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Signifikante Verschiebungen? Die programmatischen Positionen der Bundestagsparteien zu den Wahlen 2009 und 2013 im Vergleich

Nachdem nun alle im Bundestag vertretenen Parteien ihre Wahlprogramme zur Bundestagswahl am 22. September 2013 veröffentlicht haben, bietet es sich an, einen Vergleich zwischen den in den aktuellen Wahlprogrammen eingenommenen programmatischen Positionen der Parteien mit denjenigen zur Bundestagswahl 2009 vorzunehmen. So kann der Frage nachgegangen werden, ob sich die inhaltlichen Ausrichtungen der Parteien entscheidend verschoben haben oder nicht und was dies für Konsequenzen für die Regierungsbildung im Herbst haben könnte.

Hierzu nehmen wir eine computergestützte Inhaltsanalyse der Wahlprogramme von Union, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken zu den Bundestagswahlen 2009 und 2013 auf Basis des „wordscores“-Verfahrens vor. Dieses Verfahren basiert auf der relativen Worthäufigkeit in den jeweiligen Dokumenten. Grundlegende Idee dieser Methodik ist es, dass die Sprache und damit die Wortwahl in programmatischen Dokumenten von Parteien nicht zufällig erfolgt, sondern vielmehr dazu dient, den Wählern und den Mitbewerbern schnell erkennbare Zeichen der eigenen programmatischen Verortung zuzusenden. Die mit Hilfe dieses Verfahrens ermittelten Positionen der Wahlprogramme aus dem Jahr 2009 auf einer wirtschaftspolitischen Links-Rechts-Dimension sowie einer Konfliktlinie, die zwischen progressiven und konservativen Positionen in Fragen der Gesellschaftspolitik unterscheidet, dienen hierbei als Ankerpunkte zur Ermittlung der programmatischen Positionen in den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2013.

Die folgende Abbildung zeigt die Ergebnisse. Demnach gibt es durchaus Verschiebungen in den Positionen der Bundestagsparteien zwischen 2009 und 2013. Den markantesten programmatischen Wandel haben die Freien Demokraten durchgemacht. Waren sie in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen 2009 (und auch zu früheren Bundestagswahlen) explizit wirtschaftsliberal ausgerichtet, so hat die FDP zur Wahl 2013 ihre Haltung in diesem Politikfeld deutlich abgemildert und nimmt nun eine ähnliche Position wie die Union ein. CDU und CSU haben hingegen vor allem ihre Position in der Gesellschaftspolitik verschoben und sind auf dieser Politikdimension weiter in die Mitte gerückt. Möglicherweise spiegelt sich hier die Schwächung des konservativen Flügels, der seit dem Beginn der Kanzlerschaft Angela Merkels beobachtet werden kann, innerhalb der Union wider. Während die Sozialdemokraten den Ergebnissen zufolge ihre programmatische Ausrichtung kaum verändert haben, so zeigt sich bei Grünen und Linken insbesondere in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen eine Verschiebung hin zu „linkeren“ Positionen und damit für einen stärker in das Wirtschaftsgeschehen eingreifenden Staat.

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Was implizieren diese programmatischen Verschiebungen für den Regierungsbildungsprozess nach der Bundestagswahl? Wenn Parteien gemäß ihrer inhaltlichen Ausrichtung Koalitionen bilden, was sie auf der Grundlage zahlreicher Studien sowohl in Deutschland als auch in anderen modernen Demokratien tun, dann ergibt sich zum einen ein sehr kohärentes Lager aus Union und FDP. Hingegen hat sich die programmatische Distanz in einem von SPD und Grünen favorisierten rot-grünen Bündnis im Vergleich zu 2009 deutlich vergrößert. Auch sollten sich – aufgrund der nunmehr stärker links angesiedelten Grünen – die Chancen auf eine ohnehin von den beteiligten Akteuren nicht wirklich herbeigesehnte schwarz-grüne Koalition wohl kaum erhöht haben. Wenn es am 22. September weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reichen sollte, dann spricht – auf der Grundlage der hier ermittelten Parteipositionen – vieles für eine Neuauflage der großen Koalition. Alle in den Medien diskutierten Dreierbündnisse wie die Ampelkoalition, ein Jamaika-Bündnis oder eine Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linken, die zudem von mindestens einer der jeweils beteiligten Parteien bereits ausgeschlossen wurden, hätten mit einem deutlich größeren internen programmatischen Konfliktpotential zu kämpfen als Schwarz-Rot.

 

100 Tage bis zur Wahl – es ist alles drin!

In vielen Talkshows, Vorträgen, Gesprächsrunden wird man schon fast rhetorisch gefragt: Der Wahlkampf ist doch eigentlich gelaufen, oder? Die SPD bewegt sich nicht aus ihrem (Kandidaten-)Tief, Merkel erscheint unantastbar, Piraten gekentert, die AfD kommt auch nicht so ganz in Schwung. Eine aktuelle Forsa-Umfrage belegt das, die Stagnation der Umfragewerte im Zeitverlauf ist beeindruckend.

Aber Umfragen beziehen sich eben immer auf das Hier und Jetzt. Daraus allerdings schon das Ergebnis für den 22.September 2013 herzuleiten, ist zu kurz gegriffen. „Campaigns do matter!“ Wahlkämpfe machen einen Unterschied, natürlich in Abhängigkeit ihrer Ausgestaltung. Das haben wir bei Barack Obama während seines Endspurtes im letzten Jahr erlebt: Er hat es als einer der ganz wenigen Amtsinhaber in den USA geschafft, trotz wirtschaftlichen Gegenwinds wiedergewählt zu werden.

