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Das war’s, Herr Wulff

Politische Affäre nehmen für gewöhnlich einen erwartbaren Verlauf: Erst kommt eine Sache hoch, die einen bisher vermeintlich „sauberen’“ Politiker ins Zwielicht setzt. Der Politiker leugnet oder zeigt sich keiner Schuld bewusst. Dann kommen immer mehr Fragwürdigkeiten ans Tageslicht, weil nun weitere Medien die Spur aufnehmen. Der betroffene Politiker gibt in einer Salamitaktik immer nur das zu, was schon bekannt ist, beharrt aber darauf, gegen kein Gesetz verstoßen zu haben.

Schließlich tritt er, wenn der Druck zu groß wird, vor die Öffentlichkeit und gibt sich reumütig. Damit hofft er, den Brand austreten zu können. Parteifreunde fordern daraufhin ein Ende der Debatte, „aus Rücksicht auf das Amt“, und werfen den Medien eine „Hetzjagd“ vor, obwohl die nur ihrer Pflicht nachgehen, die Öffentlichkeit aufzuklären. Und so weiter und so fort.

Am Ende aber stürzt der Angegriffene. Nicht über seine tatsächliche oder vermeintliche Verfehlung. Sondern über seinen Umgang mit der Affäre. Und weil es selbst treuen Partei- und Koalitionsfreunden irgendwann zu viel ist und sie bei einem Fortgang Schaden für ihre Partei/Koalition fürchten.

So war es zuletzt im Fall Guttenberg. Und so wird es auch im Fall Wulff wohl bald sein.

Ungewöhnlich und erstaunlich selbst für einen, der schon viele Affären erlebt hat, ist jedoch in diesem Fall das Ausmaß an politischer Instinktlosigkeit und Skrupellosigkeit, das Christian Wulff an den Tag legt. Denn nun kommt heraus, dass der Bundespräsident offenbar auch noch versucht hat, die Veröffentlichung des Skandals um seinen Hauskredit und die Annahme sonstiger Gefälligkeiten vermögender Wirtschaftsfreunde mit allen Mitteln zu verhindern – durch Druck auf die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann.

Genau dieses könnte in dieser Affäre das „Zu-viel“ sein: Ein Bundespräsident, der als vormaliger niedersächsischer Ministerpräsident das Landesparlament beschummelt hat; der die Öffentlichkeit noch immer hinters Licht führt und der Medien zu erpressen versucht, ist nicht haltbar. Denn er schädigt das Ansehen der gesamten politischen Klasse.

In den Augen vieler Bürger verstärkt Wulff mit seinem Verhalten das Bild, das alle Politiker „so sind“: raffgierig, skrupellos, nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

So aber sind Politiker längst nicht alle. Die meisten von ihnen sind – bis zum Beweis des Gegenteils – politisch integer. Sie handeln am Gemeinwohl oder zumindest dem Interesse ihrer Partei orientiert und sind nicht nur auf den eigenen materiellen Vorteil bedacht.

Christian Wulff jedoch, das zeigt sich immer mehr, ist ganz offenkundig das Gegenteil davon. Sein Anruf bei Diekmann, sollte er tatsächlich so stattgefunden haben, offenbart, wie Wulff wirklich tickt: Er versuchte, eine Berichterstattung zu verhindern, in der es um Verfehlungen ging, die er später selbst einräumte. Er drohte mit einem Strafantrag, obwohl die Fakten der Kreditgeschichte stimmten. Und das verrücktest: Er hinterließ all dies auf Diekmanns Mailbox. Ein zorniger, tumber Dorfschultheiss mag sich so verhalten können, ein Bundespräsident nicht. Er wird zum Schaden für dieses Land.

Wulff sollte daher, wenn er diesen Schaden abwenden will, wie er es im Amtseid geschworen hat, einsehen, dass seine Stunde geschlagen hat – und gehen. Nicht (nur), weil es sein hohes Amt gebietet. Sondern weil er politisch-moralisch gefehlt hat.

