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Volkspark Blues

Der idale Ort für eine Distinktionsgewinnspazur ist der Berliner Volkspark. Er fläzt sich breit durch Schöneberg und die letzten Ausläufer von Wilmersdorf. Im Gegensatz zu dem vital-verkorksten Kreuzberger Viktoriapark reiht sich hier ein Bildungsbürgermittelschichtdramolett an das nächste. Hier schieben einzelne Herren oder Damen Kinderwagen die Wege entlag, hier sitzen ergraute Paare auf Bänken und diskutieren mit eisigen Gesichtern die verwichene Paartherapiesitzung, hier liegen sommers grotesk körperbehaarte Bibilothekarinnen auf dem Rasen und winters gefrorene Pudelköttel. Hier preschen grell kostümierte Neopren-Radler durchs Unterholz, um wahllos zu verletzen.

Die einzigen Verpflegungsmöglichkeiten sind eine ranzige Imbissbude und eine Döneria mit dem sozialrealistischen Namen „Neuanfang“. Etwas versteckt am Westrand befindet sich ein verwitterter Minigolfplatz, wo hornbrillentragende, aufgequollene Datenbankspezialisten mit ihren 8-jährigen Söhnen herumklickern, während die Partnerin, meist Erzieherin, in Sichtweite auf der Bank das Zweitkind säugt.

Auch gibt es mehrere deprimierende Spielplätze, am frequentiertesten ist der am RIAS-Hauptgebäude. Hier spielen Kinder, deren Rotz aus grindigen Nasenlöchern läuft, auf der öffentlichen Bezahl-„City-Toilette“ werden Windeln gewechselt, und wer hier richtig glammen und glitzen will, der holt sich beim „Toni am Rias“ (Bei RIAS-Mitarbeitern auch Seuchen-Toni genannt) einen nach Heizöl und Twix schmeckenden Cappucchino auf die Faust. Wagemutige bestellen eine Pizza Funghi è Cippolla, einen rotbeigefarbenen käsig-öligen Reigen aus Dosenchampignons (3. Wahl), vergorenen Zwiebelringen und zwei Handvoll 0,99 EUR-Emmentaler (gerieben) und verzehren dieses tomatenmarktropfende Arrangement, im Sand sitzend, während die Kinder sich an der Wasserpumpe die finale Erkältung holen.

Wer samstags hier promeniert, kann mit etwas Glück am Schöneberger Rathaus gratis den Entwürdigungen einer standesamtlichen Trauungs-Nachbereitung folgen (Dicke Menschen im Dreiteiler oder Abendkleid, die Fotos machen, Drehorgelspieler, Brautpaar, das gerade vor Zeugen gelogen hat).

Des Sonntags ist an gleicher Stelle der direkte Schwenk zum weltberühmten Flohmarkt am Schöneberger Rathaus möglich. Hier kann man seine Santana-Plattensammlung komplettieren, in altem Geschirr oder 2nd-Hand-Kinderkleidung herumwühlen, völlig überteuerte und überdies defekte Röhrenradios erstehen, oder einfach nur stumpf beim mobilen Imbiss eine sättigende Erbsensuppe einnehmen. In Gehweite eine Bouleanlage, von kugeligen Restaurantbetreibern nach dem ersten Herzinfarkt besetzt, die sich in der Frühmittagssonne langsam einen ersten Bordeauxrausch zusammentrinken.