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Politiker müssen Anti-Sexismus-Rhetorik Taten folgen lassen

Betrachtet man die deutsche Sexismus-Debatte mit einer gewissen Distanz, etwa aus der Perspektive der USA, so wird deutlich, welche Auswirkungen derartige gesellschaftspolitische Diskussionen hier wie dort haben können. Man darf allerdings hoffen, dass die dortigen Regeln der „political correctness“ nicht bald auch hier gelten. Sie entstanden sicherlich mit besten Intentionen. Inzwischen aber haben sie Dimensionen angenommen, die für keinen der Beteiligten hilfreich sind. Statt Respekt und Verständnis füreinander zu fördern, verhärten sie die Fronten bisweilen eher noch.

Am Beispiel Rainer Brüderle zeigt sich: In Deutschland geht man mit solchen Anlässen durchaus anders um als in den USA. Er steht ganz persönlich in der Kritik, doch viele Kommentatoren haben längst und mit Recht angemerkt, dass die Debatte nicht anhand einer bestimmten Person geführt werden sollte. Denn die Beobachtungen, um die es geht, treten im Alltag zuhauf und an ganz unterschiedlichen Stellen auf. Die politische Dimension für Brüderle und die FDP ist verglichen damit zweitrangig.

In den USA hingegen sind gesellschaftspolitische Debatten noch stärker mit Personen verknüpft. Das hat einen bemerkenswerten Effekt: Insbesondere Politiker der Republikanischen Partei „üben“ in diesen Tagen verstärkt das politisch korrekte Auftreten. Der lange Wahlkampf im vergangenen Jahr hat viele unbedachte oder auch tatsächlich respektlose Äußerungen zutage gebracht, die der Partei in der öffentlichen Wahrnehmung und damit auch in der harten politischen Währung der Wählerstimmen nachhaltig geschadet haben.

Rhetorik und politisches Handeln klaffen auseinander

Den Republikanern geht es nun darum, mittelfristig wieder Wählerschichten für sich zu gewinnen, ohne die in Zukunft keine Präsidentschaftswahl mehr zu gewinnen ist: etwa Hispanics, Asiaten – oder eben Frauen. Über diese Gruppen will man nicht mehr herablassend sprechen, einem „Sensitivitätstraining“ sollten sich die Politiker unterziehen, heißt es. Und die selbst auferlegte Maßregelung nimmt absurde Züge an: Beispielsweise ist doch tatsächlich mit Blick auf mittel- und südamerikanische Einwanderer der Ratschlag zu hören: „Don’t use phrases like ’send them all back‘.“ oder; „Don’t characterize all Hispanics as undocumented and all undocumented as Hispanics.“ Dies nur als kleine Kostprobe.

Über diese republikanische Rhetorik wird in den USA gerade viel berichtet. Das politische Handeln auf diesen Themenfeldern findet dagegen oft unterhalb des nationalen (kritischen) medialen Radars statt. So werden etwa in den Staaten, in denen Republikaner reagieren, Abtreibungskliniken geschlossen. Die Amtsträger dort vertreten auch vielfach deutlich frauenfeindliche Standpunkte zu Verhütung oder Gesundheitsvorsorge. Gleichzeitig spricht die Struktur der Abgeordneten im Kongress nicht gerade dafür, dass aktiv Frauen rekrutiert werden. Die Republikaner haben sehr viel weniger weibliche Abgeordnete im Repräsentantenhaus als die Demokraten: Von den 234 Mitgliedern sind lediglich 20 Frauen; bei den Demokraten sind es immerhin 61 von 201 (mehr dazu auch in einer aktuellen Ausgabe der Rachel Maddow Show).

Über konkrete Veränderungen nachdenken

Die Diskrepanz zwischen Rhetorik und tatsächlichen politischen Positionen mag in Deutschland weniger drastisch sein, allerdings besteht sie auch hierzulande. Mit Blick auf die Sexismus-Debatte sollte man vor allem die Politik nicht nur an Worten, sondern auch an Taten messen. Wo bleiben die Frauen in den Aufsichtsräten? Wo bleibt die Quote? Wie steht es mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Warum haben wir im Jahre 2013 immer noch zu wenige Kita-Plätze? Auch dies sind Fragen, die im Zusammenhang mit alltäglichem Sexismus gestellt und beantwortet werden müssen.

