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Ach so, ein Spitzenposten

 

Gute Nachrichten aus Brüssel: Es gibt ein politisches Postenrennen, das noch langweiliger ist als der Wahlkampf in Deutschland. Es ist der um den Spitzenposten Europas. Der wurde am 16. September zu Straßburg wiederbesetzt. Manche Beobachter mögen von der „Wahl“ José Manuel Barrosos sprechen. Das ist leider übertrieben.

Barroso war der einzige Kandidat für die Präsidentschaft der Europäischen Kommission, den die Regierungen der 27 EU-Staaten aufzubieten hatten. Einstimmig war er während eines EU-Gipfels im Juni als ihr Kandidat nominiert worden. Richtig zufrieden war in den vergangenen fünf Jahren zwar niemand mit dem Portugiesen. Doch um das Amt des Brüsseler Kommissionschefs einen politischen Wettbewerb auszutragen, das war die Angelegenheit trotzdem keinem wert. Das hätte ja auch nach Streit aussehen können. Und damit kann dieses Europa leider ganz schlecht umgehen.

So bestätigte das Europäische Parlament in Straßburg mit 382 zu 219 Stimmen (bei 117 Enthaltungen) den 53jährigen Konservativen. Zähneknirschend sah der Vorsitzende der Europäischen Sozialdemokraten, der Deutsche Martin Schulz, zu, wie dem neuen und alten Kommissionschef die Glückwunschblumensträuße aufs blaue Pult gelegt wurden. „Die Zustimmung meiner Fraktion haben Sie nicht!“, hatte Schulz Barroso bei einer Aussprache am Vortrag noch entgegen gerufen. Die Sozialdemokraten und die Grünen halten Barroso „für den Vertreter einer Ideologie, die erst zu dieser (Wirtschafts-)Krise geführt hat“, so der grüne Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit. „Sie wollen jeden Kommunalfriedhof in Europa privatisieren!“, herrschte Schulz Barroso an. Als Kommissionspräsident habe er „Europa Schaden zugefügt.“

Vielleicht wollte Schulz tief im Inneren einen Teil seines Zorns all den sozialdemokratischen Regierungschefs entgegenschleudern, die die Kandidatur Barrosos unterstützt hatten. Ihre Zustimmung zu Barroso hatte schließlich verhindert, dass es Gegenkandidaten gab. Da konnte Schulz im Parlamentsrund und in Pressekonferenzen noch so wüten und toben – letztlich war der fehlende Kampfeswille seine eigenen Parteigenossen in den Staatskanzleien Portugals, Spaniens oder Großbritanniens, verantwortlich dafür, dass die „Wahl“ zum Abnickungsritual verkam.

Nicht einmal Barrosos eigene konservative Parteifamilie war zufrieden mit der Leistung „ihres“ Kommissionschefs. Als viel zu zögerlich galt ihnen der Mann, als Behördenchef ohne Alpha-Elemente, als ideen- und konzeptlos in Zeiten der größten Wirtschaftskrise, die Europa je gesehen hat. „Es gibt, das sage ich ganz offen, keine Euphorie vorhanden. Bei der Finanzmarktregulierung hat die Kommission total versagt und damit die Krise verschärft“, richtete der Chef der CDU-Landesgruppe im EP, Werner Langen, kurz vor Barrosos Bestätigung.

Ein Mann, von dem niemand begeistert ist, wird auf den wichtigsten Posten gehoben, den Europa zu bieten hat. Was läuft da schief?

Etwas Grundlegendes: EU-Angelegenheiten werden von der nationalen Politik nicht als echte Politik betrachtet. Sie spielen im Wahlkampf keine Rolle (warum haben Merkel und Steinmeier eigentlich nicht um verschiedene Kandidaten gerungen?). Sie werden als verwalterisch betrachtet (supranationale Harmonisierung als Ziel, internationale Harmonie als Mittel). Die „Elite“ in Brüssel soll sie regeln (sie weiß schließlich am besten, was sie braucht).

Merke: Ebenso wenig wie sie dem Wähler die Wahl zwischen verschiedenen Integrationspolitiken zutrauen, trauen sich Europas Regierungsparteien die echte Wahl eines Integrationschefs zu.

Das Resultat ist eine allenfalls lauwarme Europadebatte in der Öffentlichkeit und das Gefühl vieler Bürger, Brüssel Angelegenheiten würden über ihre Köpfe hinweg entschieden. Im Fall von Barroso ist dieser Eindruck nicht einmal falsch. Die Scheu vorm politischen Wettkampf ist deshalb schädlich für die EU. Nach Innen, aber auch nach außen. Eine gesunde Demokratie sieht anders aus.