen Parteien und Wählern im Vorfeld einer Wahl, so dominiert nach wie vor ein sehr traditioneller Kommunikationskanal: das Wahlplakat. Denn Wahlplakate sind noch immer die einzige Möglichkeit für die Parteien, mit ihren Botschaften fast die gesamte Wählerschaft zu erreichen. Alle anderen Werbemittel wie Fernseh- und Radiospots, Anzeigen, Flugblätter, Wahlkampfstände, Kundgebungen oder Webseiten werden jeweils nur von einem deutlich kleineren Teil der Wahlbevölkerung wahrgenommen bzw. genutzt (vgl. z.B. Schmitt-Beck/Wolsing 2010). Nicht ohne Grund wird den Wahlplakaten von den Wahlkampfmanagern also nach wie vor eine enorme Bedeutung zugemessen; was sich auch an der Tatsache ablesen lässt, dass etwa ein Drittel des Wahlkampfbudgets der Parteien auf den Plakat-Wahlkampf entfällt (vgl. z.B. Müller 2002, Lessinger/Holtz-Bacha 2010).

Doch zurück zu den aktuellen Landtagswahlkämpfen: Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim zu den Plakat-Kampagnen in Baden-Württemberg lässt darauf schließen, dass es den Parteien tatsächlich vielfach nicht gelingt, ihre Botschaften erfolgreich zu vermitteln – zumindest, was die Plakat-Werbung betrifft. So zeigte sich etwa, dass bei einem Multiple-Choice-Test nur ein Drittel der über 400 für die Studie befragten Testpersonen in der Lage war, einem Plakat der FDP zur Haushaltspolitik die korrekte Aussage zuzuordnen. Ein Plakat der SPD zur Integrationspolitik schnitt nicht viel besser ab, hier konnte knapp die Hälfte der Befragten die Aussage des Plakats richtig deuten. Auch die Grünen überforderten immerhin noch etwa 30 Prozent der Befragten mit ihrem Plakat „Die neue Ellenbogen-Gesellschaft“.

Am verständlichsten bewerteten die Befragten hingegen ein Plakat der Linkspartei mit dem Slogan „Aktiv gegen Kinderarmut und Hartz IV!“. Ähnlich gut schnitt ein CDU-Plakat zur Bildungspolitik („Viele Chancen auf gute Bildung“) und ein SPD-Plakat zum Thema Arbeit („Wir brauchen Arbeit, von der man gut leben kann.“) ab. Diese beiden Plakate wurden zugleich auch als besonders glaubwürdig wahrgenommen.

Betrachtet man die Plakat-Kampagnen der Parteien in Baden-Württemberg im Vergleich, so lässt sich in der Tat feststellen, dass insbesondere die SPD mit Fug und Recht behaupten könnte, ihre Konzepte den Wählern nicht gut genug vermittelt zu haben. Denn ihr Plakat-Design arbeitet großenteils mit Fragen, die sich keineswegs selbst beantworten, versteckt die Antworten darauf aber trotzdem im kaum lesbaren „Kleingedruckten“ der Plakate. Auch die äußerst kleinteiligen Foto-Motive können dabei leider kaum zur Aufklärung beitragen. Dass die SPD das besser kann, hat sie in zahlreichen früheren Wahlkämpfen bewiesen. Und nicht nur das: Auch ein Blick in die aktuelle Plakat-Kampagne der SPD in Rheinland-Pfalz genügt, um zu zeigen, wie verständliche Wahlplakate aussehen.

Quellen:

Lessinger, Eva-Maria / Holtz-Bacha, Christina (2010): “Wir haben mehr zu bieten”: Die Plakatkampagnen zu Europa- und Bundestagswahl. In: Holtz-Bacha, Christina (Hrsg.) (2010): Die Massenmedien im Wahlkampf: Das Wahljahr 2009. Wiesbaden: VS Verlag, S. 67-116.
Müller, Marion G. (2002): Parteienwerbung im Bundestagswahlkampf 2002. In: MediaPerspektiven 12/2002, S. 629-638.
Schmitt-Beck, Rüdiger / Wolsing, Ansgar (2010): Der Wähler begegnet den Parteien. Direkte Kontakte mit der Kampagnenkommunikation der Parteien und ihr Einfluss auf das Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 2009. In: Korte, Karl-Rudolf (Hrsg.): Die Bundestagswahl 2009: Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 48-68.

