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Das InterCity Restaurant „Berlin Zool. Garten“ – ein Ausflug mit der Zeitmaschine

 

Wer eine Zeitreise in das Berlin der 80-er Jahre unternehmen will, der sollte auf jeden Fall einen Abstecher in das „InterCity Restaurant“ des Berliner Bahnhofs Zoologischer Garten wagen. Das Restaurant befindet sich in der ersten Etage des Bahnhofs und strahlt eine vollständig in sich geschlossene 1982-Atmosphäre ab. Der Boden bedeckt mit braunen Fliesen, die Wände vollgepackt mit grünstichig-verblichenen Photographien von Elektro- und Diesellokomotiven, hier und da kippelige Garderobenständer aus braunem Holz, schwankende Lampen aus dunkelblauem Glas, das aussieht wie diese geschmolzenen Granulat-Gebilde, die man früher unter erheblicher Rauchgasentwicklung zu Kunstgewerbezwecken im Backofen buk.

Müde schlurfen Füße in aufgeplatzen Tennissocken über den Fußboden. Sie gehören einer original ISO 9000 – zertifizierten Kaltmamsell, die einen großen Servierwagen quer durch den Raum schiebt. Auf dem Wagen trohnt ein 10 kg – Gastro-Eimer Salatmayonnaise von Develey. Auf den Tischen Tischdecken, Überdecke, Zucker, Salz, Maggi, Fondor und künstliche Blumen. In diese allgemein trostlose Deko nahtlos hereingewuchert sitzen Männer mit Raucherhusten, die mittags schon am Radeberger nuckeln, Salmonellentorte essende Rentnerinnen und strunzgesunde Australier mit farbenfrohen Rucksäcken

Die Speisekarte enthält Heterogenes. Zum Beispiel: Blaubeerkaltschale, Gorgonzolagnocchi und Kasselerlachsbraten. Die Kellner sehen aus wie Schaffner Zugbegleiter und benehmen sich auch so deutlich schlechter: „Kann ich gleich abkassieren? Ich mach Feierabend“. Ja, natürlich, klar, man ist zu müde für Protest. Die dumpf-säuerliche Atmosphäre des ICE RESTAURANTs macht schwach und schwunglos.

Sitzt man am Fenster, kann man direkt runter auf den Bahnhofsvorplatz kucken. Dort wird geschimpft, gesoffen, erbrochen, geklaut, manchmal alles gleichzeitig. Dumpf, mit Klirrfaktor 60% poltern Bahnsteigansagen per Lautsprecher ins Arrangement. Man erfährt, ohne es zu wollen, dass der Eurocity nach Prag Verspätung hat. Oder dass der ICE Cilly Aussem aus Köln pünktlich an Gleis eins ankommt.

Mürb blättert man in der Eiskarte, weint ob Nahrungsmittelbezeichnungen wie „Nussgenuss“ oder „Fresh und Fun“, fast erwartete man noch ein „Wellness“ oder „Fit und crazy“, doch dann sinkt der Kopf auf die Tischplatte und man nickt ein, der Espresso der Kaffeeverbrecher „Segafredo“ wirkt nicht. Zumindest nicht hier.