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Die CDU schrumpft

Münte tätschelt Martin Schulz. Totenstille im Willy-Brandt-Haus. Die Genossen sind die gefühlten Verlierer des Superwahlsonntags von gestern. Zwölf Prozent in Bayern, elf in Sachsen, 18 in Baden-Württemberg – das sind Werte, bei der es schwer fällt, weiterhin von einer Volkspartei zu sprechen.

Allerdings ist das nichts Neues. Die SPD hat gestern keine nennenswert hohen Verluste eingefahren. Sie ist schon in den Schröder-Jahren eingebrochen.

Richtige Einbrüche hingegen erlebte die andere Regierungspartei, die CDU. Sie musste nicht nur die größten Verluste bei der Europawahl hinnehmen, wie schon im Vorfeld befürchtet. Noch ärger verliefen für die Kanzlerinnen-Partei viele Kommunalwahlen. Ländle-weit verlor die CDU: in Stuttgart acht Prozentpunkte, in Mannheim zehn, in Karlsruhe sieben.

Auch bei der rheinland-pfälzischen Kommunalwahl zeichnet sich ein enttäuschendes Ergebnis für die CDU ab, ebenso in Sachsen. Im Saarland spottet Ministerpräsident Peter Müller zwar, die SPD sei keine Volkspartei mehr, sondern offensichtlich dauerhaft ins 20-Prozent-Getto abgerutscht. Tatsächlich aber ist Müllers CDU die größte Verliererin der gestrigen Kommunalwahl. Ihr gingen im Vergleich zur letzten Wahl schlappe zehn Prozentpunkte verlustig.

Und so könnte man weiter machen, weitere miese Einzelergebnisse der CDU auflisten. In ganz Deutschland konnte man gestern schwarze Balken fallen sehen. Nicht zuletzt in Angela Merkels Wahlkreis in MeckPom. Zwar wurde die CDU dennoch oft noch stärkste Partei. Aber sie hatte den größten Substanzverlust zu beklagen.

Gar nicht erst anschauen sollte sich Angela Merkel die Europawahlergebnisse aus Berlin. Traditionell das schlechteste Ergebnis erzielt die CDU in Kreuzberg, wenige Kilometer von der Zweitwohnung der Kanzlerin entfernt. Hier sackte sie gestern fast in den Promillebereich ab. In manchen Wahllokalen erzielte die CDU gestern gar bloß noch 2,0 Prozent.

 

FDP fällt – und steigt zugleich

War’s das schon mit dem Höhenflug? So richtig haben die Liberalen den guten Umfragewerten ohnehin nicht getraut. Sie haben sie gefeiert, na klar. Aber im ruhigen Gespräch doch auch immer gesagt, dass sie eine Gefahr bergen. Mit der FDP im Frühjahr verhielt es sich wie voriges Jahr mit dem Ölpreis: Beide waren gnadenlos überbewertet. Je höher der Anstieg, desto größer die Gefahr, eines Tages steil zu fallen.

Dieser Fall ist nun eingetreten. Plötzlich sind es bloß noch neun Prozent, auf die die FDP in der aktuellen Umfrage zur Europawahl vom ARD-Deutschlandtrend kommt. Das ist kein beachtliches Ergebnis mehr, sondern ein ernüchterndes. Neun ist eben bloß noch die Hälfte von den einstigen 18. (Die Zahlen wurden gestern in den Tagesthemen veröffentlicht, online findet man sie bisher komischerweise noch nicht).

Herrscht nun Katzenjammer bei der FDP?

„Überhaupt nicht“, sagt Dirk Niebel, der Generalsekretär, auf die Schnelle ins Telefon. Er ist auf dem Sprung, muss gleich zurück in den Reichstag zur namentlichen Abstimmung. „Bei der letzten Europawahl hatten wir 6,1 Prozent. Jetzt zeigt die Umfrage eine Verbesserung um 50 Prozent.“  Er sehe keinen Negativtrend, sagt Niebel.

Aber die schönen 18 Prozent vom März?

Niebel lacht und grantelt zugleich: Die neun Prozent bezögen sich auf die Europawahl. Bei der Sonntagsfrage auf Bundesebene komme die FDP immer noch auf 13 Prozent. Wenn das das „Jahrestief der FDP“ sein sollte, könne er damit gut leben. Tschüß, Niebel muss jetzt abstimmen.