Der Blick auf die letzten drei Wahlkämpfe in Deutschland zeigt, welche Entwicklungen noch möglich sind. Im Sommer 2002 war die Union im Umfragehoch bei 40%, eingefahren hat sie am 20. September immerhin 38,5%. Die SPD lag im Sommer bei 35%, auch sie landete bei 38,5% – dieses Fotofinish sicherte dem damaligen Kanzler und seiner rot-grünen Koalition eine zweite Amtszeit. Im Wahlkampf 2005 verlor die Union über den Sommer einen Vorsprung von satten 15 Prozentpunkten. Im Sommer noch bei 44% landeten CDU und CSU am Wahltag lediglich bei 35,2%; die SPD, im Sommer noch bei 29%, fuhr mit 34,2% ein lange Zeit nicht für möglich gehaltenes Ergebnis ein.

Ein anderes Bild zeichnet die Erfahrung aus dem Jahr 2009: In diesem Bundestagswahlkampf verlor die Union in den letzten 100 Tagen lediglich 3,2 Prozentpunkte und fiel von 37% auf 33,8%; der SPD wiederum gelang es im Wahlkampf nicht, an die zurückliegenden Aufholjagden anzuknüpfen: Auch sie verlor über den Sommer sogar noch zwei Prozentpunkte, von 25% auf ein Wahlergebnis von 23%.

Union und SPD im Wahlkampf: Entwicklung in den je zehn letzten Umfragen vor den Wahlen 2002, 2005 und 2009

10 Wahlumfragen

(Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, Zeitraum: Ende Mai/Anfang Juni bis ca. eine Woche vor der Wahl)

Die Daten zeigen: Es ist möglich, im Wahlkampf viel Boden gut zu machen, aber dazu gehören eine intelligente Strategie, ein gutes Team und überzeugende Inhalte. Gerade in diesem Jahr wird gelten, was in den USA so treffend mit „Get out the Vote!“ beschrieben wird: Die Bürger sind nicht wirklich überzeugt von den Alternativen, aber sie sind deswegen noch lange nicht unpolitisch. Gute Argumente können also durchaus einen Mobilisierungseffekt haben, wenn die Ansprache passt.

Die Formen der Ansprache verändern sich ständig. Keine Partei kann sich daher auf frühere Erfolge im Wahlkampf verlassen – aber eben auch nicht auf aktuellen Umfragedaten ausruhen. Denn vieles ist möglich, und es wird mit Sicherheit nicht vorgesehene bzw. nicht vorhersehbare Einflüsse geben.

Dass der Wahlkampf zunehmend Fahrt aufnimmt, ist an inhaltlichen Positionierungen der Parteien ebenso zu erkennen, wie an personellen Weichenstellungen. Insbesondere die SPD und ihr Kandidat Peer Steinbrück werden hier zunehmend aktiv – unter anderem mit der Vorstellung des Kompetenzteams. Auch dass aus den Reihen der Union gekontert wird, es handele sich dabei um eine „B-Elf“, ist ein Beweis für die allseits gestiegene Sensibilität für Wahlkampftaktik. Die Maßnahme von Peer Steinbrück, seinen Sprecher auszuwechseln, erinnert wiederum an eine Fußballmannschaft, die in der Krise den Trainer austauscht. Hier wie da bleibt die Frage, wie nachhaltig ein solcher Schritt ist.

Mit Blick auf die strategische Ausrichtung der Kampagne scheint eine personelle Änderung jedenfalls kaum auszureichen. Der SPD gelingt es derzeit nicht, sich überzeugend zu positionieren: Die Partei, der Spitzenkandidat und die Programmatik scheinen auseinanderzudriften. Die Union hingegen wirkt – von wenigen Vorstößen abgesehen – defensiv. Die letzten 100 Tage sind angebrochen und es wäre uns zu wünschen, dass alle Parteien intelligente Wege finden, ihre Positionen und Argumente auf die Straße zu bringen und den Wählern somit zeigen, über welche Fragen sie am 22.9. abstimmen werden.

 

Die bayerischen Verwandten und die Größe des Bundestages

Die bayerische Verwandtenaffäre sorgt für Turbulenzen. Bei Horst Seehofer. Im bayerischen Kabinett. Im bayerischen Landtag. Bundesweit. Auch bei den Bestuhlungsbeauftragten im Deutschen Bundestag.

Warum? 2009 hat die CSU in Bayern alle 45 bayerischen Wahlkreise direkt gewonnen. Am knappsten war es im Münchner Norden – dort gewann der CSU-Kandidat Johannes Singhammer mit einem Vorsprung von nur 0,9 Prozentpunkten vor dem SPD-Kandidaten Alex Berg seinen Wahlkreis. Im Nürnberger Norden – dem zweitknappsten Wahlkreis – hatte die siegreiche Dagmar Wöhrl schon 5,8 Prozentpunkte Vorsprung vor dem dortigen SPD-Kandidaten. Die bayerische Dominanz bei den Wahlkreisen scheint also kaum in Gefahr zu sein – Verwandtenaffäre hin oder her.

Wie sieht es bei den Zweitstimmen aus? Bayernweit hatte die CSU bei der Wahl 2009 42,5 Prozent der Zweitstimmen bekommen. Damit hätten ihr eigentlich nur 42 Mandate zugestanden. Folge? Drei Überhangmandate, denn jeder der 45 siegreichen Wahlkreiskandidaten der CSU darf natürlich – wie jeder andere siegreiche Wahlkreiskandidat auch – in den Bundestag einziehen. Das alleine kann einen gestandenen Bestuhlungsbeauftragten im Deutschen Bundestag aber nicht schocken.

Aber er weiß natürlich um die entscheidende Neuerung bei der Wahl im Herbst dieses Jahres – das neue Wahlrecht. Überhangmandate, die einzelne Parteien erzielen, werden dieses Mal durch zusätzliche Mandate für die anderen Parteien ausgeglichen. Und wenn die CSU in Bayern Überhangmandate bekommt, dann heißt es schnell: Ausgleichsmandate für alle! Selbst die Brüder und Schwestern der CDU in den anderen Bundesländern nebst allen anderen Parteien und ihren Landeslisten würden davon potenziell in Form von Ausgleichsmandaten profitieren.