Die derzeitige Debatte ist wichtig. Aber ihr ganzes Potenzial entfaltet sie erst, wenn wir sie zum Anlass nehmen, über konkrete Weichenstellungen zu sprechen. Nur dann kann es nachhaltige Veränderungen für unser Miteinander geben. Lasst uns über gesellschaftspolitische Positionen sprechen!

 

Was ist bloß aus den US-Medien geworden?

Es war eine große Show, eine Serie von medialen Großereignissen. Aber man fragt sich nach drei intensiven TV-Debatten zwischen dem republikanischen Herausforderer Mitt Romney und US-Präsident Barack Obama dann doch: Was haben wir daraus eigentlich gelernt? Nicht ganz so einfach – denn die Erwartungen an diese Rededuelle im Wahlkampf sind enorm. Nähern wir uns der Antwort, indem wir zunächst grundsätzlich nach der Wirkung solcher Formate fragen.

Die empirische Forschung spricht dazu eine klare Sprache: TV-Duelle haben – wenn überhaupt – nur einen geringen Effekt. Mehr noch: Nach drei bis vier Tagen ist dieser normalerweise verblasst. Das gilt zumindest, wenn sich beide Kandidaten keine gravierenden Schnitzer erlauben. Im Falle der Debatten zwischen Obama und Romney jedoch zeigt sich ein differenziertes Bild: Die erste Runde konnte der Herausforderer überraschend positiv gestalten und für sich verbuchen. Die beiden folgenden Duelle hat Umfragen zufolge zwar Obama gewinnen können. Aber der Eindruck des ersten Duells bleibt nun schon seit mehreren Wochen der dominante: Obama und Romney bewegten sich auf Augenhöhe und tun dies nun auch in den Umfragen.

Zurück zur Ausgangsfrage: Was haben wir inhaltlich gelernt? Die erste Antwort muss lauten: nicht viel. Die Narrative der Debatte lassen sich wohl folgendermaßen darstellen: „Was Sie, verehrter Herr Kandidat, heute sagen, stimmt in keinster Weise mit dem überein, was Sie vor vier Wochen zu diesem Thema gesagt haben.“ – „Dies ist eine glatte Lüge.“ – „Die Zahlen, verehrter Herr Präsident, die Sie hier präsentieren, stimmen in keinster Weise mit den kürzlich veröffentlichten Zahlen aus Ihrem Hause überein.“ – „Ihre Additionen stimmen hinten und vorn nicht“ … Man kann den Gesprächsfaden beliebig weiterspinnen.

Den Mächtigen widersprechen

Dennoch war die Show erhellend, denn sie hat in einer seltenen Deutlichkeit die schwache Rolle der amerikanischen Medien gezeigt. Dass wir uns hier im Heimatland des kritischen, aufgeklärten Journalismus befinden, wurde in dieser Debattenphase in keiner Weise deutlich. Denn ebenso wichtig wie die Präsentation der Kandidaten selbst ist es, deren Aussagen hinterher einzuordnen und der Öffentlichkeit eine ausgewogene Einschätzung zu den diskutierten Themen zu bieten.

Wo aber waren hier die kritischen Journalisten in der Nachlese der Debatten (aber auch während der gesamten Kampagne)? Seit sich die Gründer der USA gegen den britischen König stellten, galt das „speaking truth to power“ als Lebenselixier, als Manifest der amerikanischen politischen Kultur: Unbequeme Wahrheiten müssen ausgesprochen werden, auch wenn sie den Mächtigen widersprechen mögen. Dies galt auch und vor allem als zentrales Element einer kritischen Presse – und genau dieser Aspekt ist über die vergangenen Jahre verlorengegangen.

Anstelle kritischer Berichterstattung, die bemüht ist, Fakten auf den Tisch zu bringen, ergehen sich die amerikanischen Medien mehr und mehr im sogenannten „Horse-race“-Journalismus. Nicht Sachfragen, etwa nach den angestrebten sozialen und wirtschaftlichen Reformen oder deren Finanzierung, werden gestellt; die brennenden Fragen sind vielmehr: Wer liegt in den Umfragen vorn? Wer war Sieger der Debatte? Dies zu diskutieren ist natürlich legitim, aber wenn solche Einschätzungen die sachorientierten Analysen fast völlig verdrängen, dann werden die Medien ihrem Anspruch nicht mehr gerecht. Nicht „truth to power“ wird mehr gesprochen, sondern eher „opinion to public“. Und gerade weil amerikanische Medien traditionell meinungsstark sind und beispielsweise bestimmte Kandidaten offen unterstützen und andere heftig kritisieren, lässt diese einseitige Art der Berichterstattung viele Zuschauer ratlos zurück.

