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Eine kulturelle Konfliktlinie

Spätestens seit dem Regierungsantritt der Großen Koalition im Jahr 2005 hatte die CDU/CSU ihre bis dato ausländerkritische Haltung zugunsten einer Integrationsoffensive (Integrationsgipfel, Islamkonferenz) zurückgestellt. Die beiden Unionsparteien schienen (endlich) in der Realität der „Einwanderungssituation ohne Einwanderungsland“ (Klaus Bade) angekommen zu sein, die sie mehrheitlich fast eine ganze Generation lang negiert hatten. Als „Anerkennung und Eingliederung anstatt Ignoranz und Ausgrenzung“ könnte man diese Phase der unionsgeführten Migrationspolitik überschreiben. Das vorläufige Ende dieser Phase wurde vom neuen Bundespräsidenten Christian Wulff eingeläutet, indem er bei Amtsantritt nicht nur – wie vor ihm bereits Johannes Rau – erklärte, Präsident aller in Deutschland lebenden Personen zu sein, sondern dadurch, dass er am Tag der Deutschen Einheit darüber hinaus feststellte, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre.

Dass diese – in der Beschreibung korrekte – Äußerung nun zu einer Art „Backlash“ in den Reihen der Union, einer reflexartigen Gegenpositionierung hinter eine vor allem von der CDU mühevoll errungene, realitätsnähere Politikposition führt, hat situative, strategische, aber auch im Parteienwettbewerb fest verankerte Gründe. Die situativen Gründe sind offenbar: Die Regierung hatte einen katastrophalen Start, von dem sie sich – für viele Beobachter überraschend -, bislang nicht erholen kann. Mit der Steuer-, Atom- und Gesundheitspolitik macht sich Schwarz-Gelb bislang wenig Freunde, und mit Stuttgart 21 hat sich auch noch eine „baugleiche“ Landesregierung ins Taumeln geprügelt. Selbst Stammwähler von Union und FDP geraten derzeit ins Grübeln darüber, ob sie diese Politik unter Anwendung dieser Mittel noch gutheißen können.

Aus strategischer Sicht spiegelte der Wandel der Union zu einer grundsätzlich zuwanderungsoffenen, in jedem Fall aber integrationsbejahenden Inländer-Partei auch den Wunsch wider, für Deutsche mit Migrationshintergrund, die inzwischen ein erhebliches Wählerpotenzial darstellen, wählbar zu werden. Die wenigen Analysen, die sich 1999-2002 mit dem Wahlverhalten von Migranten in Deutschland beschäftigt haben, kommen zum Schluss, dass die Union zwar unter den Aussiedlern und Spätaussiedlern hohe Stimmenanteile (über 60 Prozent) erhalten hat, dass sie jedoch unter ehemaligen ausländischen Arbeitnehmern und insbesondere unter türkeistämmigen Wählern chancenlos ist (rund 10 Prozent). Während die Zahl der wahlberechtigten Spätaussiedler stagniert, nimmt die Zahl der wahlberechtigten Türkeistämmigen zu. Und neueste Untersuchungen zur Bundestagswahl 2009 (in Vorbereitung) geben Grund zur Annahme, dass die hohe Zustimmung für die CDU/CSU bei Russlanddeutschen deutlich nachlässt, während Gewinne der Union bei den Türkeistämmigen marginal sind. Die Tatsache, dass die leicht veränderte Migrationspolitik an der Wahlurne keine Früchte trägt, ist ein möglicher Grund für die erneute Positionsänderung der Union. Der andere, wahrscheinlich gewichtigere Grund ist der vermeintlich „rechte“ Rand der Bevölkerung, den man zusätzlich zu Teilen der politischen Mitte nicht auch noch verlieren möchte. Die Union fürchtet nicht nur den alten Bahnhof, sondern auch einen deutschen Geert Wilders und vor allem den Verlust von Regierungsmehrheiten bei Landtagswahlen, der auch Auswirkungen auf die Regierungsstabilität im Bund haben würde.

