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Bundeswehrreform und Auslandseinsätze: Der Verteidigungsminister in Übereinstimmung mit den Deutschen?

Seit Monaten ist Verteidigungsminister zu Guttenberg der Spitzenreiter in allen Umfragen zur Beliebtheit von Politikern. Einige Kritiker weisen jedoch darauf hin, der Minister müsse erst noch zeigen, dass er schwierige Entscheidungen treffen und durchsetzen könne. Denn dann könnte die Beliebtheit des Ministers beim Wahlvolk rasch nachlassen. Dabei verweisen sie nicht zuletzt auf die anstehende Reform der Bundeswehr. Wie steht es also um die Unterstützung der Bürger für diese Vorhaben?

Die Aussetzung der Wehrpflicht und der damit verbundene Übergang zu einer Freiwilligenarmee findet in der Gesellschaft weitgehend positive Resonanz. Wie die Ergebnisse einer telefonischen Befragung von 1162 zufällig ausgewählten Bundesbürgern, die zwischen 21. Oktober und 25. November 2010 vom Bamberger Centrum für Empirische Studien (BACES) durchgeführt wurde, votieren über Parteigrenzen hinweg zwischen 60 und 80 Prozent der Befragten für den faktischen Abschied von der Wehrpflichtarmee.

Auch die angestrebte Verkleinerung der Bundeswehr stößt nicht auf Widerstand in der Gesellschaft. Knapp die Hälfte der Befragten kennt die momentane Truppenstärke nicht einmal der Größenordnung nach, was auf geringes Interesse an der Bundeswehr hindeutet. Gefragt nach der gewünschten Truppenstärke, machen 20 Prozent der Befragten keine Angabe. Von den übrigen Befragten sprechen sich gut 10 Prozent für die vom Minister angestrebten 180.000 Soldaten aus, jeweils knapp 20 Prozent sogar für eine Reduzierung auf 100.000 oder 150.000 Soldaten. Ein solches Meinungsklima macht es Gegnern einer Verkleinerung nicht leicht, wirksamen Widerstand zu organisieren.

Beim Umbau der Bundeswehr kann der Minister also eher mit Rücken- als mit Gegenwind aus der Gesellschaft rechnen. Das sieht anders aus, wenn es um den Einsatz der Bundeswehr geht. Die Deutschen lehnen den Einsatz militärischer Mittel zwar nicht rundweg ab, betrachten bestimmte Einsätze jedoch mit großer Zurückhaltung. So spricht sich eine große Mehrheit gegen militärische Eingriffe zur Beseitigung von Gewaltherrschern, wie etwa im Irak, aus. Gar nur jeder zehnte Befragte befürwortet die Idee, wirtschaftliche Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Als der Minister jüngst – wie vor ihm Horst Köhler – die These vertrat, Wirtschaftsinteressen militärisch zu sichern, hatte er demnach die große Mehrheit der Deutschen gegen sich. Sollte die Bundesregierung in die Verlegenheit geraten, über einen vorwiegend wirtschaftlich begründeten Militäreinsatz zu entscheiden, wäre die Öffentlichkeit dafür nicht leicht zu gewinnen. Hier könnte das Ansehen des Ministers beträchtlichen Schaden nehmen – oder ihm würde die Überzeugungsarbeit gelingen, was für manchen Beobachter wohl mehr als ein politisches Gesellenstück wäre.

 

Afghanistan – wieder ein außenpolitisches Thema zur heißen Wahlkampfphase?

Andrea Römmele In Wahlkämpfen, so die Forschung, spielen vor allem innenpolitische Themen und Positionen eine Rolle. Seit 1972, als die Ostpolitik Willy Brandts im Zentrum stand, gab es kaum einen Wahlkampf mehr, in dem ein außenpolitisches Thema heiß diskutiert wurde. Die einzige Ausnahme aus der jüngeren Vergangenheit war die Auseinandersetzung über den bevorstehenden Irak-Krieg im Jahr 2002. Gerhard Schröders SPD gelang es damals, sich als Stützpfeiler der „Friedensmacht“ Deutschland (so der Titel eines SPD-Plakates) zu präsentieren und damit zugleich die Wähler von der außenpolitischen Kompetenz der Partei zu überzeugen. Angesichts der heftigen Kritik, die die Regierung zuvor etwa für ihre Haltung im Kosovo-Krieg einstecken musste, war dieser außenpolitische Rückenwind nicht unbedingt zu erwarten. Die Umfragedaten von damals zeigen aber deutlich, welchen Stellenwert der bevorstehende Krieg im Irak im deutschen Wahlkampf hatte: Laut ARD-Deutschlandtrend vom September 2002 war für 47 Prozent der Befragten die Außen- und Sicherheitspolitik ein wichtiges Thema, 74 Prozent lehnten einen US-Militärschlag im Irak ab. Schröders Nein hat diese Wähler mobilisiert und SPD und Grünen die entscheidenden Stimmen für die Fortsetzung der Koalition eingebracht.

Und jetzt? Haben wir mit dem unglaublich bedauerlichen Zwischenfall in Afghanistan wieder einen solchen Fall im Wahlkampf? Wohl kaum. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, der ebenfalls noch während der Zeit der rot-grünen Regierung beschlossen wurde, wird nur von der Linken offen abgelehnt. Alle anderen Parteien tragen diesen Einsatz mit, der Spielraum für grundsätzliche Auseinandersetzungen ist damit weit weniger groß als 2002. Das Reden von einer „Exit-Strategie“ für die Bundeswehr in Afghanistan ist weder realpolitisch noch emotional mit einem Nein zum Irak-Krieg gleichzusetzen.