Fact Checking oft ausgelagert

Um es klarzustellen: Dies ist keine Kritik an den Moderatoren der TV-Duelle. Vor allem Candy Crowley, die CNN-Moderatorin der zweiten Debatte, hat live vor Millionen von Zuschauern Darstellungen der Kandidaten richtiggestellt. Aber dies ist die Ausnahme – das sogenannte fact checking, eine Kernkompetenz der Medien, wird zunehmend ausgelagert. Unabhängige Organisationen nehmen sich dieser wichtigen Aufgabe an. Ihnen gebührt alle Ehre, hier wird hervorragende Arbeit geleistet – etwa wenn die Aussagen der Kandidaten anhand von Statistiken und früheren Verlautbarungen darauf geprüft werden, wie zutreffend beziehungsweise realistisch sie sind.

Hier beispielsweise das aktuelle Bild, das sich auf politifact.com ergibt:

Diese Website ist zugleich eines der seltenen Beispiele für ein Faktencheck-Portal, das von einer Zeitung betrieben wird. Andere sind hingegen an Forschungseinrichtungen angesiedelt (etwa factcheck.org) oder werden von – oftmals einem bestimmten Kandidaten zugeneigten – Organisationen betrieben (etwa actually.org).

Gemein ist ihnen allen, dass diese wichtige Form der „Nacharbeit“ die breite Öffentlichkeit nicht (mehr) erreicht. Sie wird kaum noch in die mediale Berichterstattung eingespeist. So ist ihr Stellenwert verglichen mit all dem, was das „horse race“ zu bieten hat, sehr gering. Was wir aus den TV-Duellen in diesem Wahlkampf gelernt haben, ist also in erster Linie, dass die Medien zwar starke Meinungen, nicht aber starke Analysen bieten.

 

Amerika nach den Parteitagen

Die Show ist den Demokraten gelungen. In Charlotte tagte vier Tage lang die Democratic National Convention und hielt beeindruckende Reden bereit, allen voran die des ehemaligen Präsidenten Bill Clinton. Seine Rede bewegte nicht nur Parteianhänger, sie war auch darüber hinaus das zentrale Gesprächsthema in den USA. Clinton gelang es damit stellvertretend für Präsident Obama, die Mitte der Gesellschaft anzusprechen.

Den Höhe- und Schlusspunkt der Veranstaltung setzte Barack Obama mit einer engagierten Rede selbst. Es war die Rede eines Amtsinhabers, der in den letzten vier Jahren einen harten und steinigen Weg gegangen ist. Der in Zeiten wirtschaftlicher Krisen beileibe nicht alle seine Versprechen eingehalten hat und der um mehr Zeit bittet. Die Themen und der Rahmen des Wahlkampfes der Demokraten sind klug und klar abgesteckt: Es geht um Unterschiede in der Innenpolitik (Bildung und Gesundheit) und in der Außenpolitik. Im Gegensatz zu seinem Herausforderer Mitt Romney und dessen Vize Paul Ryan haben sowohl Bill Clinton als auch Barack Obama die amerikanischen Soldatinnen und Soldaten erwähnt, ihnen Respekt gezollt und große Anerkennung und ihnen Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zugesichert – eine wichtige Geste, die in Tampa bei den Republikanern ausblieb.

Clinton und Obama entwarfen stellvertretend für die Partei, die sich als das „big tent“ begreift (das große Zelt, in dem alle Platz finden), ein Gesellschaftsbild, das sich klar von dem der Republikaner absetzt. Es geht darum, in welcher Gesellschaft die Amerikaner leben möchten: in einer, in der das „Wir“ großgeschrieben wird, oder in einer, in der das Individuum an erster Stelle kommt. Das Mantra des Bill Clinton hat Barack Obama leiser, aber nicht weniger nachdrücklich fortgesetzt. Es geht um mehr als parteipolitische Auseinandersetzung. Es geht um gemeinsames Lösen der anstehenden Probleme. Der Parteitag hat so gesehen gezeigt, worum es in einer Demokratie eigentlich geht.