Doch der eigentliche Konflikt, der zunächst in den Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten offenbar wurde, sitzt deutlich tiefer. Den Unionsparteien ist es bislang gelungen, die Vorstellung einer ethnisch-kulturell homogenen Gesellschaft mit ihrem Parteinamen exklusiv und gleichzeitig wählbar zu verbinden. So erstaunt es nicht, dass eine Analyse der Einstellungen der Bundestagskandidatinnen und -kandidaten des Jahres 2005 ergab, dass die Parteizugehörigkeit zur CSU einerseits und zu den Grünen andererseits, Extrempositionen in der Frage des Zuzugs von Einwanderern aus demographischen und ökonomischen Gründen darstellen. Während also Grünen-Politiker aufgrund des Arbeitsmarktes und der demographischen Entwicklung häufig die Notwendigkeit von Zuwanderungsregelungen sehen, sind CSU-Politiker selten dieser Ansicht. Insofern sagt Horst Seehofer nur das, was in seiner Partei gedacht wird. Und auch bei der Frage nach kultureller Anpassung von Einwanderern an die deutsche Gesellschaft nehmen die Kandidatinnen und Kandidaten von CSU und Grünen gegensätzliche Positionen ein, werden allerdings von den Politikern einer jeweils anderen Partei überboten: CDU und Linkspartei. Folglich überrascht es nicht, dass sich große Teile der CDU gegen die Vorstellung aussprechen, kulturelle Differenz sei Teil des christlichen Abendlandes (und müsste folglich mehr oder minder akzeptiert werden). Aus der wertfreien Perspektive eines Parteienwettbewerbs, der unterschiedliche Politikangebote machen sollte, ist gegen solch klare Positionen überhaupt nichts einzuwenden – im Gegenteil: Die Bürger wollen wissen, wofür und wogegen die Parteien stehen.

Langfristig betrachtet handeln CDU und CSU im wahrsten Sinne konservierend: Sie sind Wächter und Anbieter der gesellschaftlichen Vorstellung einer deutschen Nicht-Einwanderungsgesellschaft. Damit können sie den Großteil ihrer Stammwähler wahrscheinlich halten, sofern diese ihnen der Exkurs auf den Integrationsgipfel nicht nachtragen. Doch zu welchem Preis? Die mittel- und langfristigen Kosten eines solchen ethnisch-kulturellen Reflexes sind hoch, denn die Gesellschaft ist längst nicht mehr monokulturell oder gar monoethnisch (sie war es auch nie). Und für viele Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund wird es schwierig bleiben, einer Partei mit einem im Kern monoethnischen Gesellschaftsbild die Stimme zu geben. Für Muslime wird es nochmals schwieriger, denn es handelt sich auch noch um explizit christliche Parteien.

Die vielleicht interessantesten Reaktionen auf diese neuerliche Migrationsdebatte kommen von der FDP. Der Generalsekretär distanziert sich heute in der FAZ von ethnisch-religiösen Argumentationslinien und fordert „Eine republikanische Offensive“. Dazu gehöre sowohl eine Entkoppelung christlicher Konfessionen vom Staat (u.a. mit Blick auf die Kirchensteuer) als auch die Wahrnehmung kultureller Vielfalt als Freiheitsgewinn. Und Wirtschaftsminister Brüderle legt nach, indem er das bereits intensiv diskutierte, aber nicht eingeführte Punktesystem für (Arbeits)Migration wiederbelebt. Ein wenig hat es den Anschein, als versuche die FDP, sich in einem Politikfeld zu profilieren, in dem ihre Politiker bislang Mittelpositionen einnahmen und folglich kaum wahrgenommen wurden. Fakt ist aber auch, dass die FDP bei Integrationsfragen in der Regierung Kohl wiederholt kleinbei gab und damit ihre eigenen Ausländerbeauftragten beschädigte. Ein wenig sieht es schließlich aus, als wollten sich die Regierungsparteien gezielt unterschiedlich positionieren, um verschiedene Wählerklientele besser ansprechen zu können. Mitentscheidend wird dabei sein, wie authentisch sie dies tun werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Migrationspolitik im Sinne einer Konzeptualisierung von diesen vermeintlich politischen Manövern profitieren wird.

Literatur:
Wüst, Andreas M.: Das Wahlverhalten eingebürgerter Personen in Deutschland, Aus Politik und Zeitgeschichte B52/2003, S. 29-38.
Wüst, Andreas M.: Bundestagskandidaten und Einwanderungspolitik: Eine Analyse zentraler Policy-Aspekte, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft 19 (1), 2009, S. 77-105.