So ist das mit den Umfragen, jeder kann sie mit dem vergleichen, was gerade passt. Die SPD kann sich also freuen, dass sie nicht mehr ganz so schlecht dasteht wie noch im Beck-Jahr. Die CDU wird zwar vermutlich die große Verliererin der Europawahl, nimmt man die gestern prognostizierten 39 Prozent als Grundlage und  vergleicht sie mit dem Europawahlergebnis von 2004 (44,5%). Verglichen allerdings mit dem Bundestrend ist das ganz ordentlich.

Und die Linke? Die wird jede Wahl feiern, als sei es ihre beste. Kunststück: 2004 gab es sie noch nicht.

 

Nachtarbeit ist verboten!

Die Regierung berät bis 5 Uhr früh über Opel. Es geht um Milliarden. Und die Minister gähnen unaufhörlich. Sinnvoll ist das nicht!

Den letzten Blog-Eintrag habe ich neulich am späten Abend von einem netten, jungen Kollegen bekommen – und ihn gleich nachts noch online gestellt. Keine glückliche Aktion: Es gab kleine Fehler, die ich übersah; und ich vergaß, mich mit unserem Digital-Ressort abzusprechen, das auch ein Auge auf das Thema geworfen hatte. Die Folge: hämische Kommentare und ein bisschen Zoff in der Redaktion. Der Textchef schrieb mir am nächsten Morgen eine ausgeschlafene Email: „Nachtarbeit ist verboten!“

Das möchte man heute auch den Mitgliedern der Bundesregierung zurufen. Bis kurz vor fünf Uhr früh haben sie verhandelt. Der Morgen graute schon, als die Emissäre und die Politiker auseinander traten. Die Minister hatten Ringe unter den Augen, die Ministerpräsidenten wirkten noch grauer als sonst.

Selbst „der jugendhafte“ Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der eine Cola nach der anderen trank, „wirkte ermattet“. So beobachtete es zumindest der FAZ-Reporter. Elf Stunden verhandeln, in fast allen Sprachen Europas, das schlaucht ja auch.

Allerdings fragt man sich schon, warum das Treffen erst so spät losgegangen ist. Es ging um Milliarden, es ging um Opel. Nicht um einen falsch geschriebenen Vornamen in einem Blog-Text. Jeder Schlafforscher wird bestätigen, dass solche nächtlichen Marathonsitzungen nicht zu empfehlen sind. Dass kollektiver Schlafentzug die Konzentration und Leistungsbereitschaft hemmt.

Vermutlich sind in dieser Nacht im Kanzleramt etliche Flüchtigkeitsfehler entstanden – wegen der bleiernen Müdigkeit. Vermutlich wurden kluge Zwischenfragen irgendwann gar nicht mehr gehört, weil sich alle nur noch ihr Kissen herbeisehnten. Vermutlich dachten sie intensiver an den Sandmann als an den Sanierungsplan.

Der formale Grund für die späte Ansetzung des Treffens ist schon klar: GM ist nicht unbeteiligt an der ganzen Geschichte. Und die sitzen nun mal in Detroit, dort steht man sechs Stunden später auf als in Berlin. Allerdings hätte man die Automobilkonzernleute auch ein paar Stunden früher anklingeln können. Schließlich war das gestern vor allem ein paneuropäisches Vorsingen: von Moskau (Magna) bis Turin (Fiat).

Außerdem kam von GM ohnehin nicht viel. Sie schickten einen „drittklassigen Vertreter“ (SPON), der ständig nach Amerika telefonierte – und nichts selbst entscheiden durfte. Der aber irgendwann nachts auf einmal diktiert bekam, dass GM noch mal 300 Millionen Euro von Berlin haben will. Das hätte man auch per Email oder Fax machen können. Dafür hätte man den Rüttgers, Kochs und Guttenbergs nicht den Schlaf rauben müssen.

Denn, es ist ein Teufelskreis: Entweder kommen unsere Verhandlungsmatadore heute erst am frühen Nachmittag in ihre Ministerien und Staatskanzleien. So wie die ZEIT-Redakteure am Mittwoch ins Pressehaus, wenn die neue Ausgabe im Druck ist. Oder sie haben durchgemacht beziehungsweise: sich nach zwei, drei Stunden wieder hochgequält. Beides ist nicht gut. Es gibt ja schließlich noch andere Probleme.

 

„Toll, Bundes-Hotte!!!!“

Ein Gastbeitrag von  Michael Metzger

Das Ergebnis der Bundespräsidentenwahl wurde als erstes per Twitter bekannt. Während die zwitschernde CDU-Politikerin sich reuig zeigte, verteidigt ihr SPD-Kollege seine öffentliche 140-Zeichen Botschaft als demokratischen Akt.