Eine exakte Prognose ist zum heutigen Tage natürlich schwierig. Aber ein Blick zurück auf die Wahl 2009 kann helfen. So hat auch der Bundeswahlleiter für die Wahl 2009 eine Simulationsrechnung vorgelegt, wie heute die Sitzverteilung im Bundestag ausgesehen würde, wenn damals schon das neue Wahlrecht gegolten hätte. Ergebnis: Der Bundestag wäre größer geworden: Statt 624 Parlamentariern wären 671 Sitze im Parlament zu besetzen gewesen. Schuld daran wäre allerdings nicht die CSU, sondern die CDU gewesen: Sie hat bei der Wahl 2009 insgesamt 22 Überhangmandate erzielt, die noch schwerer ins Gewicht gefallen wären als die drei Überhangmandate der CSU. Die Überhangmandate der CDU wären die Triebfeder des Ausgleichsmechanismus gewesen.

Drehen wir aber mal an einem einzigen Schräubchen – und nehmen der CSU in Bayern 300.000 Zweitstimmen weg. Sonst nichts. Damit hätte die CSU in Bayern nur noch knapp unter 40 Prozent der Zweitstimmen erreicht. Folge: Ihr hätten damit nur noch 39 (statt 42) Sitze regulär zugestanden, statt drei wären nun sechs Überhangmandate angefallen, die auszugleichen gewesen wären. Und damit wäre jetzt tatsächlich die CSU (und nicht die CDU) die Triebfeder des neuen Ausgleichsmechanismus gemäß dem neuen Wahlrecht geworden.

Und in letzter Konsequenz wäre der Bundestag auf 713 Sitze angewachsen. Die CDU hätte zusätzlich zu ihren 22 Überhangmandaten in anderen Bundesländern 13 Ausgleichsmandate bekommen, um das paritätische Verhältnis zu den Sitzen der CSU wiederherzustellen, die SPD 28, FDP 20, Linke 15 und Grüne 13, verteilt auf ihre Landeslisten jeweils.

Die anderen Länder lachen sich vielleicht dieser Tage doppelt ins Fäustchen über ihre bayerischen Kolleginnen und Kollegen und ihre aktuellen Probleme. Aber den Bestuhlungsbeauftragten macht das nervös.

 

Die Webseiten der Parteien für die Bundestagswahl: Weiterhin fast unsichtbar in Google-Ergebnislisten

Von Andreas Jungherr, David J. Knepper und Harald Schoen

In Wahlkämpfen geht es für Parteien und Kandidaten auch darum, ihre Inhalte und Positionen zu politischen Themen auch solchen Bürgern nahezubringen, die sich nicht gezielt parteipolitischen Informationsangeboten aussetzen wollen. Ein Weg, dieses Ziel zu erreichen, besteht darin, Inhalte im Informationsraum möglichst gut sichtbar zu präsentieren. Damit das gelingen kann, gilt es für Parteien, ihre Internetseiten so zu programmieren und inhaltlich zu gestalten, dass sie für Suchmaschinen wie Google leicht verständlich sind. Warum ist das wichtig? Suchmaschinen, und besonders Google, sind entscheidende Treiber der Besucherzahlen von Webseiten. Auch in Zeiten in denen Besucher zunehmend auf Sozialen Netzwerkplattformen auf Webseiten und neue Inhalte im Internet aufmerksam werden, ist Google noch immer der wichtigste Weg, auf dem Internetnutzer auf Webseiten stoßen. Gerade in dem Jahr einer Bundestagswahl ist es also für Parteien entscheidend, prominent in den Google-Ergebnisseiten zu politisch relevanten Suchbegriffen (z.B. „Bundestagswahl“, „Wahlkampf“ oder „Energiewende“) aufzutauchen.

Bereits 2011 haben wir die Sichtbarkeit der Internetseiten politischer Parteien anlässlich der Landtagswahlkämpfe in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern untersucht (http://sichtbarkeitsreport.de). Unser Fazit damals war, dass die Parteien bei populären Suchanfragen auf Google kaum sichtbar waren und nur dann in Trefferlisten prominent erschienen, wenn Nutzer nach Parteinamen oder den Namen von Spitzenkandidaten suchten. Dagegen blieben Parteien bei allgemeinen Suchanfragen (z.B. „Wahlkampf“) oder politischen Themen praktisch unsichtbar. Gilt dieser Befund wenige Monate vor der Bundestagswahl 2013 noch immer, oder haben die Parteien im Bund ihre Internetangebote wahlkampffit gemacht? Die hier in der Folge dargestellten Ergebnisse basieren auf Daten des SEO-Tool Xovi und wurden am 12. Mai 2013 erhoben.

Sichtbarkeit von Parteiwebseiten zu politischen Suchbegriffen
Sucht man nach dem Begriff „Bundestagswahl“ auf Google, so stößt man auf den ersten Plätzen der Ergebnisseiten auf Wikipedia und Webseiten von Behörden und Medien. Auf Platz 30, und damit erst auf der dritten Google-Ergebnisseite, findet sich die erste Seite einer Partei, der Piratenpartei. Einige Plätze weiter hinten finden sich Seiten einiger Landesverbände der SPD und der Grünen. Internetangebote der CDU oder der FDP sucht man unter den ersten 120 Treffern vergeblich. Dieses relative Desinteresse der Parteien an dem Suchbegriff „Bundestagswahl“ wird von Internetnutzern nicht geteilt. Das Google Keyword-Tool schätzt gegenwärtig, dass monatlich 8.100 mal nach diesem Begriff gesucht wird.

Ein ähnliches Bild zeigt sich, wenn man die populären Treffer zu dem Begriff „Energiewende“ untersucht. Auch hier finden sich unter den ersten Treffern Wikipedia und Webseiten von Behörden und Medien. Zusätzlich sind Webseiten von Firmen und NGOs sehr präsent, die offensichtlich stark daran interessiert sind, ihre Sicht auf die Energiewende und das weitere Vorgehen in diesem Politikfeld vorzustellen. Die einzige Bundespartei, der es mit ihrer Webseite gelingt, unter den 95 populärsten Treffern aufgeführt zu werden, ist Bündnis 90/Die Grünen, deren Seite man zum Zeitpunkt der Datenerhebung auf Platz 53 der Ergebnisliste findet. Andere Parteien sucht man vergeblich. Auch dieser Begriff ist laut Google für Nutzer interessant. Für „Energiewende“ schätzt das Google Keyword-Tool 18.100 monatliche Anfragen.