 

Nichts dazu gelernt? Zur Verständlichkeit der Wahlprogramme in Baden-Württemberg

Am 27. März wird in Baden-Württemberg gewählt und mittlerweile haben alle Parteien mit einer realistischen Chance auf den Einzug in den neuen Landtag ihre Wahlprogramme vorgelegt. Wie schon bei früheren Wahlen stellen die Parteien hierbei äußerst unterschiedliche Ansprüche an ihre potenzielle Wählerschaft. Dies lässt sich schon allein anhand der unterschiedlichen Programmlängen belegen: Während z.B. die SPD mit 65 Seiten (etwa 20.000 Wörter) das kürzeste Programm vorlegt, präsentieren die Grünen zum wiederholten Mal das mit Abstand längste Programm (241 Seiten bzw. ca. 48.000 Wörter).

Ob die Öko-Partei tatsächlich glaubt, dass sich ihre Wähler vor der Wahl durch dieses Kompendium kämpfen werden, darf bezweifelt werden. Auch die FDP dürfte mit ihrem 136 Seiten umfassenden Werk kaum auf die breite Masse der Wähler hoffen. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass die Parteien die Langfassungen ihrer Programme – auch wenn die Bezeichnung und der Inhalt anderes vermuten lassen – nicht für den „normalen“ Wähler und Politiklaien schreiben. Vielmehr richten sie sich an parteiinterne und -externe Experten, quasi als Leitlinie für die eigenen Mitglieder und als Grundlage für die Berichterstattung der Massenmedien. Das hat zwangsläufig auch Folgen für die Verständlichkeit, wie der gerade wieder veröffentlichte „Wahlprogramm-Check“ der Uni Hohenheim belegt.

Demnach lässt sich die Verständlichkeit des FDP-Wahlprogramms mit der von politikwissenschaftlicher Fachliteratur vergleichen (4,6 von maximal 20 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex). Die anderen Programme schneiden zwar deutlich besser ab, für die breite Masse der Wähler dürfte jedoch – wenn überhaupt – nur das CDU-Programm verständlich sein (Index-Wert: 11,2). Doch auch in diesem finden sich sprachliche Ungetüme wie „Hochwasserrisikomanagementpläne“ oder „Landschaftserhaltungsverbände“. Und nicht nur die schiere Wortlänge lässt bei fast allen Wahlprogrammen zu wünschen übrig: So mancher Wähler dürfte auch mit vergleichsweise kurzen Begriffen wie „novellieren“, „konsekutiv“, „partizipativ“ oder „proporzgerecht“ seine liebe Mühe haben.

Abbildung 1: Länge der Wahlprogramme

Dass es auch anders geht, beweisen die Parteien mit den Kurzfassungen ihrer Programme, allen voran die Grünen, die auch das mit Abstand kürzeste Kurzprogramm vorlegen (ca. 700 Wörter). Offensichtlich ist die verständliche Formulierung der Wahlziele für diese Fassungen der Wahlprogramme reserviert: So erzielen die Grünen hier einen Index-Wert von 16,1 Punkten, was nahe an die Verständlichkeit des politischen Teils der Bild-Zeitung heranreicht. Und auch das am schlechtesten verständliche Kurzprogramm der Linken (11,7 Punkte) ist noch immer verständlicher formuliert als die verständlichste Langfassung der Wahlprogramme.

Abbildung 2: Verständlichkeit der Wahlprogramme

Insgesamt ergibt sich auf diese Weise ein sehr ähnliches Bild wie bei der letzten großen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen: Mit Ausnahme der CDU legen die Parteien Programme vor, die für den Großteil der Wähler nicht verständlich sein dürften. Nichts dazu gelernt also? Nicht unbedingt: Denn mit Ausnahme der SPD fallen die Kurzprogramme bei allen Parteien deutlich verständlicher aus als in Nordrhein-Westfalen. Anders als die Langfassungen, die ausnahmslos unverständlicher ausfallen. Ein Ergebnis, das möglicherweise für eine gezielte Fokussierung der politischen Verständlichkeitsbemühungen seit der Wahl in Nordrhein-Westfalen spricht.