 

Nur eine Frage der Definition? Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund

Erstmals hat sich am gestrigen Freitag der Bundeswahlleiter zur Anzahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund bei einer Wahl geäußert. Auf Grundlage von Daten des Mikrozensus 2007 kommt er auf insgesamt 5,6 Millionen. Das entspricht 9 Prozent aller Wahlberechtigten und damit wahrscheinlich mehr als bei jeder vorherigen Bundestagswahl. 2,6 Millionen seien Spätaussiedler, 2,1 Millionen eingebürgerte Zuwanderer. Hinzu kämen 290.000 Personen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland geboren wurden sowie 566.000 Deutsche, die mindestens ein Elternteil mit Migrationshintergrund haben. Als Hauptherkunftsländer werden Polen mit 762.000, Russland mit 705.000, Kasachstan mit 442.000, die Türkei mit 327.000 in der ersten und 149.000 in der zweiten Generation sowie Rumänien mit 313.000 Personen genannt.

Die Gesamtzahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund scheint damit höher zu sein als bislang angenommen. Ich selbst kam auf der Grundlage des Mikrozensus (MZ) 2005 auf schätzungsweise 4,1 Millionen Wähler mit Migrationshintergrund. Wie der Bundeswahlleiter machte ich die Sowjetunion und ihre Nachfolgestaaten (ca. 1 Million), gefolgt von Polen (ca. 500.000), der Türkei (ca. 500.000) und Rumänien (ca. 300.000) als wichtigste Herkunftsländer aus. Während also die Angaben für die Herkunftsländer sehr ähnlich sind, ergibt sich doch eine erstaunliche Differenz bei der Gesamtzahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund.

Die Materie ist – zugegebenermaßen – komplex, denn im Mikrozensus wird, übrigens erst seit 2005, zwischen etlichen Personen(-gruppen) mit Migrationshintergrund differenziert. Da sind zunächst diejenigen mit eigener Migrationserfahrung und diejenigen ohne eigene Migrationserfahrung. Beide Gruppen kann man unter anderem danach differenzieren, ob die deutsche Staatsbürgerschaft ohne Einbürgerung oder erst durch Einbürgerung vorliegt. Auf der Grundlage des MZ 2005, der ein wenig verlässlicher über den Migrationshintergrund Auskunft geben kann als der MZ 2007, komme ich auf 7,7 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund. Da die Verteilung nach Altersgruppen für Wahlforscher ungünstig ausgewiesen wird (die 15- bis 20-Jährigen bilden eine Gruppe), kann die Zahl der Wahlberechtigten (also derjenigen ab 18 Jahren) auf der Grundlage der publizierten Ergebnisse nicht exakt beziffert werden. Ich kam und komme durch eine Schätzkalkulation für 2005 auf insgesamt 5,1 Millionen wahlberechtigte Deutsche mit Migrationshintergrund – nach der Definition „Migrationshintergrund“ des Mikrozensus. Es ist plausibel, dass sich diese Zahl seit 2005 auf nun 5,6 Millionen erhöht hat.

Nun vermute ich allerdings, dass die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund im Mikrozensus zu hoch ist. Dabei bestehen überhaupt keine Probleme bei den Eingebürgerten und den Befragten mit Migrationshintergrund der zweiten Generation. Als problematisch betrachte ich aber die Gruppe der „Deutschen mit eigener Migrationserfahrung, die nicht eingebürgert wurden“. Diese Gruppe umfasst im MZ 2005 1,77 Millionen. Laut Definition des Mikrozensus fallen hierunter „Spätaussiedler, Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit ohne Einbürgerung“. Diese Personen und Gruppen sind unzweifelhaft gewandert (größtenteils unter erheblichem Zwang), aber sollte man ihnen deshalb auch gleich das Etikett „Migrationshintergrund“ anheften? Durch den expliziten Ausschluss von Personen, die vor 1949 zugewandert sind und derjenigen, die vor 1949 mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden, versucht der MZ immerhin, die Kriegsjahre und folgen auszuklammern. Ob dies dadurch gelingt, ist zumindest mir nicht klar. Aussiedler und (ab 1993) Spätaussiedler mussten sich jedenfalls bis Juli 1999 einbürgern lassen und fallen daher nach meinem Kenntnisstand in der Regel nicht in diese Gruppe. Wer aber dann?