Es war 14.13 Uhr am Samstag, als Ulrich Kelber es im Reichtstagsgebäude nicht mehr aushielt. Der Bonner Bundestagsabgeordnete zückte sein Mobiltelefon und tippte: „Auszählung dauert lange. Gerücht: Köhler hat 613 Stimmen. Das wäre genau die kleinste Mehrheit“. Wenige Sekunden später tickerte das Statement über Kelbers Twitter-Seite. Damit war ein Wahlergebnis in der Welt, das offiziell noch nicht verkündet worden war.

Ulrich Kelber war schnell. Nicht viel langsamer aber waren sein Parteifreund Garrelt Duin, der SPD-Chef aus  Niedersachsen, und Julia Klöckner von der CDU. Duin schrieb nur eine knappe Minute später als Kelber: „613 für Köhler. #bpw“. Und Klöckner fast zeitgleich: „#Bundesversammlung Leute, Ihr könnt in Ruhe Fußball gucken. Wahlgang hat geklappt!“.

Nicht alle freute das Gezwitscher. Schließlich verkündete Bundestagspräsident Norbert Lammert das Ergebnis offiziell erst um 14.30 Uhr, eine gute Viertelstunde später. Die Christdemokratin Klöckner entschuldigte sich inzwischen. In ihrer Partei hatten sich manche bei der „Twitter-Sünderin“ (BILD) beschwert. Sie habe ihr Amt als Wahlfrau für Publicity missbraucht.

Gleichwohl: Die Trittwer-Gemeinschaft war stolz auf den neuen Coup. Erneut ein Ereignis, das zuerst durch das Mikroblog publik wurde. Wie in den USA beim Unfall des Airbus über dem Hudson-River oder in Deutschland beim Schul-Attentat in Winnenden. Unter dem Tag „#BPW“, freuten sich diesmal die Nutzer, bei der „Bundespräsidentenwahl“ schneller informiert zu sein als die TV-Zuschauer.

Twitter ist aber auch risikobehaftet. Redaktionelle Medien prüfen und filtern Informationen meist. Bei Twitter fällt das weg. Was passiert, wird mitgeteilt – ohne Zeitverlust. Für den Wahrheitsgehalt trägt deshalb zwar allein der Schreiber die Verantwortung, sagt Klas Roggenkamp, Geschäftsführer von Compuccino, einer Berliner Medienberatungsagentur. „Aber auch der Leser steht in der Pflicht, zu prüfen, woher er seine Informationen hat.“ Informationen bei Twitter sind subjektiv, geprägt von der Sicht des Senders – und eben nicht immer wahr. Wie der hessische SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel feststellen musste, der im Landtagswahlkampf bald mindestens einen Twitter-Imitator hatte.

Wenn Informationen dank Twitter schneller und freier verfügbar sind, sei das dennoch wünschenswert, sagt Roggenkamp. Informationen, die früher auf den Fluren von Bundestag und Bundesrat kursierten, finden nun in Windeseile ihren Weg ins Netz. Die ganze Welt hört so den politischen Flurfunk.

Aber es wird auch viel banaler Stuss gezwitschert, nicht zuletzt von Politikern. So schreibt Frederic Schneider von der CDU Hessen: „käuft sich am Donnerstag das #Objektiv #Canon EF 70-200mm, f/4 L USM :)“. Oliver Fink von der FDP Schleswig-Holstein schreibt: „Wie jetzt? Lieber 0 Grad und strömender Regen?!? Kommt wieder, musst nur warten…“ Und  Gabriele Hiller-Ohm von der SPD Schleswig-Holstein teilt mit: „ist nach dem Nautischen Abend nicht mehr ins Büro gefahren um den Schreibtisch leerzufegen, was sich morgen rächen wird.“

Ulrich Kelber, der SPD-Abgeordnete mit dem schnellen Twitter-Daumen am Köhler-Tag, hält davon wenig. Niemals würde er die Farbe seiner Socken der Welt mitteilen, sagt er im Gespräch zu ZEIT ONLINE. Lieber beschränke er sich auf Politik.

Mit Twitter könne man Menschen in kleinen Häppchen die große Politik schmackhaft machen, sie für Themen begeistern und die eigene persönliche Einschätzung gleich mit transportieren, sagt Kelber. „Im Reichstagsgebäude wussten die anwesenden Wahlhelfer und Journalisten schon vor meiner Nachricht, wie die Wahl ausgegangen ist. Warum soll ich das meinen Twitter-Lesern dann vorenthalten?“, fragt er rhetorisch.