Wenn Wulff aber uneinsichtig bleibt, müssen ihm seine Parteifreunde und die Kanzlerin klar machen, dass er nicht länger tragbar ist. Sonst wird die Provinzaffäre dieses politischen Emporkömmlings zum Sprengsatz auch für sie.

Diesen Text haben wir inzwischen auch auf der Homepage von ZEIT ONLINE veröffentlicht. Bitte weitere Diskussionsbeiträge und Kommentare dort posten. 

 

Agenda Setting und Soziale Medien – Der Fall Guttenberg(s)

von Stefan Collet

Die politische Bühne Berlins hat einen Politikstar weniger, nachdem Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg gestürzt ist. Gestürzt ist er dabei zunächst über das Heer der Wissenschaftler und Intellektuellen, am Ende jedoch über seine eigenen Ansprüche, über vermeintlich adelige Tugenden wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit – und über das Internet. Denn ohne den Dauerbeschuss über Facebook, Twitter und Guttenplag Wiki wäre es nicht in der Schnelligkeit zum Absturz des ehemaligen Verteidigungsministers gekommen. Unterschätzt hat Guttenberg aber nicht nur die Schwarmintelligenz aus der Online-Welt, sondern auch die geballte Kraft der „klassischen“ Medien, die die Kritik an die oberste Stelle ihrer Medienagenda transportiert haben.

Der Fall Guttenberg wirft wieder einmal die Frage auf, welches Potenzial die Sozialen Medien als Agenda Setter besitzen. Ein Blick auf Parallelen zu den Affären um Wikileaks oder den stark netzwerkbasierten Initiativen bei der Online-Petition gegen die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornografischem Inhalt in Deutschland 2009 sowie der Studentenproteste „Unibrennt“ in Österreich 2009 scheint die Frage von selbst zu beantworten. Und auch bei den revolutionären Umstürzen in Nordafrika Anfang 2011 hatten Youtube und Twitter die zentrale Funktion, zusätzliche Aufmerksamkeit in der Weltöffentlichkeit zu erregen und den Protest aus der Offline-Welt auf die Straße zu tragen. All diese Fälle zeichnen sich mehr oder weniger durch einen Dreiklang aus, der notwendige Bedingung für das Agenda Setting von sozialen Netzwerken ist: eine hohe Vernetzungsdichte, hohe Spontanaktivität und die Erregung von kreisender Aufmerksamkeit (siehe dazu die Ausführungen von Peter Kruse im Deutschlandradio). Dieser Dreiklang führt zusammen genommen zu einem großen Resonanzboden in der Netzwelt.

Entscheidend ist jedoch, ob die klassischen Medien diesen Resonanzboden aufgreifen (müssen), ihn auf ihrer Medienagenda nach oben setzen und dadurch wiederum stark die Publikumsagenda (Relevanzliste politischer Themen der Bevölkerung) beeinflussen. Diese kausalen Zusammenhänge lassen sich am Awareness-Salience-Priorities-Modell von Shaw und McCombs (1977; vgl. auch Maurer 2010) veranschaulichen: Zunächst werden Rezipienten durch die Medienberichterstattung auf ein Thema aufmerksam (Awareness). Mit zunehmender Intensität der Berichterstattung steigt das Thema auch auf der Prioritätenliste in der Publikumsagenda auf und konkurriert vorerst mit anderen Themen (Salience), bis es sich von ihnen abhebt und exakt die Rangfolge der Medienagenda widerspiegelt (Priorities). Aus diesem Zusammenspiel von Medienagenda und Publikumsagenda resultiert dann ein Agenda-Setting-Effekt.