Die Entwicklung der Sichtbarkeit von Parteiwebseiten im Vergleich
Diese wenigen exemplarischen Befunde zeigen, dass die Bundesparteien mit ihren Internetseiten bisher nicht besonders erfolgreich versuchen, im Informationsraum Internet mit ihren Informationsangeboten sichtbar zu werden. Dies zeigt auch ein Blick auf den „Online Value Index“ (OVI) der Firma Xovi. Dieser Index erfasst die die Sichtbarkeit von Webseiten in Google-Ergebnissen. Entscheidend für hohe OVI-Werte sind die Gesamtzahl der Stichworte, zu denen eine Webseite geführt wird, und die relative Bedeutung dieser Stichworte im Suchverhalten von Google-Nutzern. Vordere Plätze in den Ergebnislisten zu häufig mit Google gesuchten Begriffen führen also zu einem höheren OVI-Wert.

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Betrachtet man die Entwicklung der Indexwerte für die Webseiten der Bundesparteien im Jahr 2013, so zeichnen sich einige klare Muster ab (siehe Abbildung). Die meisten Parteien bleiben über den Jahresverlauf in ihrer Sichtbarkeit relativ stabil. Das gilt zum Beispiel für die Webseiten der Piraten, der Linken, der Grünen und der FDP. Die Webseite der SPD zeigt hingegen einen deutlichen Aufwärtstrend, der darauf hindeutet, dass die SPD mit ihrem Internetangebot im Jahresverlauf zunehmend sichtbarer geworden ist. Die Webseite der CDU erlebte hingegen zwei schwere Einbrüche in ihrer Sichtbarkeit, so dass sich ihr Indexwert seit Jahresbeginn praktisch halbiert hat. Damit ist die CDU die einzige Partei, die laut OVI seit Beginn des Jahres deutlich an Sichtbarkeit eingebüßt hat. Der Einbruch in der jüngsten Vergangenheit fällt zeitlich direkt mit dem Relaunch der CDU-Webseite für den kommenden Wahlkampf zusammen. Hier getroffene Entscheidungen in Bezug auf Design, Struktur und Programmierung sowie begleitende technische Maßnahmen beim Relaunch der Internetseite scheinen sich also unmittelbar negativ auf die Sichtbarkeit der Website bei der Google-Suche ausgewirkt zu haben.

Die unterschiedlichen Entwicklungen von SPD- und CDU-Webseiten deuten auf Gründe für Unterschiede in der Sichtbarkeit hin. Die SPD setzt mit ihrer Webseite gezielt auf textliche Inhalte, die häufig aktualisiert werden und die aktuelle Bezüge zur Tagespolitik und politischen Akteuren aufweisen. Die Partei veröffentlicht so nicht nur ihre Pressemitteilungen, sondern bietet weiterführende und vertiefende Informationen zu politischen Themen. Dieser redaktionelle Aufwand wird mit einer stetig steigenden Sichtbarkeit auf Google belohnt. Die CDU hingegen setzt deutlich stärker auf die Darstellung von audio-visuellen Inhalten und veröffentlicht eher kurze Texte. Allein der Vergleich der Startseiten der beiden Internetangebote zeigt diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Die stetig sinkende Sichtbarkeit von cdu.de steht hiermit (neben weiteren technischen Ursachen) wahrscheinlich in Zusammenhang.

Parteiwebseiten sind quasi unsichtbar in Google-Ergebnislisten
Trotz dieser Unterschiede in der Sichtbarkeit der Parteien sollte man nicht vergessen, dass alle Parteien im Vergleich zu anderen politisch relevanten Webseiten quasi unsichtbar bleiben. Zum Vergleich: im März 2013 erreichte die Webseite der Piratenpartei den höchsten Indexwert für eine Webseite politischer Parteien in der von uns betrachteten Zeitspanne. Dieser Wert lag bei 35,3. Er liegt deutlich niedriger als der aktuelle Index-Wert von Spiegel Online, der 10.092,3 beträgt. Wenn es also Unterschiede in der Sichtbarkeit der Internetangebote politischer Parteien gibt, so dürfen diese nicht den Blick darauf verstellen, dass die Webseiten aller Parteien im Vergleich zu anderen politischen Angebote im Netz in den Ergebnislisten von Google praktisch unsichtbar sind.

Die hier vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Parteien in Deutschland weiterhin im Informationsraum Internet wenig sichtbar sind. Um auf Internetangebote von Parteien zu stoßen, müssen interessierte Nutzer nach Parteinamen oder den Namen von Spitzenkandidaten suchen. Suchanfragen zu politisch relevanten Stichworten, die nicht direkt mit Partei- oder Kandidatennamen verbunden sind (z.B. „Bundestagswahl“ oder „Energiewende“), führen über Google hingegen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu den Webseiten politischer Parteien. Damit verschenken deutsche Parteien eine wichtige unterstützende Funktion des Internets im Wahlkampf. Einige der Ergebnisse deuten darauf hin, dass Parteien mit Entscheidungen hinsichtlich Konzept, technischer Gestaltung, Design und redaktioneller Betreuung der Webseiten die Sichtbarkeit ihrer Webseiten beeinflussen können. Bis zur heißen Phase des Wahlkampfs haben die Kampagnenmacher der Parteien noch ein wenig Zeit, dieses Potential zu nutzen. Damit ist nicht gesagt, dass sie die Möglichkeiten nutzen werden. Ob und wie sie es tun, dürfte unter anderem davon abhängen, wie ernst die Verantwortlichen die Sichtbarkeit ihrer Webseiten im Internet nehmen.

