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Chinesisch zwitschern

 

Schutz der Privatsphäre? Das scheint vor allem für junge Chinesen kein Thema zu sein. Neulich bin ich in Peking mit ein paar chinesischen Freunden unterwegs gewesen. Als ich kurze Zeit später nach Hause kam und meinen Rechner hochfuhr, fand ich einen Teil unserer Gespräche im Netz wieder. Auf einem Weibo – dem chinesischen Pendant zu Twitter.

In keinem Land wird so viel getwittert wie in China. Ob in den U-Bahnen, in Cafés, in Kantinen – überall sieht man die jungen Leute eifrig auf ihren Smartphones tippen und wischen. Es wird getratscht, Aktientipps ausgetauscht, über Behördenwillkür und die Regierung geschimpft, Korruptionsaffären aufgedeckt. Vor allem als Nachrichtenquelle nutzen Chinesen Weibo. Längst hat der Dienst die Rolle der traditionellen Medien übernommen, denen viele schon lange keinen Glauben mehr schenken, weil der Staat deren Berichte zensiert.

Vor allem einen Vorteil haben Mikroblogs auf Chinesisch gegenüber Einträgen in europäischen Sprachen: Während sich mit Buchstaben auf 140 Zeichen wirklich nur eine Kurzmitteilung verfassen lässt, kann der Nutzer mit 140 chinesischen Schriftzeichen ganze Geschichten erzählen. Jedes einzelne Zeichen steht für ein Wort.

In China gibt es allerdings nicht nur ein Weibo. Hier eine Übersicht der größten Anbieter:

  •  Mit mehr als 300 Millionen registrierten Nutzern ist Sina Weibo in China derzeit am weitesten verbreitet. Den Mikrobloggingdienst des gleichnamigen Unternehmens gibt es erst seit dem 14. August 2009. Sina Weibo hat seinen Erfolg unmittelbar den Unruhen in der Provinz Xinjiang zu verdanken, die einen Monat zuvor im Südwesten der Volksrepublik ausgebrochen waren. Chinas Behörden gaben Twitter, Facebook und den bis dahin existierenden chinesischen Mikrobloggingdiensten eine Mitschuld an den Protesten. Seitdem sind diese Dienste in China gesperrt. Sina-Chef Charles Chao erkannte die Gunst der Stunde und eröffnete mit Sina Weibo einen neuen Mikrobloggingdienst. Mit großem Erfolg: Bereits ein halbes Jahr später zählte Sina Weibo mehr als 100 Millionen Nutzer, inzwischen sind es die bereits erwähnten 300 Millionen. Erstaunlich: Trotz dieser hohen Zahl macht Sina eigenen Angaben zufolge bis heute keinen Gewinn mit Weibo.
  • Ähnlich sieht es bei Sinas schärfstem Konkurrenten Tencent aus der südchinesischen Stadt Shenzhen aus. Tencent zählt für seinen Weibo-Dienst etwa 100 Millionen Nutzer. Aber auch das Internetunternehmen verdient bislang nur wenig mit dem Dienst. Tencent, das in China auch über seine diversen sogenannten QQ-Dienste bekannt ist – Chatprogramme, Sofortnachrichtendienste und Internettelefonie – macht seinen Profit vor allem über den Verkauf von virtuellen Gegenständen in Onlinespielen. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 40 Milliarden Dollar rangiert Tencent weltweit nach Google und Amazon auf Rang drei und ist damit Chinas profitabelstes Internetunternehmen.
  • Als dritter und vierter großer Anbieter sind noch die Weibo-Dienste von Sohu und NetEase zu erwähnen. Auch sie haben jeweils mehrere zehn Millionen registrierte Nutzer. Anders als die beiden Großen löschen sie im Normalbetrieb bislang noch nicht ganz so viele regierungskritische Beiträge unverzüglich, wie das bei Sina Weibo und Tencent üblich ist. Dafür mussten die Betreiber Sohu und NetEase bereits zweimal ihre Dienste für mehrere Tage komplett ausschalten.

Überhaupt die Zensur: Die chinesischen Behörden haben alle Anbieter dazu verpflichtet, Einträge mit bestimmten Begriffen sofort zu löschen oder gar nicht erst hochzuladen. Welche Begriffe das sind, hat die Regierung auf einer Schwarzen Liste festgehalten. Darunter befinden sich Wörter wie „Demokratie“ oder „Menschenrechte“, aber auch die Namen von einer Reihe von bekannten Dissidentinnen und Dissidenten. Je nach Nachrichtenlage setzen die Behörden auch Wörter wie Zugunglück, Erdbeben oder Börsenabsturz auf diese Liste. Die Kommentarfunktion ist ebenfalls häufig blockiert.

Sina vergibt außerdem seit Kurzem Punkte. Für jede unerwünschte Äußerung entzieht sie dem Nutzer einen Punkt. Wer über gar keine Punkte mehr verfügt, dessen Account wird gekündigt. Vor einiger Zeit hatte die chinesische Regierung schon mal die sogenannte Real-Name-Policy verfügt, wonach jeder Nutzer sich mit seinem echten Namen zu registrieren hat. Diese Regel ist aber bislang kaum umgesetzt. Die Empörung im Netz darüber war so groß, dass Sina prompt auch „Real-Name-Policy“ auf die Schwarze Liste setzte. Alle Einträge mit diesem Begriff waren blockiert – damit jedoch auch die neue Nutzerordnung.

Bleibt noch Twitter. Das US-Portal ist im chinesischen Netz zwar gesperrt – in China aber dennoch verbreitet. Über sogenannte VPNs (Virtual Private Networks) können sich Chinesen über ausländische Server bei Twitter einloggen. Mit einer VPN-Software erreichten sie eine Art Tunnel zwischen ihrem Rechner und dem ausländischen Server. Ihre Anfrage an twitter.com kommt damit nicht mehr über einen chinesischen, also überwachten Server, sondern über den im Ausland. So können bei Twitter all die Diskussionen stattfinden, die bei Sina, Tencent und Soho nur eingeschränkt möglich sind.