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Große Koalition an der Saar, oder was nun?

Die Parteien sind schon dabei, die Weichen für 2013 zu stellen: Im Saarland möchte die Bundes-SPD nach dem Ende des Jamaika-Bündnisses, als neueste Variante, allenfalls eine Koalition mit der CDU auf begrenzte Zeit. Denn die Führungsgenossen im Willy-Brandt-Haus wissen, dass Große Koalitionen in aller Regel bei den nächsten Wahlen dem Juniorpartner mehr schaden. Und das wäre im Moment die SPD.

Deshalb drängt die strategisch vorausdenkende Generalsekretärin Andrea Nahles auf möglichst baldige Neuwahlen im kleinsten Bundesland. Die SPD liegt nämlich in Umfragen dort derzeit (noch) vorne und kann daher hoffen, nach einer Art Übergangsregierung mit der CDU künftig den Ministerpräsidenten zu stellen – egal in welcher Konstellation.

Der Landesvorsitzende Heiko Maas dagegen möchte eine Neuwahl eigentlich meiden: Er ist schon zweimal als Spitzenkandidat gescheitert (2009 an den Grünen, die sich statt für Rot-Rot-Grün für Jamaika entschieden) und fürchtet, eine dritte Niederlage wäre sein politisches Ende. Daher möchte er lieber die Chance ergreifen, jetzt wenigstens Vize und „Superminister“ unter der CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer zu werden. Nach dem Motto: Besser der Spatz in der Hand…

Die Linie gibt aber ganz offensichtlich nicht er vor, sondern die Parteizentrale in Berlin. Und die hat aus den eingangs genannten Gründen – mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 – kein Interesse, ein Signal für Schwarz-Rot zu senden. Sondern, wenn schon, für Rot-Schwarz.

An einer Großen Koalition wird die SPD an der Saar allerdings wohl so oder so nicht vorbeikommen, auch nicht nach Neuwahlen. Denn Oskar Lafontaine, der Landesfraktionschef und immer noch un-heimliche Vorsitzende der Linken, hat klargestellt, seine Partei stehe für ein rot-rot-grünes Bündnis nicht mehr zur Verfügung. Auch er will offenkundig für 2013 schon mal ein Zeichen setzen. Seine Rache an der SPD, seiner alten geliebt-gehassten Partei, währt ewig.

All das bestätigt meine Prognose: 2013 wird es auch im Bund wahrscheinlich nur um die Frage gehen: Schwarz-Rot oder Rot-Schwarz, Merkel oder Steinbrück/Steinmeier/Gabriel.

 

Jamaika an der Saar?

Das Aufkommen der Linkspartei hat den Grünen im Saarland (wie auch anderswo) eine interessante strategische Option geboten und es scheint, als wolle die Partei die Gelegenheit nutzen. Durch ihre Zurückhaltung in Koalitionsfragen und eine deutliche Emanzipation von der SPD konnten sich die Grünen in letzter Zeit zunehmend als unabhängige Größe zwischen CDU und FDP einerseits und SPD und Linkspartei andererseits positionieren.

Man könnte also sagen, dass die Grünen auf dem Weg sind, die neue FDP zu werden. Schon vor einiger Zeit haben die Grünen die FDP als „Partei der Besserverdiener“ abgelöst und sind also für entsprechende Wählergruppen attraktiv. Neu ist nun die strategische Komponente: Die Grünen haben die Position im Parteiengefüge eingenommen, die für die FDP (insbesondere auf Bundesebene) früher charakteristisch war. Sie befinden sich zwischen dem bürgerlichen und dem linken Lager, die im Saarland beide mit jeweils ca. 45% der Stimmen rechnen können und somit beide sind für eine Regierungsbildung auf die Unterstützung der Grünen angewiesen sind.