Abbildung 1: Awareness-Salience-Priorities-Modell nach Shaw und McCombs 1977 (eigene Darstellung)

Im Fall Guttenberg – und auch mehr oder weniger in den anderen oben genannten Fällen – ist genau das geschehen: Guttenplag Wiki und der offene Brief der ca. 30.000 Doktoranden an Frau Dr. Angela Merkel hätten nicht diese öffentliche Aufmerksamkeit erzielt, wenn die klassischen Medien diese beiden online-basierten Bewegungen nicht aufgesogen, nicht kanalisiert und sie dadurch nicht nach und nach auf der Publikumsagenda nach oben getrieben hätten. Hinzu kam ein Gelegenheitsfenster, das sich öffnete, da Guttenberg einerseits durch die Bundeswehraffären angezählt war und andererseits durch seinen unbedachten Umgang mit der Hauptstadtpresse diese zusätzlich gegen sich aufbrachte. Um erfolgreiches Agenda Setting aus den Sozialen Medien heraus betreiben zu können, genügt es also nicht, nur auf die Masse der User zu setzen (vgl. Schmidt 2009). Deutlich wird dies an dem Online-Hype, der unmittelbar nach dem Rücktritt Guttenbergs zu beobachten war: Innerhalb kürzester Zeit schossen die Unterstützerzahlen der Facebook-Gruppe „Wir wollen Guttenberg zurück“ in die Atmosphäre – am Tag des Rücktritts kamen im Minutentakt 1000 neue hinzu. Mittlerweile vereint die Gruppe über 580.000 Guttenberg-Anhänger und kann damit eine ungleich größere Vernetzungsdichte als die mittlerweile ca. 65.000 Doktoranden für sich reklamieren. Und auch an hoher Spontanaktivität mangelt es nicht, schaut man sich bspw. den Versuch der Guttenberg-Fangemeinde an, den Tagesschau-Server lahmzulegen oder in der realen Welt in 20 Städten Deutschlands für den Baron zu demonstrieren.

Was ihr aber fehlt: Das Gelegenheitsfenster und die zusätzliche Erregung von Aufmerksamkeit beim Publikum und den klassischen Medien, die nur den Rücktritt und seine Folgen analysierten und mittlerweile eher neutral und vereinzelt über die Vorgänge in der Netzwelt berichten. Außerdem bietet die große Pro-Guttenberg-Community kein issue mehr an, das vom Mediensystem stark nachgefragt wird. Und letztlich wird nach dem Rücktritt Guttenbergs aufgrund von fehlender Awareness auch in den Köpfen der Bevölkerung Platz für neues geschaffen und so verschwindet das Thema auch wieder rasch von der Publikumsagenda – und es wird wieder über die Aufstände in Libyen, das Biosprit-Debakel und Germany’s Next Topmodell berichtet.

Literatur:

Maurer, Marcus (2010): Agenda Setting, Nomos, Baden-Baden.

Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Folgen des Web 2.0. UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz.

Shaw, D. L. and McCombs, M.E. (1977): The Emergence of American Political Issues: The Agenda-Setting Function of the Press. St. Paul: West.

Der Autor:

Stefan Collet arbeitet als Research Associate an der Hertie School of Governance zum Thema Politikberatung. Sein Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre absolvierte er an der Philipps-Universität Marburg und der Stellenbosch University South Africa. Er ist Mitinitiator des Politjournals 360°.

 

Eine schädliche Unglaubwürdigkeit

von Johannes Staemmler

Johannes Staemmler

Der Plagiatsfall zu Guttenberg zeigt nicht nur die beschleunigte Wahrheitsfindung mit Hilfe des Internets sondern auch, wie fragil Vertrauen im demokratischen System ist. Eine missratene wissenschaftliche Qualifizierungsarbeit aus dem Füller eines Ministers schadet der Demokratie.

Der Vorwurf der unlauteren Verwendung fremden geistigen Eigentums durch den Promovenden zu Guttenberg ist seit dem 16. Februar 2011 öffentlich. Innerhalb von wenigen Tagen haben Hunderte mit Hilfe des Internets unzählige nicht zitierte Textteile gefunden und im Guttenplag Wiki zusammengetragen. Ein punktuelles Versehen beim Verfassen der Dissertation kann ausgeschlossen werden. Die Offenlegung der Wahrheit ist weitestgehend durch Bürger geschehen und das Internet war das probate Mittel (siehe dazu ausführlich Shirky 2009).