Literatur:
Andreas Jungherr, David J. Ludwigs und Harald Schoen. 2011. Sichtbarkeitsreport: Wie sichtbar sind die Webseiten von politischen Parteien für Suchmaschinen? http://sichtbarkeitsreport.de

Andreas Jungherr und Harald Schoen. 2013. Das Internet in Wahlkämpfen: Konzepte, Wirkungen und Kampagnenfunktionen. Wiesbaden: Springer VS. http://www.springer.com/springer+vs/politikwissenschaft/book/978-3-658-01011-9

Die Autoren:
Andreas Jungherr ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politische Soziologie der Universität Bamberg (http://andreasjungherr.net). Dort forscht er über die Rolle des Internets in der politischen Kommunikation. Zusammen mit Harald Schoen ist er Autor des Buches Das Internet in Wahlkämpfen: Konzepte, Wirkungen und Kampagnenfunktionen.

David J. Knepper ist Geschäftsführer der Agentur NEOLOX (www.neolox.de) für Beratung und Entwicklung digitaler Kommunikation

Prof. Dr. Harald Schoen lehrt Politikwissenschaft an der Universität Bamberg.

 

Regierung ohne Mehrheit? Eine große Zahl an Nichtwählern kann keiner Partei recht sein

In den 70er und 80er Jahren war es ganz normal, heutzutage ist es eine nicht mehr für möglich zu haltende Vorstellung: Die etablierten Parteien konnten gemeinsam die übergroße Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger für sich begeistern. Die Bezeichnung „Volkspartei“ für Union und SPD war gerechtfertigt.

Dieses Bild hat sich schon seit den 90ern kontinuierlich gewandelt, und als Begründung werden allzu häufig Politik- und Politikerverdrossenheit ins Feld geführt. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage wissen derzeit 30 Prozent der Wahlberechtigten nicht, ob sie zur Wahl gehen werden, weitere zehn Prozent würden sich für kleine Parteien deutlich unterhalb der 5-Prozent-Hürde entscheiden.

Dramatisch sind diese Zahlen freilich nicht. Die 30 Prozent „Politikverdrossenen“ sind vermutlich zumindest in Teilen für Botschaften zur Wahl empfänglich. Aus diesem Grunde ist der Begriff „Politikverdrossenheit“ auch überspitzt. Aus der Wahlforschung wissen wir, dass der größte Teil der Nichtwähler nicht aus Verdrossenheit und Desinteresse nicht wählen geht, sondern aufgrund mangelnder politischer Alternativen. Zumindest die zehn Prozent, die für kleine und Kleinstparteien stimmen wollen, drücken gleichwohl aus, dass das Parteienspektrum auch jenseits der etablierten Parteien breit ist und es durchaus Wahlmöglichkeiten gibt. Dazu kommt, dass die Mobilisierung von potenziellen Wählern eines der Hauptziele jedes Wahlkampfes ist. Die entsprechenden Planungen der Parteien laufen auf Hochtouren, und so könnte auch die Zahl der Nichtwähler am Ende geringer sein als der Anteil, den die aktuelle Umfrage ausweist.

Allerdings sind dies beides optimistische Argumentationen, und es lohnt sich ein Blick hinter die Fassade: Ist Wahlkampf tatsächlich politisches Werben, das die Bürger begeistern soll? Ist die Entscheidung für eine kleine Partei tatsächlich Ausdruck eines breiten demokratischen Angebots?

Wahlkämpfe haben viele Facetten und neben dem Herausstellen eigener Themen und Kompetenzen gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Gegner dazu. Es geht also um Mobilisierung des eigenen Lagers und um Demobilisierung des anderen, auch wenn letzteres seltener erwähnt wird. Gerade der Bundeskanzlerin wird ein Talent zur „asymmetrischen Demobilisierung“, also dem Ausbremsen des politischen Gegners und seiner Anhänger, zugeschrieben. Dergestalt enttäuschte Wähler gehen entweder nicht zur Wahl oder geben leere Stimmzettel ab oder wählen aus Protest andere Parteien. Auch das ist ein Erklärungsansatz für den hohen Anteil, den die sonstigen Parteien in der aktuellen Umfrage erreichen.

Welche dieser Interpretationen nun richtig ist, lässt sich schwer ermitteln – vermutlich tragen wie so oft verschiedene Faktoren zur Erklärung bei. Dennoch sollten die aktuellen Zahlen für die Parteien ein Warnschuss sein. Es ist nicht ohne Risiko, um eine Gruppe zu konkurrieren, die immer kleiner wird…

 

Literatur

H. Rattinger/E. Wenzel (2004), „Nichtwähler und Protestwähler – eine strategische Größe des Parteiensystems?“ in: H. Zehetmair, Hg., Das deutsche Parteiensystem: Perspektiven für das 21. Jahrhundert, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 28-44.

 

 

Steuern und Gegensteuern: Uli Hoeneß als Wahlkampfrisiko

Eigentlich hat Uli Hoeneß Glück: Angela Merkel distanziert sich von ihm. Damit sind seine weiteren Karriereaussichten deutlich besser, als die all jener, denen die Bundeskanzlerin in letzter Zeit in kritischen Momenten ihr Vertrauen ausgesprochen hat. Egal ob Christian Wulff, Annette Schavan oder Karl-Theodor zu Guttenberg – sie alle sind kurz nach der öffentlichen Vertrauensbekundung der Kanzlerin von ihren Ämtern zurückgetreten.

Nun hat die Bundeskanzlerin aller offenkundigen Fußballbegeisterung zum Trotz natürlich keinerlei Einfluss auf die Geschäfte des FC Bayern. Aber die Tatsache, dass sie sich in der Causa Hoeneß so schnell und eindeutig positioniert hat, lässt dennoch tief blicken – auf die Geschäfte ihrer Partei. Gerade erst wurde das Image der Kanzlerin als ruhige, moderierende, über den Dingen stehende Stimme der Vernunft durch den Vorstoß ihrer Arbeitsministerin in Sachen Frauenquote angekratzt. Hier konnte Angela Merkel nicht wie sonst üblich dem Konflikt in ihrer Partei Raum geben, sich dabei selbst zurückhalten und erst eine Entscheidung treffen, nachdem sich diese bereits abgezeichnet hatte. Sondern sie musste sich positionieren – in diesem Fall gegen Ursula von der Leyen.