Dabei soll freilich auch die andere Seite der demokratischen Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten nicht unerwähnt bleiben, die ebenso zu Spiel gehört. Obama konnte in seiner derzeitigen Position keine Rede halten wie noch 2008, deren Botschaft einzig seine Vision war. Vier Jahre später musste er sich an der politischen Realität abarbeiten – und auch an seinem Konkurrenten. Kampagnenstrategie und Umfrageergebnisse ließen es nicht zu, Mitt Romney zu ignorieren; stattdessen wurde er attackiert. Dies könnte der zweite Teil der Lehren sein, die gezogen werden können: Ambitionierte Ziele sind wichtig, aber man muss sie auch durchboxen.

Amerika nach den Parteitagen, was bleibt in der öffentlichen Wahrnehmung? Ein leerer Stuhl für die Republikaner auf der einen Seite und eine Vision gepaart mit einer klugen Strategie der Demokraten auf der anderen. Dieser erste wichtige Schlagabtausch ging klar an die Demokraten.

 

Twitter-Shitstorm verdrängt die inhaltlichen Themen des GOP-Parteitags

von Ines Mergel

Der gerade zu Ende gegangene Parteitag der Republikaner in den USA zeigt: Twitter-Lawinen sind unaufhaltbar. Jeder noch so kleine Fehltritt eines Redners endet in einem Mem, das die Internetgemeinde begeistert.

Gleich zu Beginn des GOP-Parteitages fiel auf, dass sich Twitter.com mehr und mehr zu einem Medienunternehmen entwickelt hat, das tief in den Wahlkampf involviert ist. Der Hashtag #GOP2012 war auf allen offiziellen Flaggen des Tampa-Stadions platziert, unübersehbar und direkt nutzbar für jeden Teilnehmer mit einem Smartphone. #GOP2012 wurde sehr schnell zum „trending topic“ in den USA. Die Reden während des Parteitags beginnen und die Bevölkerung „tweetet“ während Romneys erstem Auftritt. Twitter zählt über 14.000 Tweets: Sechsmal so viele wie während des gesamten GOP-Parteitags in 2008. Mit ihrer vereinten Intelligenz nehmen Twitter-Nutzer in sekundenschnelle jede Redewendung auseinander, checken und gegenchecken jede Behauptung und posten schnell den Gegenbeweis für jede plumpe Lüge der Kandidaten, die sich dann wie ein Feuersturm rasend schnell im Netz verbreitet.

Besonders die Rede von Clint Eastwood wird von der Twitter-Gemeinde aufs Korn genommen und mit Hilfe des Hashtags #eastwooding in einem online Feuersturm lächerlich gemacht. Die Twitterparodie „Invisible Obama“ entsteht und zeigt, dass das Einreden auf einen leeren Stuhl – wie von Eastwood schauspielerisch dargestellt – nicht gut ankommt. Innerhalb weniger Minuten hat der Account mehrere zehntausend Follower hinter sich vereinigt, die bereitwillig Scherze auf Kosten des Stuhls verteilen. Hunderte mit Hilfe von Photoshop veränderte Versionen des leeren Stuhls kursieren im Internet. Jede Late-Night-Show geht auf die Varianten ein. Auch das Obama-Camp ist schnell und postet eine brillante Gegendarstellung mit der Unterschrift: „Dieser Stuhl ist bereits besetzt“.

Quelle: Twitter.com/BarackObama

Das Online-Fiasko ist sofort messbar: Mit dem Twitter-Index werden die Gefühlswelt der politisch interessierten Nutzer in Zusammenarbeit mit der Tageszeitung USAToday.com gemessen und die Stimmungslage visuell auf einer Skala von 1-100 dargestellt. Obwohl es wenige Informationen darüber gibt, wie gemessen wird, werden die resultierenden Zahlen laut Adam Sharp, Twitters Direktor für “Government News and Social Innovation” der Gallup-Umfrage-Qualität gleichgesetzt. Twindex misst, ob die Online-Gemeinde positiv oder negativ über die beiden Kandidaten tweetet. Alle Werte über 50 sind ein Indikator für eine positive Stimmungslage. Wurde Romney noch am ersten Parteitag mit einem Wert von 60 positiv besprochen, hat sich die Stimmung während des „Eastwooding“-Skandals schnell umgekehrt und sein Twindex fiel auf 35:

Quelle: election.twitter.com (31. August 2012)

Das gesamte Twitter-Archiv wird so in einer visuell ansprechenden Form in der oben gezeigten Graphik analysiert. Jedoch ist unklar, wie verlässlich diese Repräsentation ist. Twitter erläutert nicht, ob Twitterbots mit einbezogen werden, die zu tausenden automatisch Romney’s Twitterprofil folgen, oder ob ironisch gemeinte Tweets als positiv bewertet werden. Zur Zeit nutzen laut einer Pew Umfrage ca. 8% der Amerikaner, die online aktiv sind, Twitter. Sind also ebenso viele Schwarze, Latinos und Asiatisch-stämmige Amerikaner auf Twitter vertreten wie in der wahlberechtigten Bevölkerung? Diese Fragen bleiben offen und erst am Wahlabend wird klar werden, inwieweit die Online-Gemeinde die tatsächliche Stimmung der Wähler wiederspiegelt.

Die Lehren die aus dem GOP-Parteitag gezogen werden können: Twitter verstärkt jedes Wahlkampffiasko. Jeder Fehltritt wird unaufhaltbar in Online-Lawinen verteilt.

 

Dr. Ines Mergel ist Professorin für Verwaltungswissenschaften an der Maxwell School of Citizenship and Public Affairs (USA) und twittert über die Nutzung von sozialen Medien.

 

Mitt Romneys wichtigste Rede – erste Eindrücke und Fakten

Viel Kitsch, viele Emotionen und viel Entertainment – das war in den letzten Tagen in Tampa, Florida, auf dem Parteitag der Republikaner geboten. Ihr Präsidentschaftskandidat Mitt Romney ist bei seiner Rede zweifelsohne weniger hölzern aufgetreten als zuvor. Emotional und patriotisch; nach den geltenden Regeln amerikanischer Parteitage ein solider Auftritt. Doch wie ist die Krönungsmesse des Mitt Romney nüchtern betrachtet zu bewerten?

Die reinen Fakten sprechen auf den ersten Blick nicht für ihn: Seit 1900 haben nur fünf Herausforderer gegen amtierende Präsidenten gewonnen, 14-mal siegte der Amtsinhaber. Die Wirtschaftsdaten, der entscheidende Indikator für die Leistung der Regierung, erfüllen zwar die Hoffnungen nicht, die Obama im letzten Wahlkampf geweckt hat – aber noch kann Romney dies nicht nutzen. Die schleppende Wirtschaft wird zumindest momentan noch eher Obamas Vorgänger, George W. Bush, angekreidet und nicht dem derzeitigen Präsidenten.

Auch Romneys innerparteiliche Unterstützung war bislang wenig solide. Dies lässt sich unter anderem an den „Endorsements“ ablesen, an den verbalen Unterstützungen, die aus den eigenen Parteireihen kommen Die aufgeführte Graphik zeigt vergleichend auf, dass es Romney hier vor dem Parteitag sehr deutlich an Unterstützung aus den eigenen Reihen mangelte.

Dies war somit eine der wichtigsten Funktionen des Parteitages überhaupt: Die eigenen Parteifreunde überzeugen. Und immerhin: Nicht nur Vize-Kandidat Paul Ryan als Hardliner und Liebling der Tea-Party, sondern auch Hoffnungsträger des moderaten Flügels wie Chris Christie oder Marco Rubio hatten symbolträchtige Auftritte. Dass derart exponierte Rolle zugleich Risiken bergen können, zeigt Vizepräsidentschaftskandidat Ryan. Mit steigendem Bekanntheitsgrad ging ein sinkender Beliebtheitsgrad einher:

Nichtsdestotrotz versammelte sich in Tampa ein breites Feld an Unterstützern für Mitt Romney, das neben jungen und arrivierten Stars der Partei auch einige der ehemaligen Konkurrenten um die Nominierung umfasste. Romney ist so seinem Ziel näher gekommen: Er wird aus allen Teilen der Partei sichtbar unterstützt – auch wenn es zugleich noch immer kaum übersehbare Skepsis geben mag.