P.S.: Eines sollte nicht unerwähnt bleiben: Alle fünf untersuchten Parteien haben neben den Lang- und Kurzfassungen ihrer Programme auch Programme in „leichter Sprache“ vorgelegt, die sich an geistig behinderte Menschen richten und allesamt den Maximalwert von 20 Punkten auf der Hohenheimer Verständlichkeitsskala erreichen. In dieser Hinsicht können die Bemühungen der Parteien also durchaus als vorbildlich bezeichnet werden.

 

All the news that’s fit to print? Die Verständlichkeit der Berichterstattung zur Bundestagswahl 2009 in ausgewählten Print- und Online-Medien

Die Verständlichkeit der politischen Medienberichterstattung ist eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren und die Legitimität moderner Demokratien. Dieser Zusammenhang wurde von Toni Amstad im Rahmen seiner Verständlichkeitsanalyse von Schweizer Tageszeitungen bereits Ende der 1970er Jahre treffend auf den Punkt gebracht: „Was nützt Entscheidungsfreiheit, wenn über Dinge entschieden werden soll, über die ein erheblicher Teil der Bürger nicht in verständlicher Weise – und damit nur schlecht oder überhaupt nicht – informiert ist?“

Das Problem stellt sich dabei als umso relevanter dar, je wichtiger die betreffende Berichterstattung für die Wahlentscheidung der Bürger ist. Eine Studie der Universität Hohenheim hat deshalb nun die Verständlichkeit der Berichterstattung von drei wichtigen Meinungsführermedien (BILD, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung) in den vier Wochen vor der letzten Bundestagswahl analysiert. Hierbei wurden nicht nur die Print-, sondern auch die jeweiligen Online-Ausgaben der drei Medien untersucht.

Betrachtet man die Ergebnisse der Hohenheimer Studie, so lässt sich zunächst feststellen, dass die BILD-Zeitung erwartungsgemäß verständlicher abschneidet als die beiden anderen Medien. So erreichen die BILD-Artikel auf einer Skala von 0 (kaum verständlich) bis 100 (sehr verständlich) im Durchschnitt einen Wert von 61 Punkten, die übrigen Artikel hingegen einen Wert von 54 (Spiegel) bzw. 53 (Süddeutsche). Auch die hiermit verbundenen Bildungsvoraussetzungen wurden von den Hohenheimer Forschern prognostiziert: Demnach dürfte etwa ein Viertel der Artikel aus Spiegel und Süddeutscher Zeitung für Hauptschul-Absolventen eine Überforderung darstellen, bei der BILD-Zeitung hingegen nur fünf Prozent der Artikel.

Ähnliche Befunde ergeben sich für die Online-Portale der drei Medien. Auch hier schneidet die bild.de (57 Punkte) verständlicher ab als spiegel.de (51) und sueddeutsche.de (53). Entgegen den ursprünglichen Erwartungen der Forscher fiel die Verständlichkeit von zwei der drei Online-Portale damit jedoch geringer aus als die ihrer jeweiligen Print-Varianten. So lag selbst bei bild.de der Anteil an Artikeln, für deren Verständnis die Hohenheimer Forscher eine Mittlere Reife als Mindestvoraussetzung ansehen, bei 12 Prozent, bei spiegel.de sogar bei einem Drittel.

Einen wichtigen Grund für die teilweise geringe Verständlichkeit der untersuchten Artikel sehen die Forscher in unnötig komplexen Satzstrukturen. So lag die mittlere Satzlänge bei Spiegel und Süddeutscher Zeitung bei etwa 15 Wörtern pro Satz. Die Empfehlung der dpa für eine optimale Verständlichkeit liegt jedoch bei nur neun Wörtern pro Satz. Es lässt sich zudem nachweisen, dass Leser in einer Verarbeitungseinheit maximal neun Wörter aufnehmen können. Sätze, die diese Länge überschreiten, müssen demnach zwischengespeichert werden und führen so zu einer höheren kognitiven Belastung, insbesondere bei komplexen Themen wie Politik.