Aufgrund dieses potenziellen Problems mit der Gruppendefinition „Deutsche mit eigener Migrationserfahrung, ohne Einbürgerung“ habe ich versucht, zu quantifizieren, wie viele Spätaussiedler seit 1999 ohne Einbürgerung nach Deutschland gekommen sind. Laut MZ 2005 sollten es für die Jahre 1999 bis 2004 („Deutsche mit eigener Migrationserfahrung, ohne Einbürgerung, seit weniger als 6 Jahren in Deutschland“) etwa 397.000 sein. Hinzu kommen für die Jahre 2005 bis 2009 weitere rund 50.000 Spätaussiedler (Annäherung, da addierte Zuzugszahlen). Dies sind gerade einmal knapp 450.000. Bei informierter Schätzung der Wahlberechtigten unter diesen 450.000 (exakte Zahlen liegen mir nicht vor) komme ich auf knapp 400.000 Deutsche mit eigener Migrationserfahrung, die seit 1999 nach Deutschland gekommen sind und nicht mehr formal eingebürgert wurden. Demnach kalkuliere ich auf der Basis des MZ 2005 rund 3,9 Millionen Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund, zu denen ich noch diejenigen Deutschen hinzugerechnet habe, die nicht eingebürgert wurden, aber eine eigene Migrationserfahrung haben und aus binationalen Ehen stammen (199.000). Dies ergibt zusammen die von mir genannten 4,1 Millionen.

Alles nur definitorisches Klein-Klein oder lässt sich auch etwas schlussfolgern? Meiner Ansicht nach gibt es auf Grundlage des Mikrozensus 2005 mindestens 4,1 Millionen Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund, für die diese Bezeichnung auch treffend ist. Berücksichtigt man die vom Bundeswahlleiter genannten Erstwähler auf der Grundlage des Mikrozensus 2007, dann haben nun möglicherweise 4,5 bis 4,6 Millionen Wahlberechtigte einen Migrationshintergrund. Dies ist eine konservative Schätzung – weniger Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund wird es wohl nicht geben.

Ich will aber nicht ausschließen, dass die Zahl der Wähler mit Migrationshintergrund insgesamt höher ist und bis zu 5,6 Millionen – wie vom Bundeswahlleiter beziffert – beträgt. Als Wissenschaftler, der sich schon länger mit dem Thema beschäftigt, wären diese höheren Zahlen sogar eine hervorragende Nachricht und unterstrichen die Bedeutung dieses Forschungsbereichs. Andererseits ist mir, gerade als Wissenschaftler, die Definition der Gruppe „Deutsche mit eigener Migrationserfahrung, ohne Einbürgerung“ mit zu vielen Unwägbarkeiten behaftet, als dass ich bislang von der Validität dieser Gruppengröße überzeugt wäre. Es bedarf weiterer Informationen und wahrscheinlich eines Einblicks in die Daten des Mikrozensus (am besten, sobald dann die 2009er Daten vorliegen), um zu einer abschließenden Beurteilung zu kommen.

Letztlich ist es aber begrüßenswert, dass sich nun auch der Bundeswahlleiter der (wahlberechtigten) Bürger mit Migrationshintergrund angenommen hat. Dies könnte der Auftakt zu einer intensiveren Beschäftigung mit dieser Wählergruppe (siehe z.B. Skandinavien) sein. Ich würde sehr begrüßen, wenn es bald einmal Wahlbeteiligungsanalysen für diese Gruppe auf der Grundlage einer erweiterten Repräsentativen Wahlstatistik gäbe, denn über die Wahlbeteiligung in der Gruppe der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund wissen wir in Deutschland immer noch viel zu wenig.

 

Europawahlen ohne Unionsbürger?