Doch ständiges Geschnatter nervt auch Kelber. Auf Parteisitzungen stören ihn die „Leute, die einen Zwischenstand aus einer laufenden Debatte in ihr Handy tippen – statt sich mal selber an der Diskussion zu beteiligen“. So etwas mache Diskussionen kaputt. Der Politik nehme es die Verschnaufpause, die gebraucht wird, um Gedanken zu Ende zu denken.

Aber am Samstag sei es schließlich nicht um Diskussionskultur gegangen, sondern vor allem um die von vielen bemängelte Einhaltung des protokollarischen Rahmens im Reichtstag: Die Gratulationen an Horst Köhler wurden zu früh ausgesprochen, das Orchester positionierte sich, ehe Bundestagspräsident Norbert Lammert die Ergebnisse offiziell verkündet hatte. Ein Fauxpass!, alles via Twitter dokumentiert.

Etwa von Julia Klöckner um 14.36 Uhr: „#Bundesversammlung Protokollarisch ging eben einiges schief – Blumen, Kapelle kamen rein vor Ergebnisbekanntgabe“. Nach der Rede des alten wie neuen Staatsoberhaupts konnte sie sich aber dennoch freuen: „Bundes-Hotte hält Dankes/Antrittsrede – toll!!!!“

Update: Julia Klöckner hat sich inzwischen nicht nur entschuldigt sondern auch auf ihr Amt als Schriftführerin im Parlament verzichtet.

 

Die Sache mit den Blumen

Ein Gastbeitrag von Katharina Schuler

Dass Bundespräsidentenwahlen auch für den Bundestagspräsidenten eine Herausforderung sind, weiß man spätestens seit 2004. Damals war es Wolfgang Thierse (SPD), der – zur großen Empörung der Union – patzte. Thierse vergaß unter anderem, dem frisch gewählten Horst Köhler das Wort zu erteilen und wollte stattdessen sofort zur Nationalhymne übergehen. Erst das entsetzte Gesicht von Edmund Stoiber habe ihm verdeutlicht, dass er etwas vergessen hatte, war hinterher zu lesen.

Diesmal nun die Sachen mit den zu früh reingetragenen Blumen und dem Bläserquintett, die die Verkündung des Ergebnisses vorwegnahmen. Ist CDU-Bundestagspräsident Norbert Lammert in Protokollfragen also kein bisschen sattelfester als der stets etwas schluffig wirkende Bartträger Thierse?

Diesen Eindruck wollen Lammert und seine Getreuen freilich nicht auf sich sitzen lassen. An der Panne sei keinesfalls der Bundestagspräsident schuld, sagte ein Sprecher Lammerts ZEIT ONLINE. Schuld sei vielmehr die SPD. Schließlich habe Fraktionschef Peter Struck schon um 14:12 Uhr – also bevor Bläser und Blumen auftraten – Gesine Schwan auf die Schulter geklopft. Na, und da sei doch eigentlich schon alles klar gewesen, oder etwa nicht?

Auch Lammert selbst hat eine interessante Version der Geschichte beizutragen. Demnach hätte alles auch noch viel schlimmer kommen können. Köhler habe die Verkündung des Ergebnisses nämlich im Plenarsaal entgegennehmen wollen. Das wiederum habe Lammert ihm ausreden können. „Herr Präsident“, habe er ihm zu bedenken gegeben. „Wenn Sie da einfach in den Plenarsaal hineinlaufen, bevor das Ergebnis bekannt ist, dann können sie es auch gleich selbst vorlesen“. Köhler erwies sich als einsichtig und nahm von seinem Plan Abstand.

An der Sache mit den Blumen, so Lammert, seien aber nun wirklich die Fraktionen schuld. Er selbst habe keinen einzigen Blumenstrauß bestellt, folglich also auch keinen vorzeitig reintragen lassen.

Und nun zum Bläserquintett: Dieses habe sich, so Lammert, „im wörtlichen Sinne hinter meinem Rücken“ in den Saal begeben, während er vor dem Reichstag auf den ausbleibenden Präsidenten wartete. Die unmittelbare Verantwortung trägt offenbar ein Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung, der einmal zu häufig durch selbständiges Denken auffiel. Dieser nämlich haben den Musikern nahegelegt, sie sollten schon jetzt in den Saal gehen. Wenn nämlich der Herr Bundestagspräsident erstmal mit der Verlesung des Ergebnisses begonnen hätte, könnten sie schließlich da nicht reinmarschieren und ihre Instrumente auspacken.