Dennoch ist der Afghanistan-Einsatz ein Thema, das nicht ignoriert werden darf. Eine klare Mehrheit von 69 Prozent der Deutschen war schon im Juli für einen schnellen Abzug, die Tendenz ist steigend. Wenn der Bevölkerung also nicht vermittelt werden kann, warum dieser Einsatz wichtig und notwendig ist, werden sowohl die Partei der Kanzlerin als auch die des Außenministers Einbußen hinnehmen müssen. Es gibt daher gerade für Union und SPD zwar nur wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Die Aufarbeitung der jüngsten Geschehnisse in Afghanistan ist somit nicht Teil der außenpolitischen Kür der Regierung, sondern einfach ihre Pflicht.

 

Vom Hindukusch an die Wahlurne? Der Afghanistan-Einsatz und die Wahl 2009

Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ist nicht sonderlich populär. Wie der jüngste ARD-Deutschlandtrend zeigt, stehen die Deutschen dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan mehrheitlich kritisch gegenüber. Rund zwei Drittel der Befragten plädieren dafür, die Bundeswehr aus Afghanistan möglichst schnell abzuziehen. Auch das jüngste ZDF-Politbarometer weist eine, wenngleich weniger deutliche Mehrheit gegen den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr aus. Diese Muster sind nicht neu. Bereits seit einiger Zeit sprechen sich in Bevölkerungsumfragen – je nach Institut und Frageformulierung – deutliche Mehrheiten oder bedeutende Minderheiten gegen die Fortsetzung des Afghanistan-Engagements aus. Folglich könnte eine Partei, der es gelingt, am 27. September die Gegner dieses Bundeswehreinsatzes auf ihre Seite zu bringen, mit erheblichen Stimmengewinnen rechnen. Gibt es realistische Chancen dafür?

Außenpolitische Themen haben es nicht leicht, das Wahlverhalten zu beeinflussen oder gar über den Wahlausgang zu entscheiden. Viele Bürger schenken der Außenpolitik häufig keine allzu große Aufmerksamkeit. Daher sind ihre Urteile über solche Fragen nicht sehr fundiert und recht leicht beeinflussbar. Aus diesem Grund ist bei der Interpretation entsprechender Umfrageergebnisse besondere Vorsicht geboten. Da viele Wahlberechtigte außenpolitischen Themen eine geringe Bedeutung beimessen, lassen sie solche Fragen nicht in ihre letztliche Stimmentscheidung einfließen. Innenpolitische Themen liegen für viele Bürger wesentlich näher. Daher gelten außenpolitische Fragen für die innenpolitische Meinungsbildung im allgemeinen und für Wahlverhalten im besonderen als nicht allzu bedeutsam.

Aber auch zu dieser Regel gibt es Ausnahmen. Man denke nur an die Bundestagswahl 2002. Im Sommer 2002 setzte Gerhard Schröder einen möglichen Krieg im Irak auf die innenpolitische Agenda. In den letzten Wochen vor der Wahl gewann das Thema merklich an Einfluss auf das Wahlverhalten und trug entscheidend dazu bei, dass die rot-grüne Bundesregierung nicht von einer schwarz-gelben Bundesregierung unter Edmund Stoiber abgelöst wurde. Schröder gelang es offenbar, den Bürgern die Wichtigkeit des Irak-Themas vor Augen zu führen und sie dabei auch emotional anzusprechen. Dass gerade letzteres nicht unwichtig ist, zeigen Analysen zum Irak-Krieg 1991. Denn damals sorgte vom Krieg ausgelöste Angst nicht nur dafür, dass die Bundesbürger die Regierungsparteien, die den US-geführten Militäreinsatz unterstützten, schlechter bewerteten. Vielmehr trug Angst sogar dazu bei, dass Bürger langfristige Parteiloyalitäten in Frage stellten. Die innenpolitische Meinungsbildung kann also durchaus erheblich auf die Außenpolitik reagieren.

Ob das im Falle des Afghanistan-Einsatzes gelingen wird, ist damit noch nicht gesagt. Zwar wirbt die Linke seit langem als entschiedene Gegnerin des Bundeswehreinsatzes um Stimmen. Doch scheint sie damit nicht durchzudringen. Das mag zum einen daran liegen, dass das Thema wenige Menschen anspricht. Zum anderen mag eine Rolle spielen, dass ein Votum für die Linke aus anderen Gründen für etliche Bürger kaum in Frage kommt. Würden andere Parteien eine einsatzkritische Position vertreten, stiegen die Chancen für Einflüsse der Afghanistan-Frage auf die Wahlentscheidung. Erst recht würde eine Emotionalisierung des Themas dessen Durchschlagskraft an der Wahlurne erhöhen. Damit wäre etwa dann zu rechnen, wenn die Zahl gefallener Bundeswehrsoldaten dramatisch anstiege oder aber ernstzunehmende Anschlagsdrohungen gegen Deutschland gerichtet würden. So betrachtet, bleibt zu hoffen, dass die Afghanistan-Frage am 27. September wirkungslos bleibt – ausgeschlossen sind solche Effekte freilich nicht.

Literaturempfehlungen

Schoen, Harald, 2004: Der Kanzler, zwei Sommerthemen und ein Foto-Finish. Priming-Effekte bei der Bundestagswahl 2002, in: Frank Brettschneider/Jan van Deth/Edeltraud Roller (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2002. Analysen der Wahlergebnisse und des Wahlkampfes, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 23-50.

Schoen, Harald, 2006: Beeinflusst Angst politische Einstellungen? Eine Analyse der öffentlichen Meinung zum Golfkrieg 1991, in: Politische Vierteljahresschrift 47, 441-464.