Eine ähnliche Kraft entwickelten die aktiven Netznutzer durch das vielfache und vehemente Kommentieren des Radiobeitrags von Bundespräsident Köhler 2010, der sich zum Einsatz deutscher Soldaten auf Handelsrouten geäußert hatte. Die Herstellung von Öffentlichkeit nahm auch hier ihren Ursprung in der dezentral organisierten aber wachen Netzwelt. Sie war der Anlass eines unvorhersehbaren Rücktritts.

Innerhalb weniger Tage musste nun der Bundesminister seine Aussage korrigieren, ihm sei ein einzelner Irrtum beim Verfassen seiner Dissertation unterlaufen. Er ist bereit, seinen Titel zurückzugeben. Profis aller Couleur machen diesen strategisch-kommunikativen Fehler, Verfehlungen erst dann zugeben, wenn sie längst öffentlich sind. Die Universität Bayreuth, die selbst einen erheblichen Reputationsschaden erlitten hat, wird über die rechtlichen Konsequenzen befinden müssen. Über die politischen wird weiter debattiert.

In den ersten Affairentagen wurde angenommen, dass die Fehler des Ministers ausgiebig ausgebreitet werden würden in der Hoffnung, den adligen Hoffnungsträger auf mediales und moralisches Normalmaß einzudampfen. Dies ist aber nur im Rahmen von Pressebeiträgen und Debatten unter Wissenschaftlern der Fall gewesen, deren Glaubwürdigkeit auch zur Debatte steht. Der per Umfrage ermittelte Zuspruch zum Minister durch die Bürger ist ungebrochen hoch.

Vielmehr scheint ein anti-elitärer Reflex Minister zu Guttenbergs politisches Leben zu verlängern. Wie Max Steinbeis auf carta.info richtig analysiert, reagiert eine nicht unerhebliche Anzahl von Bürgern mit Sympathiebekundungen für den Minister, die seinen Kritikern vorwerfen aus niederen (also rein akademischen und publizistischen) Beweggründen gegen ihn zu hetzen. Einem athenischen Marktplatz ähnelnd wird bei Facebook das Stimmwirrwarr strukturiert und die breite Unterstützerscharr sichtbar. Die sozialen Medien dienen auch denen, die um die politische Zukunft des Bundesministers bangen.

Der medial und kommunikativ erfahrene Bundesminister zu Guttenberg läuft Gefahr, auf einer populären Welle über eine persönliche Krise zu reiten, die in Wirklichkeit das gesamte politische System betrifft. Das Vertrauen in die demokratischen Institutionen steht zur Debatte. Charismatische Führung kann und darf Integrität nicht aufwiegen. Auch wenn die öffentliche Meinung es anders bewertet, schadet Herr zu Guttenberg dem gesamten demokratischen System durch seine weitere Anwesenheit als Minister. Das Vertrauen in die politischen Institutionen samt ihrem Personal ist ein prekäres Gut, auf welches die Demokratie nicht verzichten kann. Nur dem politischen Personal zu vertrauen und die Institutionen zu vernachlässigen wäre fatal. Demokratie zehrt von institutionellem Vertrauen und der Aufrichtigkeit der Mehrzahl ihrer Bürger, die sie aber selbst nicht erzwingen kann (vgl. Böckenförde 1976). Dafür kann sie ein Minister leicht zerstören, der zwar charismatisch aber nicht integer ist.

Quellen:

Böckenförde, Ernst-Wolfgang (1976) Staat, Gesellschaft, Freiheit. Frankfurt.

Shirky, Clay (2009) Here Comes Everbody. Penguin Books.

Der Autor:

Johannes Staemmler, MPP, promoviert im Rahmen eines Fellowships der Hertie School of Governance und IFOK zum Thema „Zivilgesellschaft in strukturschwachen Regionen“. Er studierte Internationale Beziehungen an der Technischen Universität Dresden und Public Policy an der Hertie School of Governance. Seine Schwerpunkte sind bürgerschaftliches Engagement, politische Theorie, Regionalentwicklung sowie politische Kommunikation.