Warum sie sich nun auch in der Debatte um Uli Hoeneß so schnell zu Wort gemeldet hat, kann unterschiedliche Gründe haben. Nicht auszuschließen ist jedenfalls, dass auch der nahende Bundestagswahlkampf eine Rolle spielt. Denn gerade dann, so zeigt eine Vielzahl von Forschungsergebnissen, ist die Personifizierung von politischen Fragestellungen ganz besonders wichtig. Das Thema Steuergerechtigkeit hat durch den Bayern-Präsidenten ein Gesicht bekommen, und so distanziert sich Angela Merkel nicht nur von der Person Hoeneß, sondern auch von der Haltung, für die er steht: Es geht um das berühmte „Wasser predigen und Wein trinken“.

Welche Auswirkungen es haben kann, wenn eine Person, die untrennbar mit einem Thema verbunden ist, öffentlichen und medialen Gegenwind bekommt, hat Angela Merkel auf dem Weg zu ihrer ersten Kanzlerschaft selbst schmerzhaft erlebt. Der von ihr mit der Reform des deutschen Steuerwesens beauftragte und als Finanzminister ins Schattenkabinett berufene Verfassungsrechtler Paul Kirchhof wurde im Wahlkampf insbesondere vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder immer wieder hart attackiert. Die so erzeugte Stimmung gegen „den Professor aus Heidelberg“ zahlte sich aus – um ein Haar hätte die CDU ihren Vorsprung noch verspielt.

Ob Uli Hoeneß das Potenzial hat, der Paul Kirchhof des diesjährigen Wahlkampfes zu werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersehbar. Die Kanzlerin scheint sich jedenfalls der Gefahr bewusst zu sein.

Vielleicht hat sie bei ihrer Äußerung zu Uli Hoeneß auch den erwartbaren Nebeneffekt dankend in Kauf genommen, dass die Debatte um Steuermentalitäten das für sie unbequeme Thema Frauenquote medial überlagern würde – eben auch, weil sie sich selbst dazu zu Wort gemeldet und der Angelegenheit dadurch eine besondere politische Note verliehen hat. Als Wahlkämpferin wird sie schließlich seit jeher gerne unterschätzt.

 

Positionieren und Mobilisieren – was von der Alternative für Deutschland zu erwarten ist

Mit der Alternative für Deutschland (AfD) hat eine neue Partei die politische Bühne betreten. Ihr Wählerpotenzial ist schwer einzuschätzen, auch wenn derzeit diverse Analysen von Meinungsforschungsinstituten kursieren. Für belastbare Aussagen ist es einfach noch zu früh, die Partei ist zu jung. Bereits klar ist dessen ungeachtet aber, dass die AfD für die etablierten Parteien unbequem sein wird. Sie bezieht zu einem Thema Stellung, dass von allen im Bundestag vertretenen Parteien sehr vorsichtig behandelt wird und bei dem es eigentlich für alle nichts zu gewinnen, aber viel zu verlieren gibt: die Zukunft des Euro.

Bedenkt man, dass im Herbst kein sehr deutliches Wahlergebnis zu erwarten ist – weder ein so gutes Ergebnis für Union und FDP wie beim letzten Mal, noch ein erdrutschartiger Sieg der Opposition – dann wird schnell klar, dass die AfD auch dann eine entscheidende Rolle für die Regierungsbildung spielen kann, wenn sie selbst nicht ins Parlament einzieht. Schon wenn ihr Stück vom Kuchen zwei oder drei Prozent betragen würde, könnte das entscheidende Auswirkungen auf das Kräfteverhältnis im Bundestag haben.

Andererseits zeigt beispielsweise die Entwicklung der Piraten, dass ein schneller Aufstieg kein Garant für dauerhafte bundespolitische Relevanz ist. Für eine Einschätzung der Möglichkeiten der AfD ist sie dennoch ein guter Referenzpunkt. Aus der Wahlforschung wissen wir, dass drei Faktoren die Wahlentscheidung der Bürger beeinflussen: Partei-Identifikation, Themen und Personen. Da heute immer weniger Wähler eine starke grundsätzliche Partei-Identifikation haben, kommt es mehr darauf an, für welche konkreten Themen die Partei steht und welche konkreten Personen für die Partei stehen.

Die Euro-Gegner der AfD haben mit dem „Euro-Aus“ ein sogenanntes Positionsthema. Hierunter werden in der Forschung Themen verstanden, zu denen Bürgerinnen und Bürger relativ leicht Position beziehen können, da sie ihnen klare Alternativen vor Augen halten: ja oder nein, drin oder draußen! In den siebziger und achtziger Jahren war der EU-Beitritt in vielen Ländern ein solch klassisches Positionsthema; auch bei gesellschaftspolitischen Fragen wie Präimplantationsdiagnostik (PID) oder die Homo-Ehe oder eben in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, wo oft eher graduelle Meinungsunterschiede bestehen (etwa über die Höhe von Steuer- und Beitragssätzen), tauchen immer wieder solche vermeintlich dichotomen Positionsthemen auf, etwa die Rente mit 67 oder die Frage nach Euro-Bonds.

Die Gemeinsamkeit dieser Themen ist, dass sie emotionalisieren – und damit mobilisieren. Es bleibt also festzuhalten, dass die neue Partei, abgesehen vom Wahlergebnis, dass wir erst im September kennen werden, bereits heute Aufmerksamkeit generiert, womit gleichsam auch ihr Thema in der öffentlichen Wahrnehmung verankert wird. Somit kommen die etablierten Parteien nicht umhin, sich mit der AfD und ihrer Position auseinanderzusetzen.