Dass wiederum die Ankunft des Präsidenten so lange auf sich warten ließ, dass drinnen die Abgeordneten von SPD und Grünen schon ungeduldig zu klatschen anfingen, ganz als wollten sie den Auftritt einer Popband beschleunigen, ist laut Lammert ein Ausweis für den demokratischen Charakter unseres Staates. Hier werde eben nicht die halbe Stadt lahm gelegt, bloß weil ein frisch gekürter Präsident die Wahl annehmen möchte. Und sich an einem Volksfesttag vom Schloss Bellevue mit dem Auto zum Reichstag zu quälen, das dauere eben…

Bleibt ein letztes ungelöstes Rätsel: Warum fuhr Köhler nach der Eröffnung überhaupt zurück ins Schloss Bellevue statt im Reichstag im eigens für ihn vorbereiteten Raum zu warten? Darauf gibt auch die minutengenaue Rekonstruktion der Ereignisse, die Lammerts Leute mittlerweile vorgenommen haben,  noch keine Antwort. Aber vielleicht findet es der Ältestenrat heraus, der sich demnächst mit der Problematik befassen muss. Und vielleicht sollte man den Bundespräsidenten in Zukunft zwar nicht direkt wählen – wie Köhler das nun gefordert hat – aber dafür einfach öfter? Dann hätten jedenfalls alle Beteiligten etwas mehr Gelegenheit zum Üben.

 

Happy B-Day, Deutschland

Thomas Steg weiß um die große Konkurrenz an diesem Tag. Aber er versucht, sie positiv zu deuten: Am Samstag, sagt der Sprecher der Bundesregierung, jage ein Höhepunkt den nächsten in Deutschland. Gut, da gebe es diese nicht unbedeutende Finale der Bundesliga, das einige Aufmerksamkeit absorbieren werde.

Aber republikanisch gesinnte Fußballfreunde könnten am Samstag ruhig ebenfalls zur Siegessäule kommen, sagt Steg. Auf großen Leinwänden kann man die Konferenzschaltung mitverfolgen.

Parallel zum Bundesliga-Finale steigt am Samstag nämlich eben auch eine große nationale Party. Am 23. Mai 1949 war das Grundgesetz in Kraft getreten, die Geburtsstunde der Bundesrepublik. Der 60. Geburtstag der Republik wird in Berlin mit einem großen Bürgerfest und etlichen prominenten Gratulanten gefeiert. Das Programm sehen Sie hier.

Zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule werden bis zu 250.000 Besucher erwartet. Thomas Gottschalk wird moderieren. Udo Jürgens wird singen, Otto Waalkes wird blödeln. Bundesländer, Ministerien, Parteien, Kirchen, Nachbarstaaten und andere Organisationen präsentieren sich dazwischen mit Ständen. Veranstalterin ist die Bundesregierung. Sie gibt für das Fest drei Millionen Euro aus.

Nicht zum Feiern, sondern zum Protest rufen linksradikale Demonstranten auf.

Die Reporter von ZEIT ONLINE werden an allen wichtigen Schauplätzen zugegen sein. Katharina Schuler ist im Reichstag. Sie berichtet von der Präsidentenwahl. Michael Schlieben und Simone Bartsch beobachten auf der Straße davor Gottschalk, Walkes und die Demonstranten. Und David Hugendick meldet sich aus der vermeintlich neuen Fußball-Hauptstadt Wolfsburg. Markus Horeld sitzt in der Berliner Zentrale von ZEIT ONLINE – und veredelt die Eindrücke, bevor er sie auf die Homepage stellt.

 

Jetzt wählen auch die Milliardäre grün

ZEIT ONLINE: Herr Korwisi, wie wird man grüner Oberbürgermeister in Bad Homburg – nach 60 Jahren CDU-Herrschaft?

Michael Korwisi: Durch Bürgernähe, durch viel Engagement und mit vielen Helfern. All das hatte meine Gegnerin von der CDU nicht, sie war sich trotz schlechter Vorzeichen ihrer Sache sehr sicher. Sie hat als letzte mit dem Wahlkampf begonnen. Und erst eine Woche vor der Wahl bemerkt, dass es eng wird und sie etwas tun muss.

ZEIT ONLINE: Hat die CDU unfair gekämpft? Gab es eine Schlammschlacht in Bad Homburg?