„All the news that’s fit to print”? Überträgt man das Leitmotiv der New York Times auf die hier betrachteten deutschen Medien, so lässt sich festhalten: Für einen nicht unbedeutenden Teil der deutschen Wahlbevölkerung dürfte die Berichterstatttung zur Bundestagswahl teilweise überwindbare Verständlichkeitshürden enthalten haben. Dass sich dieser Befund nicht nur auf Spiegel und Süddeutsche Zeitung beschränkt, sondern in abgeschwächter Form auch für die BILD-Zeitung gilt, sollte deren Machern zu denken geben.

Weiterführende Links

PolitMonitor: http://www.polit-monitor.de

Homepage des Hohenheimer Fachgebiets: http://komm.uni-hohenheim.de

 

Nach der Wahl ist vor der Wahl? Die Parteien-Kommunikation vor und nach der Bundestagswahl 2009

Moderne Wahlkämpfe finden unter Vielkanalbedingungen statt. Im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen hat insbesondere die Verbreitung des Internets zu einer Vervielfachung der Kommunikationskanäle zwischen Parteien und Wählern beigetragen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern sich die Qualität und die Inhalte heutiger Parteien-Kommunikation in der Wahlkampfphase verändern. Können die Anforderungen eines professionellen Themenmanagements von den Parteien angesichts des enormen Aufwands einer Wahlkampfkommunikation unter Vielkanalbedingungen erfüllt werden? Oder allgemeiner: Wie beeinflusst der Wahlkampf die Themensetzung und die Qualität der Parteienkommunikation?

Dieser Frage sind Wahlkampfforscher der Universität Hohenheim nun erstmals nachgegangen. Hierfür wurden alle Pressemitteilungen und Homepage-News der sechs Bundestagsparteien von Juni 2009 bis März 2010 einer Themen- und Lesbarkeitsanalyse unterzogen. Für den Vergleich zwischen Wahlkampfphase und „Normalphase“ wurde hierbei jedoch die zweimonatige „Übergangsphase“ nach dem Wahltermin (in die Regierungsbildung, Koalitionsvertrag und die Aufnahme der Regierungsgeschäfte fielen) ausgeklammert, um kommunikative Nachwirkungen des Wahlkampfs in der Nachwahlzeit möglichst gut ausklammern zu können.

Die Ergebnisse der Hohenheimer Forscher sprechen dafür, dass die Parteien im Bundestagswahlkampf 2009 gegen zentrale Regeln des Themenmanagements im Wahlkampf verstießen. So zeigte sich zunächst, dass bei keiner der untersuchten Parteien eine verstärkte Konzentration und Fokussierung auf wenige Kernthemen zu beobachten war. Im Gegenteil: Betrachtet man die Kommunikation über inhaltliche Themen (und klammert den beträchtlichen Anteil der Wahlkampfkommunikation zum Thema „Wahlkampf“ selbst aus), so verteilt sich die Parteienkommunikation im Wahlkampf bei allen Parteien ausgewogener über die unterschiedlichen Themenkategorien als in der Vergleichsphase nach der Bundestagswahl. Und auch unter Einbeziehung des Themas „Wahlkampf“ in die Analyse kommt es bei keiner Partei zu einer stärkeren Themenfokussierung vor der Wahl (der Fokussierungsgrad vor und nach der Wahl fällt dann sehr ähnlich aus).

Auch die Verständlichkeit der Parteienkommunikation ist im Wahlkampf nicht höher als sonst. Lediglich bei der SPD zeigten sich in der Wahlkampfphase etwas höhere Ausprägungen der Werte des sog. Hohenheimer Verständlichkeitsindexes, der auf der Grundlage der durchgeführten Lesbarkeitsanalyse berechnet wurde. Bei allen anderen Parteien wurden die jeweils dominanten Themen im Wahlkampf ähnlich verständlich oder sogar unverständlicher dargestellt als nach der Wahl. Auch bei ihren „Kernkompetenz-Themen“ schneiden nicht alle Parteien verständlicher ab als die Konkurrenz. So belegen die beiden Unionsparteien die letzten beiden Plätze beim Thema Wirtschaftspolitik, die SPD den vorletzten Platz beim Thema Sozialpolitik. Lediglich der Linkspartei bzw. der FDP gelingt es beim Thema Sozialpolitik bzw. Wirtschaftspolitik den Spitzenplatz im Ranking des Hohenheimer Verständlichkeitsindexes zu ergattern.