Die Grünen richten ihren Wahlkampf folgerichtig auf die Verhinderung einer Großen Koalition aus – eine populäre Forderung, die zugleich keine Festlegung der Partei verlangt (auf Nachfrage wird vom Spitzenkandidaten der Grünen die rechnerisch kaum mögliche Ampelkoalition als Präferenz genannt). Natürlich wird die Frage, welchem Bündnis man sich anschließen möchte, nach der Wahl unvermeidlich sein. Sicher scheint aber schon heute, dass die Entscheidung darüber nicht aus dem Bauch heraus getroffen wird, sondern vom strategischen Kalkül der Partei geprägt sein wird. Strategieentscheidungen wiederum sind immer an den Ergebnissen orientiert, die man erreichen möchte. Für eine erste vorsichtige Einschätzung des Verhaltens der saarländischen Grünen nach der Wahl lohnt daher ein Blick auf ihre vermeintlichen Ziele.

Die Politikwissenschaft schreibt Parteien drei zentrale Ziele zu: das Gewinnen möglichst vieler Stimmen, das Besetzen möglichst vieler Ämter und das Durchsetzen möglichst vieler Punkte des Parteiprogramms. Der Erfolg oder Misserfolg bezüglich der errungenen Stimmen steht am Wahltag fest, wichtige Faktoren für die Entscheidung in der Koalitionsfrage sind somit vor allem die zu besetzenden Ämter und die politischen Vorhaben, die man verwirklichen möchte.

Bezüglich der politischen Inhalte fällt eine Einschätzung schwer: Die Grünen kritisieren zwar Seite an Seite mit SPD und Linkspartei die CDU-Regierung, beispielsweise in der Bildungspolitik, andererseits hat aber ein anderes Herzensthema, die Energiepolitik, zu Verstimmungen mit der SPD geführt. Hier scheinen die Grünen dem amtierenden CDU-Umweltminister näher zu stehen als dem in die Kritik geratenen Schattenumweltminister der SPD.

Für die Frage der Ämtervergabe scheint die Jamaika-Option attraktiver zu sein als das Linksbündnis mit SPD und Linkspartei. Eine Betrachtung der bisherigen Dreierbündnisse auf Landesebene (die „Ampeln“ in Brandenburg und Bremen Anfang der 90er Jahre) zeigt, dass in solchen Koalitionen die beiden kleineren Parteien am Kabinettstisch leicht überproportional vertreten waren (siehe Graphik). Lediglich die Bremer Grünen stellten 1991 in der Koalition prozentual gesehen weniger Senatoren als Abgeordnete, allerdings wurde 1993 ein FDP-Senator durch ein Mitglied der Grünen ersetzt.

Ein Bündnis zwischen zwei größeren und einer kleineren Partei gab es bisher noch nicht, es darf aber vermutet werden, dass die Grünen in einem solchen Szenario nicht nur bezüglich der Quantität sondern vor allem auch bezüglich der Qualität der besetzten Ämter die klare Nummer drei sein würden. Beispielsweise würde das wichtige Amt des/der stellvertretenden Ministerpräsident/in, das in einem Jamaika-Bündnis im Bereich des Möglichen liegt, in einem Linksbündnis in weite Ferne rücken.

Die politischen Verhältnisse im Saarland sind natürlich nicht auf die Bundesebene übertragbar. Allerdings könnte sich das Land nach der Wahl am 30. August hervorragend dafür eignen, koalitionspolitische Testballons steigen zu lassen…

 

Der Oskar-Code

Der Wahlkampf im Saarland nimmt außergewöhnliche Züge an. Der ehemalige SPD-Ministerpräsident Reinhard Klimmt organisiert derzeit eine Unterschriften-Aktion für Heiko Maas, in der sich alle ehemaligen SPD-Minister des Landes offen zum SPD-Kandidaten bekennen sollen. In jedem anderen Bundesland käme dies einem Offenbarungseid gleich, schließlich sollte die Unterstützung ehemaliger Minister für ihre Partei eine Selbstverständlichkeit sein. Im saarländischen Wahlkampf 2009 könnte dieses Signal an die Wählerschaft jedoch tatsächlich den gewünschten Effekt entfalten: Es geht darum, die zur Linkspartei abgewanderten Wähler wieder für die SPD zu gewinnen.