Der Weg, den die AfD einschlagen wird, ist dabei ungewiss. Die Piraten jedenfalls erleben nach dem Aufschwung der vergangenen Jahre gerade einen Abschwung in der Wählergunst. Allerdings sind sie auf Länderebene bereits in einigen Parlamenten vertreten. Ob der AfD Ähnliches gelingt, ist fraglich – schließlich hat sie eben ein klar bundespolitisches Thema, während die Piraten eher für eine neue Art des Politikmachens stehen, die auf verschiedene Regionen und Ebenen übertragbar ist.

Umgekehrt hat die AfD den Vorteil, dass ihr Thema klar umrissen ist und somit für die Mobilisierung von Wählern besser geeignet sein könnte. Diesbezüglich könnte auch ein Vergleich mit der WASG interessant sein, die ebenfalls mit klaren inhaltlichen Positionen gestartet ist und nun als Die Linke signifikanten Einfluss ausüben kann. Dies jedoch gelang nur durch die Fusion mit der Linkspartei. Ob die Alternative für Deutschland einen solchen etablierten Partner finden könnte und möchte, ist derzeit ebenso ungewiss wie ihr eigenes Wählerpotenzial.

 

Die programmatische Ausrichtung der Parteien zur Bundestagswahl 2013 – Eine Kurzanalyse der ersten Wahlprogramm(entwürfe)

Marc Debus und Jochen Müller
Der Termin der Bundestagswahl 2013 rückt näher und so beginnen auch die Parteien, ihre programmatischen Standpunkte zu formulieren. Bislang liegen von den momentanen Bundestagsparteien die Wahlprogramme bzw. Entwürfe von Sozialdemokraten, Liberalen, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken vor. Unterscheiden sich die darin enthaltenen programmatischen Positionen von denjenigen, mit denen die Parteien in den Bundestagswahlkampf 2009 gezogen sind? Insbesondere dem Wahlprogramm der SPD zur kommenden Bundestagswahl wurde in den Medien unterstellt, dass die Sozialdemokraten verstärkt „linkere“ Positionen bezogen hätten.

Wir kommen auf der Basis einer vollständig computerisierten Inhaltsanalyse der bisher vorliegenden Wahlprogramme bzw. Programmentwürfe zu einem anderen Ergebnis. Nach unseren Untersuchungen sind es weniger die Sozialdemokraten und auch nicht die Grünen oder die Linke, die in signifikanter Form ihre programmatische Ausrichtung verschoben hat, sondern vielmehr die FDP. Die unten stehende Abbildung, in der die Positionen auf einer wirtschafts- und einer gesellschaftspolitischen „Links-Rechts-Achse“ inklusive eines statistischen Unsicherheitsbereichs abgebildet sind, zeigt, dass der Wahlprogrammentwurf der Freien Demokraten sich in Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik sehr stark hin zu einer moderateren, der Position der Union in diesem Politikfeld nahezu inhaltsgleichen Ausrichtung entwickelt hat. Möglicherweise macht sich hier eine Abänderung in der sozioökonomischen Position der FDP bemerkbar, die momentan auch beim Thema Mindestlohn zu beobachten ist. In der Gesellschaftspolitik haben die Liberalen ebenfalls ihre Positionierung verändert und bewegen sich – aufgrund ihrer Aufgabe explizit progressiver Standpunkte – ebenfalls auf die Position des Wahlprogramms von CDU und CSU aus dem Jahr 2009 zu. Zwar ist die FDP nach wie vor gesellschaftspolitisch deutlich libertärer ausgerichtet als die Union 2009, aber dennoch fällt ins Auge, wie sehr sich durch die im Wahlprogrammentwurf der Liberalen die inhaltliche Distanz zwischen den Regierungsparteien verkürzt hat.

Programmatische Positionen der Parteien 2009 und 2013 im Vergleich
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Behält die FDP diese programmatische Ausrichtung in der finalen Version ihres Wahlprogramms bei, dann deutet dies darauf hin, dass die Liberalen es – mit Hinblick auf das Ergebnis der Niedersachsen-Wahl vom Januar 2013 – den Anhängern der Union leichter machen wollen, ihre Zweitstimme der FDP zu geben. Dies würde die Gefahr verringern, dass die Freien Demokraten den Einzug in den Bundestag verpassen und damit eine Neuauflage der schwarz-gelben Koalition nicht möglich wäre. Im Hinblick auf die Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2013 impliziert die Positionsverschiebung der FDP insbesondere im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik aber auch, dass nicht nur die Distanz zum bisherigen Koalitionspartner CDU/CSU verkleinert wurde, sondern auch der Abstand zu SPD und Grünen. Insofern zementiert der Wahlprogrammentwurf der Liberalen nicht unbedingt das Bündnis mit der Union, sondern dürfte auch Politikkompromisse mit SPD und Grünen im entscheidenden Politikfeld Wirtschaft und Soziales leichter machen. Sollte es nach der Bundestagswahl im September 2013 keine klaren Verhältnisse geben, dann verspricht – gegeben die bislang vorliegenden Wahlprogramme und Entwürfe – der Regierungsbildungsprozess durchaus spannend zu werden.

 

„Wenn Du bis morgen 12:00 Uhr nicht zurückgetreten bist, knallt es ganz gewaltig“

Ja, uns Journalisten ermüdet der Streit bei den Piraten mittlerweile auch. Doch leider schafft die Partei es immer wieder, noch eine neue, dramatischere Eskalationsstufe im innerparteilichen Umgangston zu erklimmen. Und das sagt dann wiederum durchaus etwas über eine Partei aus, die in vier Landtagen sitzt und dieses Jahr in den Bundestag einziehen will. Deshalb wollen wir also auch das neueste Drama zumindest kurz dokumentieren.