Nur in einem Punkt wurden die ursprünglichen Erwartungen der Hohenheimer Forscher bestätigt: Mit Ausnahme der CDU kommunizieren alle Parteien im Wahlkampf häufiger als sonst über eines ihrer Kernkompetenz-Themen. Besonders deutlich zeigte sich dieser Effekt bei der CSU (Wirtschaftspolitik) und der SPD (Bildungspolitik), schwächer auch bei FDP (Steuerpolitik), Grünen (Umweltpolitik) und Linken (Sozialpolitik). Gewisse Richtlinien des Themenmanagements scheinen den Parteien also durchaus bekannt zu sein. Sie täten jedoch gut daran, bis zur nächsten Bundestagswahl auch die übrigen Regeln zu lernen.

P.S.: Die Daten zur Hohenheimer Studie stammen alle aus dem öffentlich zugänglichen Langzeit-Projekt „PolitMonitor“ , das die Parteienkommunikation auf monatlicher Basis erhebt und auf Themen, Verständlichkeit und Vokabular analysiert.

 

Kann man die Verständlichkeit von Politikern objektiv messen?

Die Verständlichkeit deutscher Spitzenpolitiker ist nicht erst seit den berühmten sprachlichen Entgleisungen des einstigen bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber Anlass für öffentliche und wissenschaftliche Kritik. So berechtigt diese Kritik auf den ersten Blick erscheint: Die Ergebnisse der Verstehens- und Verständlichkeitsforschung belegen, dass die Verständlichkeit von geschriebenen oder gesprochenen Texten stark von den individuellen Verständnisvoraussetzungen des jeweiligen Lesers bzw. Zuhörers bestimmt werden (z.B. Bildung, Vorwissen).
Ansätze für eine Überwindung dieser Problematik bieten die Messinstrumente der Lesbarkeitsforschung, die ursprünglich entwickelt wurden, um die Lesbarkeit von Schulbüchern ökonomisch erfassbar zu machen. Hierfür wurden sogenannte „Lesbarkeitsformeln“ entwickelt, die auf objektiv messbaren Textmerkmalen basieren, für die zudem eine leserübergreifende Relevanz für die Lesbarkeit eines Textes nachgewiesen werden konnte. Hierzu zählen insbesondere die durchschnittliche Wortschwierigkeit und Satzkomplexität.
Die bekannteste und am häufigsten verwendete Lesbarkeitsformel ist der Reading Ease Index von Rudolf Flesch (häufig auch als „Flesch-Formel“ bezeichnet). Sie basiert auf der durchschnittlichen Satzlänge in Wörtern und der durchschnittlichen Wortlänge in Silben und ermittelt Werte von 0 (kaum verständlich) bis 100 (sehr leicht verständlich). Für die englische Sprache wurden seit Ende der 1920er Jahre mehrere hundert solcher Formeln entwickelt, die ab Ende der 1960er Jahre auch als Grundlage für die Entwicklung deutscher Formeln dienten.
Damit zurück zur eigentlichen Fragestellung: Kann man die Verständlichkeit von Politikern anhand dieser Formeln objektiv messen? Eine aktuelle Untersuchung der Universität Hohenheim hat nun erstmals anhand einer experimentellen Untersuchung überprüft, ob Lesbarkeitsformeln dazu geeignet sind, die Verständlichkeitsbewertungen und Verständnistestergebnisse von unterschiedlichen Rezipientengruppen für Politikerreden vorherzusagen. Als Untersuchungsobjekte dienten hierbei Video-Podcasts von Angela Merkel sowie eine Weihnachtsansprache von Horst Köhler.
Das Fazit der Untersuchung: „Zusammenfassend ergeben sich […] eine ganze Reihe von Indizien, die dafür sprechen, dass objektiv messbare Textmerkmale, wie sie von den Formeln erfasst werden, tatsächlich für eine Messung der Politikerverständlichkeit geeignet sind. […] Dass alle Stimuli im Rahmen der vorliegenden Untersuchungen audiovisuell rezipiert wurden, bestätigt die wenigen bislang vorhandenen Belege für solch eine Übertragbarkeit der Prognoseinstrumente der Lesbarkeitsforschung“ (Kercher 2010: 115).
Wie kann man diese beachtliche Prognosekraft eines schlichten Instruments wie der Lesbarkeitsformeln angesichts der Komplexität des Phänomens Verständlichkeit erklären? Aus früheren Untersuchungen lässt sich ableiten, dass die Formeln aufgrund der vielen Interaktionen und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Textmerkmalen indirekt wesentlich mehr messen, als in den Formeln direkt enthalten ist: „Dies dürfte das eigentliche Geheimnis für den Erfolg der Lesbarkeitsformeln sein“ (Best 2006: 28).