Das Kalkül lautet folgendermaßen: Viele Wähler sind auch deshalb bereit, die Linke zu wählen, weil diese Partei in Person des ehemaligen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine die politischen Erfolge vergangener SPD-Regierungen für sich reklamiert. Daher gilt es nun klar zu machen, dass diese Erfolge nicht auf die Person Lafontaine, sondern auf die Regierungspartei SPD zurückzuführen sind. Stellvertretend dafür werden die sozialdemokratischen Kabinettsmitglieder der Lafontaine-Ära angeführt, die die damaligen politischen Entscheidungen geschultert und verantwortet haben.

Das Stimmenpotenzial, das dieser Frage innewohnt, lässt sich erahnen, wenn man das saarländische Ergebnis der Europawahl der jüngsten Umfrage zu Landtagswahl von Infratest dimap gegenüberstellt und sich dabei vor Augen hält, dass die Zugkraft des Spitzenkandidaten Lafontaine auf Landesebene sehr viel größer ist als im Rahmen der Europawahl.

Saarländische Umfrage- und Wahlergebnisse im Vergleich

Angaben in Prozent. Quellen: Infratest dimap und Bundeswahlleiter.

Es zeigt sich, dass die Linkspartei bei der Europawahl sechs Prozentpunkte weniger erreicht hat, als ihr in Umfragen zur Landtagswahl zugetraut wird. Davon konnte jedoch keine der etablierten Parteien profitieren, stattdessen teilen sich diese sechs Prozentpunkte unter den kleinen Parteien auf. Beispielsweise konnten die Freien Wähler, die Piraten- und die Rentnerpartei aus dem Stand zusammen knapp drei Prozent der Stimmen erringen.

Diese Differenz zwischen Umfragedaten und Wahlergebnis der Linkspartei kann natürlich nicht allein auf das Zugpferd Lafontaine zurückgeführt werden, schließlich standen bei der Europawahl nicht nur andere Personen, sondern auch andere Themen im Vordergrund. Ein weiteres klassisches Argument gegen die Übertragbarkeit von Europawahlergebnissen auf die Landesebene ist die zumeist deutlich höhere Wahlbeteiligung bei Landtagswahlen. Dies ist hier jedoch nicht gegeben, das Saarland konnte bei der Europawahl mit 58,6% die höchste Wahlbeteiligung aller Bundesländer verzeichnen. Bei der letzten Landtagswahl 2004 sind 55,5% der Wahlberechtigten an die Urnen gegangen.

So liegt die Vermutung nahe, dass tatsächlich einige Saarländer eher Oskar Lafontaine als der Linkspartei als solcher zugeneigt sind. Diese Menschen haben an der Europawahl nicht teilgenommen, weil keine Partei sie ansprechen konnte. Es bleibt die entscheidende Frage: Wie knackt man den Oskar-Code?

 

Das Saarland sucht seine Mitte

Oskar Lafontaine ist seit Samstag offiziell Spitzenkandidat der saarländischen Linken – für die Bundestagswahl im September ebenso wie für die Landtagswahl im August. Und auch sonst deutet vieles darauf hin, dass die Wahl im Saarland eng mit der Bundestagswahl einen Monat später verwoben sein wird und von Saarbrücken aus wichtige Signale nach Berlin gesendet werden – gerade auch mit Blick auf das schwierige Verhältnis der SPD zur Linkspartei.

Bei der Wahl am 30. August könnte erstmals in einem westdeutschen Bundesland die Linkspartei vor der SPD landen, erstmals hat neben den Spitzenkandidaten der Volksparteien CDU und SPD noch eine dritte Person realistische Aussichten, Ministerpräsident zu werden. Eine aktuelle Emnid-Umfrage vom vergangenen Donnerstag hat ermittelt, dass die CDU derzeit auf 38 Prozent käme, SPD und Linke annähernd gleichauf bei 23 bzw. 22 Prozent lägen und auch FDP (8 Prozent) und Grüne (5 Prozent) in den Landtag einziehen würden. Es ist also vollkommen offen, ob es eine linke oder eine bürgerliche Mehrheit geben wird und welche der linken Parteien die stärkste werden wird.