Das zeigt: Mitt Romney ist nicht zu unterschätzen, obwohl (oder gerade weil?) er die Herzen nicht im Sturm erobert, aber beharrlich daran arbeitet, diese Schwäche auszugleichen. Er hat sich im Vorwahlkampf um die Nominierung gegen ein Feld an Mitkonkurrenten durchgesetzt, das man beachtlich nennen muss (u.a. fünf ehemalige Gouverneure, zwei Abgeordnete des Repräsentantenhauses, ein ehemaliger Senator), auch wenn einige profilierte Republikaner wie die oben genannten nicht antraten, sondern bereits auf 2016 blicken.

Durch seine Kandidatur im Jahre 2008 genoss er schon früh im Wahlkampf einen hohen Bekanntsheitsgrad, der zwar auch zwiespältig sein kann, aber vor allem für das Einwerbung von Spenden von enorm hoher Bedeutung ist. Daraus, ebenso wie aus dem Vorwahlkampf, hat er viel gelernt. Er musste bereits auf viele kritische Äußerungen zu seiner Person, seine Karriere als Hedge-Funds-Manager, seine Religion, sein Elternhaus, seine Bilanz als Gouverneur von Massachusetts und vieles mehr reagieren und ist dadurch bestens vorbereitet auf das, was im Herbst auf ihn zukommen wird.

Ohne Frage: Er ist kein rhetorisches Talent, ihm fehlen Erfahrung und politisches Profil in vielen Bereichen. Aber haben wir das nicht schon einmal gesehen? Mit einer geölten Wahlkampfmaschinerie trat 2000 ein politischer Neuling aus gleichsam gutem und traditionsreichem Hause auf die Bühne und nahm den Kampf gegen ein wahres Schwergewicht der Demokratischen Partei und international anerkannten Umweltschützer auf – der Rest der Geschichte ist bekannt. Diese Erfahrung steckt den Demokraten noch in den Knochen…

 

Die Daten sind entnommen aus der Studie „The Gamble: Choice and Chance in the 2012 Presidential Election“ von John Sides und Lynn Vavreck.

 

 

Die 30-Millionen-Dollar-Rede

Endlich Ruhe. Nach sieben Vorwahlen sowie sage und schreibe neunzehn TV-Debatten, die zeitweise nur durch unfreiwillige Komik begeistern konnten, gönnt die Republikanische Partei sich und der amerikanischen Bevölkerung einen Moment des Durchatmens. Morgen wird noch ein vorläufiges Ergebnis der Caucuses im US-Bundesstaat Maine veröffentlicht (dort erstrecken sich die Vorwahlen über mehrere Wochen, daher ist es kein Endergebnis). Danach ist zweieinhalb Wochen Pause – die längste im großen, bunten Vorwahlzirkus.

Endlich Ruhe? Mitnichten! Die Vorwahlen in den USA sind in ihrer entscheidenden Phase. Und zwar gerade, weil derzeit scheinbar nicht viel passiert. Es sind keine Delegiertenstimmen zu holen und das Medienecho ebbt ein wenig ab. Genau darin besteht aber die große Herausforderung für die Kandidaten: Sie müssen präsent bleiben, sich im Spiel halten. Denn nach der Pause folgen zwei Vorwahlen am 28.2., eine weitere am 3.3. und am 6.3. dann der „Super Tuesday“ mit Abstimmungen in elf Staaten. An diesem Tag, so schätzen viele, werden entscheidende Weichen gestellt. Schwächen kann sich hier niemand erlauben.

Die Kandidaten sprechen dieser Tage – je nach Ausgangsposition – davon, „Momentum“ generieren oder erhalten zu wollen. Das geht nur mit Werbung. Und dafür kommt es ganz entscheidend auf finanzielle Ressourcen an. Jeder Dollar, der in TV-Spots etc. investiert wird, kann sich auszahlen. In der Zeit kurz vor den ersten Vorwahlen beispielsweise haben Unterstützer von Mitt Romney dessen schärfsten Konkurrenten Newt Gingrich mittels negativer Kampagnen massiv angegriffen; der Effekt war anhand Gingrichs sinkender Umfragewerte klar erkennbar.

Diese Materialschlacht dominiert den Wahlkampf. Und wer sie gewinnt, scheint klar zu sein. Die Federal Election Commission hat unlängst offengelegt, wie viel Spendengeld die Unterstützerorganisationen der einzelnen Kandidaten im Jahr 2011 erhalten haben. Diese Zuwendungen sind im Gegensatz zu direkten Spenden an die Kandidaten nicht reguliert und so übersteigen die Ressourcen dieser formal unabhängigen Gruppierungen jene der Kandidaten bei weitem – kurz gesagt: Hier spielt die Musik.

