Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Die Welt wartet vergeblich auf China

 

In keinem Land der Welt sparen die Menschen so viel wie in China. Die Sparquote liegt je nach Berechnungsart zwischen 30 und 50 Prozent. Zum Vergleich: Die Deutschen, die auch nicht gerade für ihre Konsumfreude bekannt sind, legen im Schnitt etwa elf bis zwölf Prozent zurück. Die Amerikaner haben mit einer Rate von sechs Prozent erst in den vergangenen zwei Jahren wieder mit dem Sparen begonnen, nachdem Jahre der Konsumsause das Land in die tiefste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit getrieben haben.

Dass die Chinesen so viel Geld zurücklegt, hat Gründe. Wer wegen möglicher Krankheit, eventuellem Unfall oder gar Tod gleich den Ruin seiner Familie befürchten muss, der spart. So zumindest sehen es Sozialexperten aus aller Welt, die Chinas Führung daher dringend empfehlen, ein flächendeckendes Sozialsystem einzuführen. Nur so werde Chinas verhältnismäßig schwache Binnenkonjunktur angekurbelt – und vielleicht die Weltkonjunktur insgesamt.

Zumindest die Großstädter verfügen seit etwa einem Jahr über eine staatliche Krankenversorgung. Deswegen fragte ich neulich eine Pekinger Bekannte, ob sie seitdem sorgenfreier einkaufen gehen könne und ob sie denn auch mehr ausgebe. Nein, antwortete sie. Sparen sei der chinesischen Mentalität geschuldet. Daran würde auch eine läppische Krankenversicherung nichts ändern.

Ist das wirklich so? Der chinesisch-japanische Ökonom Richard Koo sagte neulich in einem Interview: Jeder, der mal am eigenen Leib eine schwere Krise durchleben musste oder sonst irgendwie sehr viel Vermögen verloren hat, wird sein Lebtag nicht über seine Verhältnisse leben und stets was zurücklegen. Das war bei den Amerikanern nach der großen Depression 1930 so, bei den Japanern nach ihrer geplatzten Blase Anfang der neunziger Jahre. Kaum zu glauben, aber bis in die siebziger Jahre galten die Amerikaner als Sparweltmeister. Kreditkarten wurden bis 1985 staatlich gefördert – um den Konsum zu stützen. In Kaufrausch verfiel erst die nachfolgende Generation.

Was den chinesischen Spareifer anbelangt: Die wirren Jahre der Kulturrevolution sind 35 Jahre her, die Nachwirkungen waren für die meisten Chinesen noch viele Jahre danach zu spüren. Der Wohlstand ist erst in den neunziger Jahren langsam gestiegen und das Wachstum beschleunigte sich flächendeckend erst im zurückliegenden Jahrzehnt. Armut ist also so gut wie jedem Chinesen im derzeitigen Erwachsenenalter noch ein Begriff.

Ich erinnere mich an meinen Großvater in Nanjing. Als mein nach Deutschland ausgewanderter Vater 1978 nach mehr als 30 Jahren seine Familie wieder regelmäßig sehen konnte, gab er meinem Großvater bei jedem Besuch etwas Geld. Nachdem mein Großvater 1994 verstarb, öffneten wir seine Nachttischschublade. Er hatte nicht einen Yuan ausgegeben.

Trotz weiter wachsendem Wohlstand und rasantem Ausbau des Sozialsystems ist damit zu rechnen, dass die Sparquote in China auch in den nächsten Jahren hoch bleiben wird. Erst die Generation, die nach 1990 geboren ist, wird sich sehr viel konsumfreudiger zeigen.

Was das für den Rest der Welt heißt? Dass so schnell nicht mit einem plötzlichen Konsumrausch zu rechnen ist und damit die Chinesen nicht als Retter der lahmenden Weltkonjunktur infrage kommt – zumindest vorerst nicht.