Diese Sondersituation spiegelt sich auch im Wahlkampf wider: Man konnte zunächst den Eindruck gewinnen, dass sich auch die Parteistrategen noch nicht mit den besonderen Spielregeln dieser Schachpartie mit drei Königen angefreundet haben. Der Schwerpunkt der Bemühungen lag ganz klassisch auf der Mobilisierung des eigenen Lagers, man betrieb Selbstdefinition durch Abgrenzung (Heiko Maas gegenüber seinem politischen Ziehvater Lafontaine, die CDU gegenüber einem möglichen Linksbündnis). Das offensive Werben um Wähler aus der Mitte oder anderen Lagern schien dabei zeitweilig in den Hintergrund zu rücken. Solche Beobachtungen finden sich auch in der Parteiensystemforschung: Nach Giovanni Sartori setzen Parteien insbesondere dann auf die Mobilisierung des eigenen Lagers, wenn es viele relevante Parteien gibt und die politische Mitte der Gesellschaft somit zu eng zu werden droht. Im Falle des Saarlandes könnten dieses Jahr fünf Parteien in den Landtag einziehen, so viele wie seit über vierzig Jahren nicht mehr.

Schritt für Schritt beginnen die Saar-Parteien nun, auch außerhalb des eigenen Lagers um Stimmen zu werben. Einer der ersten Schauplätze hierfür ist die Bildungspolitik. Das ist nicht überraschend, da dies eines der zentralen Wahlkampfthemen sowohl der SPD als auch der Linkspartei ist – dementsprechend müssen sich hier auch Ministerpräsident Peter Müller und die CDU erkennbar positionieren. Ein interessantes Beispiel ist die Maßnahme der Regierung zur Entlastung der Studierenden, indem das Land die Zinsen auf Studiengebührendarlehen übernimmt. Natürlich geht dieser Schritt den Gegnern von Studiengebühren noch nicht weit genug. Viele Studentinnen und Studenten werden sich aber über diese Unterstützung freuen, die auch von Befürwortern der Studiengebühren mitgetragen werden kann – aus Wahlkampfperspektive also eine gelungene Kombination aus Öffnung zur Mitte und Berücksichtigung der Interessen der Anhängerschaft. Die SPD hat nachgelegt und prangert unter anderem in einem aktuellen YouTube-Clip die Schulpolitik der Regierung Müller an:

Zugleich wendet sich aber auch ihr Spitzenkandidat Heiko Maas in einem anderen, viel beachteten Spot an die politische Mitte, in dem er in landesväterlicher Manier die Heißsporne Müller und Lafontaine zur Vernunft ruft. Auch die SPD übt also den Spagat, der sich daraus ergibt, dass man zum einen die eigenen Anhänger bedienen und zum anderen als Volkspartei für alle wählbar sein möchte.

Einzig die Linkspartei bewegt sich nicht erkennbar auf die Mitte zu – sie verweist auf bereits bestehende Übereinstimmungen mit der SPD und scheint überdies zu hoffen, dass ihr die Mitte entgegen kommt. Dies ist nicht unplausibel: Kurz vor der Wahl werden die Kandidaten und damit auch der populäre Oskar Lafontaine im Mittelpunkt stehen, zudem wird aktuellen Vorhersagen zufolge die Wirtschaftskrise im Sommer endgültig in Deutschland ankommen und die Arbeitslosenzahlen steigen lassen. Vielleicht setzt dann der lange erwartete Schub für die Linkspartei ein, der Unentschlossene überzeugen und die politische Mitte des Saarlandes erneut verschieben könnte.