Mit dem Vertrag von Maastricht (1993) wurde – zusätzlich zur Staatsbürgerschaft eines Mitgliedslandes – die Unionsbürgerschaft eingeführt. Ein wichtiges Element dieser EU-Staatsbürgerschaft ist das Wohnortprinzip bei Kommunal- und Europawahlen. Es bedeutet, dass EU-Bürger auch in demjenigen Mitgliedsstaat der EU wahlberechtigt sind (und auch für das Europaparlament bzw. das lokale Parlament kandidieren können), in dem sie ihren Hauptwohnsitz haben. So können seit 1995 auch in Deutschland Unionsbürger an kommunalen und Europawahlen teilnehmen.
Inwieweit Unionsbürger von diesen Möglichkeiten Gebrauch machen, wissen wir nicht genau. Für Kommunalwahlen gibt es zumindest aus einigen Städten (Berlin, Hamburg, Bremen, Stuttgart) verlässliche Zahlen. Sie zeigen, dass dort seit 1995 zwischen 15 und 27 Prozent der Unionsbürger die lokalen Parlamente mitgewählt haben. Es gibt jahres- und ortsabhängige Schwankungen, aber keinen klaren Trend einer Zu- oder Abnahme der Wahlbeteiligung von Unionsbürgern bei deutschen Kommunalwahlen. Über die Beteiligung der Unionsbürger an Europawahlen in Deutschland wissen wir noch weniger. Sicher ist jedoch, dass die Beteiligung erheblich geringer ist als bei Kommunalwahlen.
Dies hat mit einem unterschiedlichen Verfahren der Registrierung zu tun. Sind Unionsbürger bei Kommunalwahlen automatisch wahlberechtigt, so müssen sie sich für Europawahlen mindestens 21 Tage vor der Wahl registrieren lassen. Diese Frist ermöglicht es, diejenigen Unionsbürger, die in Deutschland ihre Stimme abgeben möchten, aus dem Wahlregister desjenigen Landes, dessen Staatsbürgerschaft sie besitzen (und dort automatisch wahlberechtigt sind), auszutragen. So soll verhindert werden, dass Unionsbürger zwei Stimmen abgeben – im Land des Wohnsitzes und im „Heimatland“.
Eine Registrierung aber ist eine erhebliche Hürde für die Beteiligung an einer Wahl und unterstreicht, dass Wahlbeteiligungsraten in Ländern mit grundsätzlicher Registrierung (z.B. USA) nicht ohne weiteres mit denjenigen in Ländern ohne Registrierung verglichen werden sollten. Für Unionsbürger und Europawahlen in Deutschland hat diese institutionelle Hürde Folgen: 1999 ließen sich in Deutschland 34.000 Unionsbürger ins Wählerverzeichnis für die Europawahl eintragen. Dies sind angesichts des damaligen Anteils von Unionsbürgern an der Bevölkerung (1,6 Mio.) gerade einmal 2%. Gemessen an allen Wahlberechtigten in Deutschland machten 1999 die Unionsbürger nur 0,05% aus. Im Jahr 2004 gab es eine Steigerung auf 133.000 (7% von 2 Mio.), die dann 0,2% der Wähler ausmachten.
Obwohl für 2009 noch keine bundesweiten Zahlen vorliegen, kann davon ausgegangen werden, dass auch diese Europawahl in Deutschland weitgehend ohne Unionsbürger stattfinden wird. Dennoch wählen etliche Unionsbürger bei Europawahlen; es scheint jedoch, dass weit mehr von ihnen in einem Konsulat oder der Botschaft ihres Heimatlandes wählen als ins „deutsche“ Wahllokal zu gehen. Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu liegen nicht vor; auf der Grundlage journalistischer Reportagen kann man jedoch die Hypothese formulieren, dass die Europawahl im Konsulat als eine Art ethnisch-kulturelles Happening verstanden wird. So wird die Europawahl von vielen Unionsbürgern zwar in Deutschland, aber dennoch exterritorial begangen. Die Erfinder der Unionsbürgerschaft hatten sich dies anders vorgestellt. Auf dem Hintergrund dieser Praktiken sollte man vielleicht ernsthafter als bisher über europaweite Partei- und Kandidatenlisten nachdenken. Diese ließen sich, wie das Bundestagswahlsystem zeigt, durchaus mit regionalen oder lokalen Kandidatenlisten kombinieren. So könnte zum Beispiel eine in München lebende Griechin in einem Münchner Wahllokal sowohl für das europaweite Parteienbündnis ihrer in Griechenland präferierten Partei als auch für einen bayerischen Kandidaten stimmen. Der Gang ins Konsulat wäre dann nicht mehr notwendig – die Option, die Europawahl nach der Stimmabgabe als ethnisch-kulturelles Ereignis im griechischen Konsulat zu begehen, bliebe indes erhalten.