 

Bundeswehrreform und Auslandseinsätze: Der Verteidigungsminister in Übereinstimmung mit den Deutschen?

Seit Monaten ist Verteidigungsminister zu Guttenberg der Spitzenreiter in allen Umfragen zur Beliebtheit von Politikern. Einige Kritiker weisen jedoch darauf hin, der Minister müsse erst noch zeigen, dass er schwierige Entscheidungen treffen und durchsetzen könne. Denn dann könnte die Beliebtheit des Ministers beim Wahlvolk rasch nachlassen. Dabei verweisen sie nicht zuletzt auf die anstehende Reform der Bundeswehr. Wie steht es also um die Unterstützung der Bürger für diese Vorhaben?

Die Aussetzung der Wehrpflicht und der damit verbundene Übergang zu einer Freiwilligenarmee findet in der Gesellschaft weitgehend positive Resonanz. Wie die Ergebnisse einer telefonischen Befragung von 1162 zufällig ausgewählten Bundesbürgern, die zwischen 21. Oktober und 25. November 2010 vom Bamberger Centrum für Empirische Studien (BACES) durchgeführt wurde, votieren über Parteigrenzen hinweg zwischen 60 und 80 Prozent der Befragten für den faktischen Abschied von der Wehrpflichtarmee.

Auch die angestrebte Verkleinerung der Bundeswehr stößt nicht auf Widerstand in der Gesellschaft. Knapp die Hälfte der Befragten kennt die momentane Truppenstärke nicht einmal der Größenordnung nach, was auf geringes Interesse an der Bundeswehr hindeutet. Gefragt nach der gewünschten Truppenstärke, machen 20 Prozent der Befragten keine Angabe. Von den übrigen Befragten sprechen sich gut 10 Prozent für die vom Minister angestrebten 180.000 Soldaten aus, jeweils knapp 20 Prozent sogar für eine Reduzierung auf 100.000 oder 150.000 Soldaten. Ein solches Meinungsklima macht es Gegnern einer Verkleinerung nicht leicht, wirksamen Widerstand zu organisieren.

Beim Umbau der Bundeswehr kann der Minister also eher mit Rücken- als mit Gegenwind aus der Gesellschaft rechnen. Das sieht anders aus, wenn es um den Einsatz der Bundeswehr geht. Die Deutschen lehnen den Einsatz militärischer Mittel zwar nicht rundweg ab, betrachten bestimmte Einsätze jedoch mit großer Zurückhaltung. So spricht sich eine große Mehrheit gegen militärische Eingriffe zur Beseitigung von Gewaltherrschern, wie etwa im Irak, aus. Gar nur jeder zehnte Befragte befürwortet die Idee, wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Als der Minister jüngst – wie vor ihm Horst Köhler – die These vertrat, Wirtschaftsinteressen militärisch zu sichern, hatte er demnach die große Mehrheit der Deutschen gegen sich. Sollte die Bundesregierung in die Verlegenheit geraten, über einen vorwiegend wirtschaftlich begründeten Militäreinsatz zu entscheiden, wäre die Öffentlichkeit dafür nicht leicht zu gewinnen. Hier könnte das Ansehen des Ministers beträchtlichen Schaden nehmen – oder ihm würde die Überzeugungsarbeit gelingen, was für manchen Beobachter wohl mehr als ein politisches Gesellenstück wäre.

 