Glaubt man Johannes Ponader, dem politischen Geschäftsführer der Piratenpartei, ist am gestrigen Mittwochabend folgendes passiert: Um 18 Uhr schickte Christopher Lauer, bekannter Pirat und Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, eine bemerkenswerte SMS an ihn, Ponader:

„Lieber Johannes, wenn Du bis morgen 12:00 Uhr nicht zurückgetreten bist, knallt es ganz gewaltig. Ich seh mir nicht mehr länger schweigend und untätig an, wie Du meine Partei gegen die Wand fährst. Gruß, Christopher“

Wenn es diese Nachricht tatsächlich gab, ist sie eine unverhohlene Drohung. Ponader kam ihr offensichtlich nicht nach. Dafür postete er die vermeintliche SMS und die darauf folgende Kommunikation mit Lauer am heutigen Donnerstagmittag kurzerhand in einem Blog im Internet. Es endet mit Lauers Statement: „Alter, wie verstrahlt bist Du denn? Du merkst ja gar nichts mehr.“

Ponader schreibt dazu im Blog: „Ich bin mir bewusst, dass die Veröffentlichung einer ‚privaten‘ SMS eigentlich einen Vertrauensbruch darstellt, aber von Vertrauen kann bei dem Inhalt wohl keine Rede mehr sein.“ Den Eintrag verbreitete er über seinen Twitter-Account, dem über 10.000 Leute folgen.

Auf Anfrage von ZEIT ONLINE will Lauer die Echtheit der SMS weder bestätigen noch dementieren: „Ich kann Ihnen die Frage, ob ich diese SMS überhaupt geschrieben habe, nicht beantworten“, sagt er. Es gäbe zwei Möglichkeiten: „Entweder sie ist echt, dann ist es eine private Nachricht und hat in der Öffentlichkeit nichts verloren. Oder sie ist nicht echt und er hat sich das ausgedacht, dann ist es schon ein starkes Stück.“ Er habe gar keine Zeit für Personaldebatten, sondern bemühe sich um eine inhaltliche Neuaufstellung für die Bundestagswahl.

Bei Twitter reagierten andere Piraten entnervt auf das neuerliche Skandälchen. „Möchte Euch alle auf den stillen Stuhl verbannen. Bis zur #btw13. Mindestens.“ schreibt die Wirtschaftspolitikerin Laura Dornheim. Und der Pirat Jan Leutert twittert: „Treffen sich zwei Piraten mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Keine Pointe.“

Johannes Ponader selbst sagt zu Lauers Reaktion: „Das geht am Thema vorbei. Wenn jemand einen Rücktritt fordern will, soll er das auch öffentlich machen.“ Er habe die SMS veröffentlicht, „weil wir so die Chance auf Knall, Versöhnung und dann Neuanfang haben“. Es gehe ihm „nicht um eine Personaldebatte, sondern um eine Debatte über den innerparteilichen Umgangsstil“. Mit Lauer selbst habe er seit der SMS keinen Kontakt mehr gehabt.

 

Peer lässt bloggen, das Netz spottet

Ach Peer! Ne, so richtig gut gefällt uns Dein neues Blog leider nicht.

(Wir würden den Kanzlerkandidaten hier übrigens nicht duzen, wenn seine Unterstützer nicht konsequent auf seinen Nachnamen verzichteten.)

An sich ist die Idee ja nicht mal schlecht. Dass ein paar profilierte Schreiber sich im Wahlkampf engagieren. Dass dieses Team autonom vor sich hin arbeitet, abseits verkrusteter Parteistrukturen. Das macht es der chronisch nörgelnden SPD schwerer, sich einzumischen. Ja und auch gegen Blogs haben wir von Zeit ONLINE natürlich rein gar nichts.

Aber trotzdem: Irgendwie haut das neue PeerBlog nicht hin.

Es beginnt mit dem Ton. Der ist manchmal ziemlich plump: „Peer fordert zweites Duell – Merkel kneift“. Das könnte auch von der Pressestelle im Willy-Brandt-Haus kommen.

An anderen Stellen ist der Ton überaus großspurig. Kein geringerer als Barack Obama dient den Peer-Bloggern als Vorbild. Wie man gleich im ersten Absatz der Selbstdarstellung erfährt. Und, ja, auch die „arabischen Revolutionen“ bezeichnen die Autoren lässig als ihre geistigen Paten. Kleiner geht es kaum.

Kein Wunder also, dass das Feedback auf das neue PeerBlog bislang recht negativ ausfällt. Die SPD selbst schweigt mehrheitlich, verlinkt jedenfalls nicht prominent auf das Blog, das ja seinerseits so stolz darauf ist, nicht von irgendwelchen Parteihanseln geführt zu werden. Der netzpolitische Sprecher der SPD, Lars Klingbeil, twitterte heute lediglich mit viel Dialektik: „Ich werde nicht über ein Blog twittern.“

Jenseits der SPD wird gelästert, was das Zeugs hält. Viele stört, dass über die Finanzierung des Projekts wenig bekannt ist. Laut Spiegel würden die Blogger „fürstlich“ von diversen Unternehmern bezahlt, von einer „sechsstelligen Summe“ ist die Rede. Nur, um welche Spender es sich handelt, das verrät die Transparenz-Partei SPD bisher nicht.

Ein bayerischer Spitzen-Pirat bezeichnet Steinbrück deshalb via Twitter als den wahren „Genossen der Bosse“. Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Norz, schreibt, dass er das Blog „unter Transparenz + Parteienfinanzierungsaspekten problematisch“ finde.

Erst der Online-Berater, der nach wenigen Tagen und ein paar Enthüllungen über seine bisherigen Auftraggeber den Job bei Steinbrück wieder aufgab. Dann Steinbrücks Bekenntnis, nicht selbst seinen Twitter-Account zu befüllen, sondern einem Mitarbeiter die Postings zu diktieren. Online-mäßig, so muss man wohl resümieren, steht die SPD-Kampagne in diesem Wahlkampf bislang unter keinem guten Stern.

Update vom 5.2.2013: Steinbrück hat auf seiner Reise nach London inzwischen bestritten, „die Investoren“ seines Bloggs zu kennen. Das allerdings widerspricht dem Rechercheergebnis von sz.de.

Mitarbeit: Juliane Leopold