Das Ergebnis war zu erwarten und ist deutlich. Die Gruppe um Mitt Romney hatte Ende 2011 mit Abstand am meisten Geld zur Verfügung, über 30 Millionen Dollar; Newt Gingrichs Komitee lag bei zwei Millionen (hat aber nach Ende der Berichtsperiode eine große Einzelspende erhalten), diejenigen von Rick Santorum und Ron Paul konnten jeweils rund eine Million zusammenkratzen.

Wie lässt sich solch ein Vorsprung kompensieren? Das einzige verbleibende demokratische Korrektiv im Bereich der Medien ist ausgerechnet die TV-Debatte. Hier herrscht Waffengleichheit, die Kandidaten begegnen sich auf Augenhöhe. So konnte sich beispielsweise Newt Gingrich mit überzeugenden Auftritten gegen die Attacken aus dem Romney-Lager zur Wehr setzen und prompt wieder an Zustimmung gewinnen.

Die schlechte Nachricht für Romneys finanziell minderbemittelte Herausforderer ist allerdings, dass es in der anstehenden Vorwahl-Pause bis Ende Februar nur eine Fernsehdebatte geben wird. Diese Chance müssen sie nutzen. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die Fernsehzuschauer angesichts der mittlerweile zwanzigsten Debatte mehr und mehr ermüden. Aber es hilft nichts: Wer gewinnen möchte, muss am 22.2. live auf CNN eine flammende Rede abliefern, die rund 30 Millionen Dollar wert ist…

 

Mögen die Spiele beginnen!

Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA sieht seinem ersten offiziellen Akt entgegen: Heute findet die erste einer Serie von Vorwahlen statt. In diesen sogenannten „Primaries“ werden die Gremien der Republikanischen Partei in jedem Staat bestimmen, welche Kandidaten auf dem nationalen Nominierungsparteitag unterstützt werden sollen. Der Sieger, die Siegerin wird gegen Präsident Barack Obama antreten.

Soweit die nüchterne Theorie. In der Praxis jedoch ist für die kommenden Monate einmal mehr ein großes Wahlkampfspektakel zu erwarten, das für viele Beobachter sinnbildlich für die politischen Verhältnisse in den USA steht: Einige der entscheidenden Zutaten sind Geld, Emotionen und viel Show. Schon seit Sommer letzten Jahres stehen die republikanischen Präsidentschaftskandidaten in einem kontinuierlichen Schlagabtausch. Intensive Medienberichterstattung und zahlreiche TV-Duelle haben schnelle Aufstiege in den Umfragen ebenso ermöglicht wie jähe Abstürze.

Derzeit erlebt die Kampagnenarbeit einen Höhepunkt: Täglich sind die sieben Kandidaten medial präsent, zugleich absolvieren sie einen Marathon an Veranstaltungen in den als wichtig herausgedeuteten Vorwahlstaaten – und es geht beileibe nicht nur darum, sich und seine politischen Überzeugungen vorzustellen. Oft bestimmt „negative campaigning“ das Geschehen, beispielsweise setzen sich TV-Spots mit dem Privatleben eines Kandidaten auseinander; dazu kommen Konkurrenzkämpfe zwischen den Teams, etwa in Form von gegenseitigen Abwerbungen von Kampagnenmanagern. Auch die politischen Inhalte der Kandidaten müssen der Medienlogik gehorchen und insbesondere klar, einfach und erkennbar sein.

Man kann diese Art des Wahlkampfes skeptisch sehen und argumentieren, dass sie den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit primär auf Personen lenkt. Diesen wiederum wird dadurch nahe gelegt, exponierte und wenig ausbalancierte politischen Positionen zu vertreten. Dies, so könnte man ergänzen, ist derzeit besonders ungünstig, da in den USA in Zeiten von Finanzkrise und gesellschaftlichen Konflikten politische Kompromisse und Handlungsfähigkeit dringend gebraucht würden. Allerdings scheint der polarisierende Dauerwahlkampf nahezu alternativlos zu sein. Und die Ursachen dafür liegen nicht allein bei den beteiligten Politikern, sondern sind auch systemischer Natur: Eine wichtige Rolle spielen die Konzeption der Primaries selbst und die Regelungen zur Wahlkampffinanzierung.

