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1. Mai – Alternativprogramm – Ein Tag in der Niederlausitz

 

Man trägt in Calau das Velo aus dem Zug und folgt dem Radweg nach Ogrosen. Durch feinst duftende Kiefernwälder geht es über Altnau und Gahlen nach Ogrosen…

Dort wird unbedingt ein Abstecher ins Gut Ogrosen empfohlen. Dort setzt man sich vor den Gutsladen in die pralle Sonne, um ein äußerst labendes Bier einzunehmen, während Ziegen und Schafe um einen herummähen und -hähen. Nun hat man Betriebstemperatur, hält sich von der Ausfahrt des Gutshofs aus rechts und folgt der L52 bis ins Örtchen Casel. Zur rechten immer wieder Schilder „Betreten verboten – Lebensgefahr“ – denn hier regierte zu DDR-Zeiten der Braunkohletagebau, der eine Wunde unfassbarer Größe in die Landschaft geschlagen hat. Geheimnisvoll gluckerende Rohre liegen entlang der Straße, kommen aus dem Nichts und führen ins Nichts. In Casel rechts die Greifenhainer Straße entlang in Richtung Göritz. In Göritz wiederum verschnaufen und durchatmen, denn nun beginnt eine ziemlich ekelhafte Steigung, die sich aber lohnt, denn sie führt bis zu einer Stelle, von der aus man das gesamte, ehemalige Tagebaugebiet betrachten kann.

Ein Krater, wie von einem gigantischen Meteoriten geschaffen, mit Kratersee, Stein, Schotter, Sand, und all dies in einer unbeschreiblichen Einsamkeit. Kein Mensch. Nirgendwo. Nun abwärts – hui – hinab! 15% Gefälle, immer den Schildern Richtung Pritzen folgen. In Pritzen wiederum keinesfalls den Radwegschildern folgen, sondern einfach geradeaus fahren, bis es nicht mehr weiter geht. Dort steht ein Schild „Altdöbern links“. Und genau diesen Weg nimmt man, er ist in keiner Landkarte eingezeichnet und führt einmal komplett um dieses Tagebaugebiet herum, aus nächster Nähe, man könnte sich jederzeit steile Abhänge herunterkullern lassen, in den Kratersee plumpsen und nie wieder gefunden werden. Hier gibt es keinen Handyempfang, keinen Menschen, kein Tier, nur Sand, Wasser, Steine, mysteriöse Pumpanlagen, gluckernde Rohre und eine atemberaubende Portion Einsamkeit. Ich bin mehrmals beinahe umgekehrt, weil es gruselig war und ich nicht wusste, ob der Weg nach zwei Stunden Fahrt nicht einfach endet, aber ich kann beruhigen, er führt bis zu einer Stichstraße, die einen nach Altdöbern führt, was hier gleichbedeutend mit Zivilisiation ist. In Altdöbern folgt man der Beschilderung nach Muckwar, fährt beinahe vollautomatisch in eine Gastwirtschaft hinein (Verwechslung ausgeschlossen, es gibt nur eine), wo der Wirt auch Montags um 15 Uhr den Herd anwirft, um ein astreines Schnitzel in Altbiersauce nebst frischem Spargel und Kartoffeln zuzubereiten. Danach gibt’s weder Café Latte noch Macchiato, sondern einen herzigen, Niederlausitzer „Kaffe“ mit 1a) Büchsenmilch.

Von Muckwar aus geht die L53/L52 direkt zurück nach Calau – durch Kleinst- und Miniaturortschaften, die nach DDR aussehen, aber nach einer schönen DDR, nach einer landwirtschaftlichen, bodenständigen, unberührten DDR – und nicht nach der kaputten Glatzen-Ex-DDR Brandenburgs. Selbst die garstigen Kastenlampen wirken hier beinah friedlich.

All dies ist eine Tour, die locker an einem Tag gefahren werden kann und lange in einem nachhallt.