Korwisi: Sie hat Wahlkampf gemacht mit Ideen aus den 60er Jahren. Man plakatierte zur Stichwahl gegen mich: „Keine Experimente!“ Außerdem wollte die CDU ausschlachten, dass ich über Weihnachten in Kuba war. Angeblich soll ich da Fidel Castro die Hand geschüttelt haben.

ZEIT ONLINE: Haben Sie?

Korwisi: Natürlich nicht. Ich wollte ins Warme. Aber die CDU hat lauter dödelige Fehler gemacht. Wir hatten dagegen den Slogan: „So geht’s“. Der Wahlkampf war auf mich zugeschnitten: Nur mein Name war auf blauen Wahlplakaten zu sehen, den Farben Bad Homburgs.

ZEIT ONLINE: Die Grünen sind ja eigentlich grün…

Korwisi: Ich bin Mitglied der Grünen, bin aber als Unabhängiger angetreten. Manche Unternehmer sagten mir: Wir unterstützen Sie dann, wenn Sie als Unabhängiger antreten.

ZEIT ONLINE: Haben sich die Grünen dennoch über ihren Erfolg gefreut?

Korwisi: Klar, Renate Künast hat geschrieben, die hessischen Spitzen sowieso. Auch Joschka Fischer hat angerufen. „Jetzt wählen auch schon die Milliardäre grün“, hat er gebrummt.

ZEIT ONLINE: Bad Homburg ist eine der reichsten Städte Deutschlands. Eher ein ideales FDP-Pflaster, oder?

Korwisi: Die FDP lag hier bei der Landtagswahl vor der SPD, bei deutlich über 20 Prozent. Sie hat hier also eine Hochburg, verliert inhaltlich aber an Bedeutung. Sie ist nicht streitbar, ein bloßes Anhängsel der CDU.

 

Grüne zwitschern am liebsten

Keine Partei in Deutschland twittert so oft wie Bündis 90/Die Grünen. So das ständig aktualisierte Ergebnis von wahl.de, einem Internet-Anbieter, der sich auf politische Statistiken spezialisiert hat. Katharina Thiel ist Mitarbeiterin dort. Ihrer Agentur sei die grüne Twitter-Affinität schon lange aufgefallen. Die frühere Öko-Partei bediente sich schon der neuartigen Kommunikationstechnik als die in Deutschland noch kaum einer kannte. Ganz anders die CDU: Die hat erst vor ein paar Wochen – zögerlich – das Mircoblogging für sich entdeckt. Allerdings müsse man berücksichtigen, dass die anderen Parteien andere Netzstrategien verfolgen, sagt Thiel. So habe die SPD ihren Schwerpunkt auf facebook gelegt. Warum die Grünen so gerne zwitschern? Die Frau von wahl.de zuckt mit den Schultern. „Vielleicht haben die die meisten iphones?“

 

Gelbe Postiv-Kampagne

Die FDP genießt ihr Umfragehoch, immer noch. Beim Jubeln und Beuteteilen möchte sie sich aber vor dem 27. September nicht erwischen lassen. Deshalb macht sie gerade auf super-seriös.

Dirk Niebel zum Beispiel, Westerwelles Generalsekretär. Mit gerecktem Kinn verkündete er gestern auf einer Pressekonferenz, dass seine Partei es in diesem Jahr nicht nötig habe, sich mit anderen Parteien zu beschäftigen. Deshalb erwähne sie in ihrem 86-seitigen Wahlprogramm die Mitkonkurrenten kein einziges Mal.

Auch negatives Campaigning, so Niebels staatstragendes Versprechen, werde man in diesem Wahlkampf nicht machen. Anders als die SPD, die die FDP derzeit ja als kapitalistischen Hai abbildet.

Statt mit den anderen Parteien will sich die FDP lieber mit ihren Mitgliedern intensiv beschäftigen. Deshalb stellte sie diesmal ihr Programm online zur Diskussion. Gar nicht mal uninteressant, aber eine Debattenflut entfachte sie nicht. Für den Parteitag am kommenden Wochenende in Hannover wurden bis jetzt gerade 37 Änderungsanträge eingereicht. Bei den Grünen an diesem Wochenende in Berlin sind es bereits schlappe 1241.

Und auch der andere gute Vorsatz wird wohl nicht lange tragen. Schon auf derselben PK machte Niebel ordentlich Stimmung gegen den rot-roten Senat aus Berlin – der habe nämlich laut Niebel „Polizisten zur Steinigung und öffentlichen Verbrennung“ freigegeben.