Die Primaries in ihrer Gänze zu erklären, ist kaum möglich. In manchen Staaten finden Vorwahlen statt, die im Prinzip einer gewöhnlichen geheimen Wahl entsprechen; in anderen Staaten hingegen werden „Caucuses“ abgehalten: Diskussionsforen, in denen Bürger zusammenkommen und gemeinsam entscheiden, wen sie unterstützen wollen. Innerhalb dieser Formate gibt es weitere Unterscheidungen: Manchmal darf jeder Bürger abstimmen, manchmal nur jene, die als Wähler der Republikaner registriert sind; die Stimmen des jeweiligen Staates werden dann entweder alle dem erstplatzierten Kandidaten zugeschlagen, oder entsprechend des genauen Ergebnisses proportional verteilt; auf den Wahlzetteln stehen entweder die Präsidentschaftskandidaten selbst oder die Wahlmänner, die zum Nominierungsparteitag entsandt werden sollen; und diese Wahlmänner sind in manchen Fällen frei in ihrer Entscheidung, manchmal jedoch an das Votum der Wähler gebunden.

Klar ist bei aller Unübersichtlichkeit jedoch eines: Es ist eine kurz getaktete Serie von Vorwahlentscheidungen, bei der es auf jeder Etappe Gewinner und Verlierer geben wird. Dass diese klar benannt werden, ist im Interesse der Wähler, der Medien und der Geldgeber. Es führt jedoch auch dazu, dass der gesamte politische Diskurs stark auf kurzfristige Effekte ausgelegt sein wird.

Und diese Effekte werden insbesondere mit Blick auf die finanzielle Unterstützung durch Geldgeber dringend gebraucht – womit die zweite systemische Komponente angesprochen ist. Kampagnen in den USA waren schon immer stark von den Ressourcen bestimmt, welche die Kandidaten aufbringen konnten. Wer seine Botschaft breit streuen kann, sichert sich einen Platz im Hinterkopf der Wähler; wer sich Medienpräsenz kaufen kann, hat damit eine gewisse Deutungsmacht für aktuelle Ereignisse. Diese Logik hat sich weiter verschärft, seit das oberste Gericht, der Supreme Court, jüngst entschieden hat, dass bestimmte politische Gruppierungen (die sogenannten „Super PACs“, wobei PAC für „political action committees“ steht) unbegrenzt Spendengelder sammeln und dafür einsetzen können, ihre Positionen deutlich zu machen. Die entspreche dem Recht auf Meinungsfreiheit.

Der Supreme Court hat zwar einschränkend hinzugefügt, dass solche Gruppen eigenständig operieren und sich daher nicht mit den Kandidaten, welche sie unterstützen möchten, abstimmen dürfen. Aber diese Vorschrift zu umgehen ist ein Leichtes. Beispielsweise sind mittlerweile ehemalige Berater der Kandidaten als Direktoren solcher Gruppierungen installiert worden – und diese Leute müssen sich nicht offiziell mit den Wahlkampfteams der Kandidaten beraten, um zu wissen, wie sie diese unterstützen können.

Wenn man diese kuriose Regelung der Wahlkampffinanzierung mit dem System der Vorwahlen kombiniert, werden die Dimensionen deutlich, die der Wahlkampf 2012 annehmen kann. Dass den Bürgern eine große Menge an Informationen vermittelt wird, ist zunächst einmal natürlich begrüßenswert. Durch die Unterschiede in den verfügbaren finanziellen Mitteln sind aber gewisse Schieflagen zu erwarten: Manche Kandidaten haben schlichtweg größere Kapazitäten als andere und die Serie der Primaries gibt ihnen immer wieder die Möglichkeit, diese Vorteile auszuspielen.

Das kann man den handelnden Personen kaum verdenken. Für die demokratische Qualität und für die politische Handlungsfähigkeit des Landes im Wahljahr ist dieser Zustand des polarisierenden, ressourcenintensiven Dauerwahlkampfes jedoch alles andere als optimal. Angebracht wäre es, in einer stillen Minute einmal über das System selbst nachzudenken und möglicherweise einige der bestehenden Regelungen zu überprüfen. Dies würde allerdings nicht zuletzt dem Willen einflussreicher Geldgeber widersprechen.