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Am Limit

 

Warum die EU in der Finanzkrise kaum mehr etwas ausrichten kann

Europa wuchs bisher mit jeder Katastrophe.

Nach dem 11. September erkannte es die Risiken unzureichenden Informationsaustausches zwischen seinen Polizeien und Geheimdiensten. Die Folge war eine Vertiefung der gemeinsamen Rechts- und Innenpolitik, mit dem prominentesten Produkt des Europäischen Haftbefehls.

Nach dem Irakkrieg erkannte es die Risiken der Abhängigkeit von einem fremden GPS-System. Die Folge war Galileo, ein eigener europäischer Satelliten-Ortungsverbund.

Nach der Finanzkrise erkannte Europa die Risiken von… ja, was eigentlich? Einem ungefesselten amerikanischen oder europäischen Finanzmarkt? Die Folge ist… ja, was eigentlich?

Sowohl mit der Diagnose wie auch mit möglichen Reaktionsformen auf den Zusammenbruch der Kreditspekulationen werden sich die europäischen Staatschefs am Mittwoch und Donnerstag beim ihrem Ratsgipfel in Brüssel beschäftigen.

Was bisher geschah: Die EU-Finanzminister einigten sich darauf, notfalls in einer konzertierten Aktion Banken zu retten, die „systemrelevant“ für Europa sind. Im übrigen hilft sich erst einmal jeder Mitgliedsstaat selbst. Insgesamt stehen die wichtigsten Euro-Staaten ihren Banken mit rund 2000 Milliarden Euro als Bürgen zur Seite.

Für eine gemeinsame Stützungsaktion fehlt der EU derweil erstens die Kompetenz und zweitens der Wille. Einen gesamteuropäischen Hilffonds, wie von Nicolas Sarkozy vorgeschlagen, für trudelnde Kreditinstitute aufzulegen, halten insbesondere die Deutschen für keine gute Idee. Damit würde die EU „falsche Anreize“ schaffen, heißt es aus Kreisen der Bundesregierung. Immerhin könnte ein Sack Geld Begehrlichkeiten bei den falschen Leuten auslösen, wenn er erst einmal auf dem Tisch stehe.

Was also können die EU-Staatschefs in Brüssel eigentlich noch tun?

Nun, sie können sich zunächst einmal anhören, was ihnen der Chef der EU-Kommission, José Manuel Barroso, zu sagen hat. Der Mann war in den vergangenen heftig dafür kritisiert worden, dass es seine Mannschaft angeblich trotz besseren Wissens unterlassen habe, Vorschläge für eine striktere Regelung der europäischen Finanzmärkte vorzulegen.

„Die Politik der Kommission war es, weniger zu regeln, weniger zu intervenieren“, ärgert sich der Fraktionschef der europäischen Sozialisten im Europaparlament, der Deutsche Martin Schulz (SPD). Den Binnenmarktkommissar Charlie McGreevy (Irland) nennt Schulz einen „Apologeten einer irregeleiteten Marktradikalität.“ Der Mann sei „nicht mehr tragbar“, so Schulz. Der SPD-Mann hat Barroso nach eigenen Angaben aufgefordert, McCreevy von seinem Posten zu entfernen.

Barroso und McGreevy ihrerseits schieben das Ausbleiben von strikteren Regelungen den EU-Mitgliedsstaaten zu. Allen voran Deutschland und Großbritannien hätten sich gegen eine genauere Aufsicht auf Finanzprodukte gestemmt. Gleichwohl verspricht nun der Kommissionschef: „Die Kommission wird noch in dieser Woche einen Gesetzesvorschlag für eine europaweite Vereinbarung über Kreditgarantien vorlegen.“

Aber würde das helfen, eine nächste Krise zu verhindern? Und selbst wenn sich Europa schon heute die besten Finanzmarktregeln der Welt gehebt hätte: Hätte uns das vor den Sogeffekten des Crashs in Amerika geschützt? Europa kann sich zwar regulieren. Abschotten von den globalen Kapitalflüssen kann es sich nicht.

Frage also an Martin Schulz: Stößt Europa in der gegenwärtigen Krise nicht an die Grenzen seiner Handlungsfähigkeit? Müsste nicht die amerikanische Regierung mit am Tisch sitzen, wenn die EU-Staatschefs über die Folgen des Crashs beraten.

„Das geschieht ja im Rahmen der G8“, antwortet Schulz.

Das stimmt zwar. Aber ob die G8 das passende Gremium für dieses Thema sind, das ist die nächste Frage. Denn was passiert eigentlich, wenn die nächste Finanzkrise von China oder Indien ausgeht? Mehr als ein Drittel der 6,5 Milliarden Weltbewohner werden von zwei Hauptstädten, Peking und Neu-Delhi, aus regiert. Und keines der beiden Länder ist Mitglied der G8.

„Außergwöhnliche Ereignisse rufen nach außergewöhnlichen Maßnahmen“, sagt José Manuel Barroso mit Blick auf den anstehenden Ratsgipfel.

Da hat er Recht. In diesem Fall hieße das aber, über den europäischen Tellerrand hinaus zu schauen.