Lesezeichen
 

Der Trotz der Genossen

Härter hätte es für die SPD kaum kommen können. Und doch wirken einige Genossen an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus fast befreit. „Jetzt ist endlich die Zeit für einen Neuanfang“, sagt ein älterer SPD-Anhänger. Peer Steinbrück, der Finanzminister der Großen Koalition, gibt den Journalisten Interviews, in denen er von der anstehenden „Verjüngung der Partei“ spricht, der er nicht im Wege stehen werde. Später läuft auf den Fernsehern die Elefantenrunde mit dem neuen Oppositionstrio Steinmeier, Lafontaine, Trittin. Vereinzelt gibt es Beifall. Man gibt sich kämpferisch, man versucht es zumindest. Es bleibt die Hoffnung auf eine Wiederbelebung der Partei in der Opposition.

 

Piraten schieben die Regler hoch

22 Uhr. Die Piraten kappen die Fernsehübertragung. Der DJ im Berliner „Astra-Kulturhaus“ schiebt die Regler hoch, der Bass hämmert. In den Polstern der Lobby durchforsten unermüdliche Freaks das Netz nach den besten Wahlkreisergebnissen. Im Saal streifen farbige Lichtkegel über die Tanzenden. Im Zwei-Prozent-Rausch lassen sich Piraten auch nicht mehr vorschreiben, wo sie rauchen und wo nicht. Die Frauenquote im Publikum scheint leicht gestiegen, ganz im Gegensatz zur Krawattendichte.

 

Die Minister in spe gehen

Westerwelle verlaesst die Party. Um ihn herum: mindestens vier Bodyguards und zwei Assistenten. Hermann Otto Solms geht auch, in die andere Richtung, allein. Die Basis bleibt, feiert, und freut sich ueber das Ende von elf Jahren Opposition..

 

Christian Ströbele verteidigt sein Direktmandat

Zum dritten Mal in Folge hat der Grünen-Politiker Christian Ströbele das Direktmandat im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg gewonnen. Laut vorläufigem Endergebnis stimmten 46,9 Prozent der Wähler für ihn – mehr noch als 2005 (43,2 Prozent). SPD-Konkurrent Björn Böhning kam nur auf 16,4 Prozent. Vera Lengsfeld von der CDU begeisterte trotz allerlei Wirbels um ihre Wahlplakate nur 11,3 Prozent. Auch Linke-Kandidatin Halina Wawzyniak konnte mit ihrem Hintern (siehe Bilderstrecke, Bild 20) letztlich nicht überzeugen: 18,4 Prozent.

 

Kleine und große Elefanten

Elefantenrunde 2009

Schade, Steinmeier hat uns nicht den Schröder in der Elefantenrunde gemacht. Brav gratulierte er Merkel zum Sieg und gestand die Niederlage für die SPD ein. Aber er sparte auch nicht mit Hieben gegen die Konkurrenz:  „Herr Westerwelle, nehmen Sie mal ein bisschen den Triumph aus der Stimme!“

Einige Twitterer fanden Steinmeiers Auftritt cool, andere beleidigend. Doch in einem Punkt stimmen sie ihm zu: Guido Westerwelle strotzte nur so vor Selbstzufriedenheit. Das Siegerlächeln ins Gesicht gemeißelt ging er Linken-Chef Lafontaine an:  „Der Wahlkampf ist vorbei. Werden Sie mal wieder normal“. Auch CSU-Mann Ramsauer bekam einen Rüffel. Westerwelles neues Selbstbewusstsein kam nicht bei jedem gut an.

Und Merkel? Sie war, wie sie immer war. „Merkel hat gleich wieder in den Kanzlerinnen-Modus geschaltet“, twittert Mjemmer. „Das Mädchen ist großartig“, meint dieser Twitterer.

Das Schlusswort hatte ZDF-Chefredakteur Brender. Sein Fazit zum Wahlergebnis: „Den großen Elefanten geht die Nahrung aus und die kleinen wachsen schneller als gewünscht.“ Schön gesagt.

 

Sahra und die APO

Die Linkspartei ist inzwischen zum entspannten Biertrinken übergegangen, das Festzelt ist nach wie vor voll.  Sahra Wagenknecht fordert auf dem Rednerpult „mehr außerparlamentarische Gegenwehr“. Die Menge prostet ihr zu.