Schleichweg statt Broadway? Wie sich der Wirtschaftsminister beraten lässt

Der Wahlkampf hat (wenn auch nur für eine kurze Zeit) ein heißes Sommerthema gefunden: Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat von einer Kanzlei die Vorlage für ein Gesetz zur Zwangsverwaltung für angeschlagene Banken ausarbeiten lassen. Die Vorwürfe in diesem Zusammenhang sind vielfältig und nicht alle gleichermaßen stichhaltig. Zum einen heißt es, zu Guttenberg hätte die Expertise und das Fachwissen seines personell gut ausgestatteten Ministeriums nutzen sollen, um eine Gesetzesvorlage zu erarbeiten. Doch dieses Phänomen des „Outsourcing“ ist in der Politik wohlbekannt und sehr viel häufiger anzutreffen als nach außen hin sichtbar: Die immer komplexeren politischen Zusammenhänge, die viel zitierte Mehrebenenproblematik oder das Schnittstellenmanagement zwischen verschiedenen Institutionen und Entscheidungsträgern erfordern schlichtweg sehr viel und sehr spezialisierte Expertise, die ein einziges Ministerium alleine nicht immer aufbringen kann. Untersuchungen, wie etwa die vom ZDF zitierte, und wissenschaftliche Analysen (vgl. Falk/Römmele 2009) zeigen deutlich, dass der Beratungsbedarf von Ministerien und anderen öffentlichen Einrichtungen in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Das Wirtschaftsministerium stellt hier keine erwähnenswerte Ausnahme dar.

Ein zweiter Kritikpunkt jedoch trifft den Kern des Problems: Eine Kanzlei hat ein wirtschaftliches Eigeninteresse und vertritt zudem eine Reihe von Unternehmen, die bestimmte Wünsche an die Politik herantragen möchten. Diese gemeinhin als „Lobbying“ bezeichneten Aktivitäten sind ebenso wie das Beanspruchen externer Berater übliche Praxis. Allerdings sind die Europäische Union und einige Nichtregierungsorganisationen darum bemüht, diese Lobbyingprozesse transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Die These lautet: Nur wenn die Akteure und ihre Interessen bekannt sind, kann das Lobbying richtig eingeschätzt werden – und nur dann wird der Demokratie kein Schaden zugefügt. Der im vorliegenden Fall beauftragten Kanzlei wurde so gesehen die große Chance gewährt, einen sehr direkten Einfluss auf einen Gesetzentwurf nehmen zu können, ohne etwa die Namen ihrer Klienten, die von einem solchen Gesetz betroffen sein könnten, öffentlich machen zu müssen. Der Wirtschaftsminister muss sich also vorwerfen lassen, verdecktes Lobbying zugelassen zu haben.

Und drittens steht der Zeitpunkt dieses Vorganges in der Kritik. Da das Gesetz nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, ist die Vorlage der Kanzlei de facto hauptsächlich Munition für den Bundestagswahlkampf. Die Forschung unterscheidet hier sehr genau zwischen verschiedenen Formen der Politikberatung. Im Falle von Gesetzesvorlagen, die also die „materielle Politik“ betreffen, sollte die Beratungsleistung „objektiv“ sein. Schließlich soll jedes Gesetz seinem Anspruch nach dem Wohle des Volkes dienen. In der Wahlkampfberatung hingegen werden Konzepte und Kampagnen verlangt, die auf die Ziele der jeweiligen Partei und die Ansprache ihrer Wähler zugeschnitten sind. Hier geht es nicht um hehre Ziele wie Objektivität oder Neutralität; kämpfen ist angesagt. Wenn nun eine der Form nach objektive Beratungsleistung für den Wahlkampf verwendet wird, lässt dies Rückschlüsse auf die Verbindungen zwischen Ministerium und Kanzlei zu und wirft Fragen nach der Objektivität vorangegangener Beratungen auf.

Übrigens: Wenn Justizministerin Brigitte Zypries nun ihr Ministerium dazu antreibt, ebenfalls einen Entwurf vorzulegen, der offensichtlich auch ihrem Wahlkampf dienen wird, macht sie sich des selben Vergehens schuldig, wie ihr Kollege zu Guttenberg. Denn egal, ob nun externe Berater oder die Ministerien selbst damit beschäftigt sind: Diese Arbeit kostet Steuergelder und aus diesem Grund darf sie nicht für den Wahlkampf verwendet werden. Wahlkampfkosten sind in Deutschland Sache der Parteien (die dann wiederum vom Bund nach bestimmten Regeln finanziert werden). Ministerien aber haben sich dem Wohle des Volkes und nicht dem bestimmter Parteien zu widmen.

Literatur:
Falk, S., & Römmele, A. (2009). Der Markt für Politikberatung. Wiesbaden: VS Verlag.

