Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Der „Rat der Weisen“ darf nicht so heißen

 

Soll die Europäische Union eigentlich mehr sein als nützlich? Mehr als nur nützlich für den Warenaustausch, für die Lebensmittelsicherheit, für die wirtschaftliche Liberalisierung des Kontinents und für die Sicherung seiner Außengrenzen?

Nein, könnte man gelassen antworten. Es handelt sich bei der EU eben schlicht um ein Zweckbündnis aus Staaten, die sich gegenseitig das Leben ein bisschen leichter machen wollen. Das ist nicht besonders herzerwärmend, zugegeben. Aber darf man ernsthaft mehr erwarten?

Ja. Man muss sogar.

Denn siehe da, es gibt außerhalb Europas auch noch so etwas wie eine böse Welt. Es gibt ein neo-imperiales Russland, das mit seinen Gasreserven hantiert wie ein Halbstarker mit einem Klappmesser. Es gibt immer weniger Öl unter den Böden muslimischer Staaten, die von Terroristen erschüttert werden. Es gibt neue Marktmächte wie China oder Indien, die in rasender Geschwindigkeit Kapital und Ideen aus Europa absaugen und die für entscheidungsträge Demokratien mit solchem Sozialluxus wie Arbeiterrechten nur ein mildes Lächeln übrig haben.

Währenddessen läuft Europa seit Jahrzehnten auf einem politischen Stand-by-Betrieb. Alle Systeme funktionieren ordentlich, noch dazu hat sich der Apparat mit dem Reform-Vertrag eine neue Bedienungsanleitung geschaffen. Bloß: Wozu soll das noble Gerät eigentlich dienen? Was ist die Aufgabe der EU jenseits der Sicherung inneren Friedens und Wohlstands? Diese historischen Gründungsziele sind schließlich erreicht. Jetzt braucht es neue.
Zum Beispiel die Vision eines Europas, das in der Lage ist, seinen Frieden und seinen Wohlstand gegenüber einem nicht ganz so friedlichen, dafür umso aggressiver nach Wohlstand strebenden Rest der Welt zu erhalten. Zum Beispiel, indem es sich fragt, warum ein so unglaublich reicher Club wie die EU unglaubliche 50 Milliarden Euro jährlich in die Taschen seiner Bauern pumpt, während China in die modernsten Containerhäfen Welt investiert und High-Tech-Ingieure produziert wie am Fließband.

Ob Frankreichs Präsident Sarkozy diese Fragen vorschwebten, als er vor einigen Monaten vorschlug, einen „Rat der Weisen“ ins Leben zu rufen, der sich mit der Zukunft Europas beschäftigen solle, wissen wir nicht. Höchstwahrscheinlich hat der Mann eher im Sinn, sich seine Ansicht, die Türkei gehöre geografisch und kulturell nicht zu Europa, von einem berufenen Gremium absegnen zu lassen.
Jedenfalls löste sein Vorschlag in den anderen Ländern keine hörbare Begeisterung aus. Deutschland nickte immerhin freundlich und versprach Prüfung.

Ende dieser Woche nun wollen sich die EU-Regierungschefs bei ihrem halbjährlichen Gipfel in Brüssel über den „Weisenrat“ unterhalten.

Das, was von deutscher Seite schon heute an Erwartungen zu hören ist, gibt Anlass zur Befürchtung, dass eine im Kern gute Idee bis zur Unkenntlichkeit verbürokratisiert werden wird. So soll der „Weisenrat“ schon einmal nicht „Weisenrat“ heißen, sondern „Reflexionsgruppe“. Das ist dann geschlechtlich ebenso korrekt wie klanglich widerwärtig.

Ferner ist der Bundesregierung vor allem klar, was der Rat nicht sein soll.
Er soll nicht über die geografischen Grenzen der EU nachdenken (wegen des Türkei-Streits).
Er soll nicht über Institutionen nachdenken (das hat die EU lange genug getan, und die Ergebnisse stehen im Reformvertrag).
Er soll nicht viel länger tagen als ein Jahr.
Er soll seine Ergebnisse nicht vor der Europawahl 2009 veröffentlichen.
Er soll nicht mehr Mitglieder haben als ein knappes halbes Dutzend.
Es ist angeblich noch nicht klar, wen Deutschland als Kandidaten für den Rat bennen möchte.

Das Vorstellungsvermögen Brüsseler Diplomaten reicht derzeit, nicht ganz im Ernst freilich, von Helmut Kohl bis Franz Beckenbauer.

Schade eigentlich.
Die Idee hätte weiser sein können als ihr Urheber.