 

Schadenfreude über „Zensursulas“ Niederlage

„Es gibt sie noch, die guten Nachrichten“, schreibt Twitterer Nico, „Zensursula wurde nicht direkt gewählt“.

Stimmt: In ihrem eigenen Wahlkreis in Hannover hat Ursula von der Leyen (CDU) die Direktwahl gegen ihre SPD-Konkurrentin klar verloren. Zwar wird die jetzige Familienministerin wohl auch so im schwarz-gelben Kabinett vertreten sein, dennoch herrscht auf Twitter ein wenig Schadenfreude – vor allem auf Seite der Piraten.

 

Siegesfeiern sehen anders aus

Hinzugewonnen, und nun?

Die Anhänger der Grünen diskutieren im Berliner Postbahnhof das Ergebnis der Bundestagswahl. 10,5 Prozent hat die Partei laut ARD-Hochrechnung um 19:57 Uhr erzielt. Ein Zugewinn um 2,4 Prozent. Doch als in der Tagesschau das Ergebnis zu sehen ist, die auf drei großen Leinwänden übertragen wird, klatscht schon keiner mehr. Im Siegestaumel scheint kein Grüner zu sein.

Die Anhänger der Grünen wissen nicht so recht, was sie mit diesem Ergebnis anfangen sollen. Auf weitere vier Jahre in der Opposition freuen sich nur wenige. Für größte Spannung sorgt die Frage, ob die Grünen in Berlin und Stuttgart auch Direktmandate für den Bundestag gewinnen.

Die Schlangen vor den Ständen, an denen ein „feines ökologisches Bier“ ausgeschenkt wird, sind sehr überschaubar. Die 1800 Quadratmeter große Gleishalle bietet nach großem Gedränge um 18 Uhr nun schon wieder viel freien Platz. Auf der Terrasse ist ein wenig mehr los – aber die echten Partys sind nur im Fernsehen zu sehen: Bei den Liberalen und den Christdemokraten.

Von harten Jahren, die auf die Grünen warten, spricht Cem Özdemir. Harten Kampf, kündigt Trittin an und ungetrübte Freude trägt nur kurz Claudia Roth zur Schau.

Die Basis schaut nun die Elefantenrunde – Stimmung kommt auf, als Guido Westerwelle zu sehen ist. Einige pfeifen, andere buhen. Dann ist der Emotionsausbruch wieder vorbei. Als Trittin spricht, hören die Anhänger interessiert – und schweigend – zu.

 

Sind die Piraten an Schwarz-Gelb Schuld?

Arrrrr! Viele Twitterer sind sauer. Wie konnte es zu Schwarz-Gelb kommen? Ein Sündenbock ist schon gefunden: Die Piraten sind Schuld!

Herzlichen Dank an die Piraten für vier weitere Jahre Merkel. Nutzlose Partei!“
Diese kontern: Wenn noch einer rumheult, die Piraten wären an Schwarz-Gelb Schuld: Geht auf Nichtwählern rumhacken!“

Tatsächlich könnten die Nichtwähler die Wahl entschieden haben. Tagesschau twittert: „SPD hat knapp sechs Millionen Wähler verloren. Die meisten an das Lager der ‚Nichtwähler'“

 

Piraten hoffen auf 2013

Die Wahl ist durch, die etwa 300 Besucher der Berliner Wahlparty nehmen via TV am Sterben der bisherigen Regierungskoalition teil. Das SPD-Ergebnis wird mit Jubel quittiert. Durch die Reihen des Feiervolkes im „Astra-Kulturhaus“ des Szenebezirks Friedrichshain sickert durch: zwei Prozent für die Piratenpartei. Jubel, als es Parteichef Jens Seipelbusch mit seinem Team von der Bühne verkündet. „Riecht nach Einzug in den Bundestag 2013!“, twittert Pirat lexey4. Viele hier im Saal wollen die Liberalen in den nächsten vier Jahren an ihren Versprechungen in Sachen Bürgerrechte messen. Krawattenquote: stabil bei null Prozent.