Quellenverweise:

  1. Best, Karl-Heinz (2006): Sind Wort- und Satzlänge brauchbare Kriterien zur Bestimmung der Lesbarkeit von Texten?. In: Wichter, Sigurd / Busch, Albert (Hrsg.): Wissenstransfer – Erfolgskontrolle und Rückmeldungen aus der Praxis. Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 21-31.
  2. Kercher, Jan (2010): Zur Messung der Verständlichkeit deutscher Spitzenpolitiker anhand quantitativer Textmerkmale. In: Faas, Thorsten / Arzheimer, Kai / Roßteutscher, Sigrid (Hrsg.): Information – Wahrnehmung – Emotion: Politische Psychologie in der Wahl- und Einstellungsforschung. Wiesbaden: VS Verlag, S. 97-121.
 

Wolkige Ansichten – Das Vokabular der Wahlprogramme in NRW

„Die Parteien haben den Bezug zu den Menschen da draußen verloren.“ Solche oder ähnliche Zitate liest man immer wieder. Allerdings nicht in den Wahlprogrammen der Parteien in NRW. Denn: Allen fünf Parteien, die sich in Nordrhein-Westfalen Hoffnung auf den Einzug in den Landtag machen können, liegen die „Menschen“ – gleich nach „NRW“ – besonders am Herzen. Zumindest, wenn man die Häufigkeit der darin verwendeten Begriffe als Maßstab heranzieht. Das ist eines der wichtigsten Ergebnisse aus der Wortwolken-Analyse im „Wahlprogramm-Check“ der Universität Hohenheim und des CommunicationLabs Ulm.

Besonders wichtig sind die „Menschen“ allerdings den beiden roten Parteien Linke und SPD. Es gibt also – trotz aller gegenteiligen Beteuerungen – durchaus gewisse Übereinstimmungen, auf denen man bei Koalitionsverhandlungen aufbauen könnte. Und da man für solch eine Koalition auch die Grünen mit ins Boot holen müsste, dürfte es die Beteiligten freuen, dass sich mit der Betonung der Bedeutung der „Kommunen“ auch zwischen Linken und Grünen eine wichtige Gemeinsamkeit zeigt.

Die gibt es allerdings auch zwischen Grünen und Schwarzen: Beide fordern in ihren Wahlprogrammen konsequenter als alle anderen Parteien „mehr“. Selbst bei FDP und Linkspartei sind Übereinstimmungen feststellbar: Beide Parteien haben eine Vorliebe für die Nennung des eigenen Parteinamens in ihren Programmen. Die drei anderen Parteien, insbesondere CDU und SPD, sind da im Vergleich deutlich zurückhaltender.

Also doch eher Schwarz-Grün oder sogar Schwarz-Gelb-Tiefrot? Wohl kaum, zumindest, wenn man das Vokabular der Wahlprogramme als Prognoseinstrument heranzieht. Denn insgesamt überwiegen trotz allem die begrifflichen Gemeinsamkeiten bei den drei Oppositionsparteien. So ist man sich hier ebenfalls einig, dass nach der Wahl viele wichtige Dinge angepackt werden „müssen“. Der 9. Mai wird zeigen, ob man dies in einer gemeinsamen Regierungskoalition tun können wird.