 

Wo sind all die Themen hin, wo sind sie geblieben? Die SPD im Kampf um ihre Kernkompetenzen

Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit sind gerade in Zeiten der Finanzkrise Themen, wenn nicht sogar die Themen, die Bürger bewegen. Für diesen Bundestagswahlkampf ist es für Parteien folglich wichtig, gerade diese Themen zu besetzen und von den Wählern als kompetent angesehen zu werden.

Aus der Wahlkampfkommunikationsforschung wissen wir, dass Parteien besonders erfolgreich bei der Vermittlung von Themen sind, wenn es ihnen gelingt diese mit „Köpfen“, d.h. mit Spitzenpolitikern, zu verbinden. Werden Spitzenpolitiker als Experten für bestimmte Themen von den Wählern wahrgenommen, ist es für eine Partei einfacher, diese Themen als ihre Kompetenzen zu verkaufen. Das Thema „Wirtschaft“ wurde traditionell immer eher der CDU/CSU als Kompetenz zugeschrieben, selbst Schröder gelang es rückblickend nicht, die Wähler davon zu überzeugen, dass er bzw. seine Partei die richtige Wahl für die Lösung wirtschaftlicher Fragen sei: Nur 19% der Wähler gaben beispielsweise im Politbarometer Juni 2002 an, Schröder sei kompetenter im Bereich Wirtschaft, wohingegen 29% Stoiber für den Kompetenteren in diesem Bereich hielten.

Blickt man auf die Sympathiewerte für den christsozialen Wirtschaftsminister zu Guttenberg, der im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen im Juni 2009 gleichauf mit Kanzlerin Merkel auf dem ersten Platz liegt, so dürfte es für die SPD auch in diesem Wahlkampf kaum möglich sein, das Thema Wirtschaft für sich zu entscheiden. Auch die Kompetenzzuweisung für den Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier spiegelt dies nur all zu deutlich wieder, lediglich 10% halten ihn für kompetent wirtschaftliche Probleme zu lösen, im Vergleich dazu kommt Angela Merkel auf 25%.

Quelle: ZDF-Politbarometer Juni 2009

Hier lässt sich die CDU also nicht die Butter vom Brot nehmen. Noch kein Grund zur Panik, denn es bleibt ja noch das Thema „Soziales“, das traditionell der SPD zugeschrieben wird. Hier müsste die SPD eigentlich punkten. Eigentlich… denn auch bei der Kenkompetenz „Soziales“ hat es die CDU scheinbar geschafft, den Sozialdemokraten den Rang abzulaufen: 26% der Wähler vertrauen auf die Kanzlerin Merkel, wenn es um soziale Gerechtigkeit geht, nur noch 20% der Wähler sehen Steinmeier kompetenter auf diesem Gebiet.

Betrachtet man die Beliebtheitsliste der Spitzenpolitiker in Deutschland, lässt auch diese keinen Zweifel zu: Mit 2,0 Punkten führt die Kanzlerin zusammen mit ihrem Wirtschaftsminister das Ranking an, der CDU ist es also gelungen, ihre Spitzenpolitiker mit den zentralen Wahlkampfthemen zu verknüpfen. So gut, dass selbst die Kernkompetenz der SPD nun der Kanzlerin zugeschrieben wird. Das Worst-case-Szenario: Die beiden großen Themen „Wirtschaft“ und „Soziales“ sind von den Spitzenpolitikern der CDU besetzt, wovon eines ein Kernthema der SPD ist. Ohne die wichtigen Wahlkampfthemen besetzen zu können und vor allem ohne das Vertrauen der Wähler in ihre Kernkompetenzen wird es für die SPD jedoch schwer, bei der Bundestagswahl zu punkten. Jetzt gilt es für die Genossen, ihren Kanzlerkandidaten Steinmeier in eine Linie mit den traditionellen Themen zu bringen. Gelingt dies, ist das zwar eine notwendige Bedingung für einen Wahlsieg, jedoch noch lange keine hinreichende…