CDU
SPD
Grüne
FDP
Linke
 

Lang, kurz, einfach, übersetzt oder vorgelesen – Wie hätten Sie Ihr Wahlprogramm gerne?

Wenn am 9. Mai um 18 Uhr die Wahllokale in NRW schließen und die ersten Hochrechnungen eintrudeln, dann wird es auch wieder darum gehen, ob die Parteien die Wähler mit ihren programmatischen Angeboten überzeugen konnten oder nicht. Eine beliebte Erklärung für schlechte Wahlergebnisse lautet dann immer: „Wir konnten unsere Positionen offensichtlich nicht gut genug kommunizieren.“ Will heißen: An sich haben wir alles richtig gemacht, die Wähler haben es nur einfach nicht verstanden.

Doch wen trifft eigentlich die Schuld für diese immer wieder gerne angeführten „Kommunikationsprobleme“? Die Wähler? Oder nicht eher die Parteien selbst, die ja schließlich selbst bestimmen können, wie viel Aufwand sie in die Vermittlung ihrer programmatischen Ziele stecken? Diese Frage lässt sich nur dann beantworten, wenn man den Aufwand untersucht, den die Parteien in die Vermittlung ihrer politischen Ziele und Pläne stecken. Betrachtet man die Ergebnisse des „Wahlprogramm-Checks“ der Universität Hohenheim und des Ulmer CommunicationLabs zur NRW-Wahl, dann lässt sich eines sehr schnell feststellen: Es gibt dramatische Unterschiede zwischen den Parteien, was den Aufwand an programmatischen Vermittlungsbemühungen angeht.

Einsames Schlusslicht ist die CDU: Hier müssen sich potenzielle Wähler mit der Originalfassung des Wahlprogramms begnügen. Am anderen Ende der Skala rangieren die Grünen. Diese nehmen auf die Interessen und sonstigen Voraussetzungen der potenziellen Wähler deutlich mehr Rücksicht: Es gibt die 228 Seiten lange Originalfassung des Wahlprogramms für Politik-Freaks, die Kurzfassung für den normal interessierten Wähler, das Programm in Stichpunkten für den gerade noch irgendwie an Politik interessierten Bürger, Übersetzungen für russische und türkische Wähler, das Programm in leichter Sprache für Wähler mit geistiger Behinderung und das Programm als Audio-Datei für Wähler mit Sehbehinderung. Die anderen drei Parteien rangieren zwischen diesen beiden Extremen, wobei auffällt, dass nur die drei Oppositionsparteien Programme in leichter Sprache anbieten.

Der Trend zur Versionierung der Wahlprogramme mit dem Ziel der Ansprache unterschiedlichster Wählergruppen ist seit einigen Jahren erkennbar. Interessanterweise folgen die Parteien diesem Trend jedoch von Wahl zu Wahl unterschiedlich stark. So waren die Grünen bei der Bundestagswahl mit Kurzfassung, Stichpunktfassung und Version in leichter Sprache das Schlusslicht unter den fünf Bundestagsparteien. Denn die beiden großen Parteien (SPD, CDU/CSU) offerierten ihre Programme beide zusätzlich auch noch als YouTube-Videos in Gebärdensprache sowie als Hörbuch zum Herunterladen. Die CDU stellte darüber hinaus sogar eine kostenlose Papierversion in Braille-Schrift für Blinde zur Verfügung, die FDP hingegen gab sich besonders international mit Übersetzungen in insgesamt acht Sprachen.

Was sagen uns diese Ergebnisse? Ob man die Gründe für die Vermittlungsproblematik eher auf der Seite der Wähler oder eher auf der Seite der Parteien suchen sollte, kommt stark auf den jeweiligen Wahlkampf und das Wahlprogramm-Angebot der jeweiligen Parteien an. Zumindest die CDU sollte sich im Falle einer Wahlniederlage am 9. Mai also lieber an die eigene Nase fassen, als – wie so oft – die Schuld bei den unverständigen Bürgern zu suchen.