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Chinesen können auch S-Bahn

 

Chinesen stellen Kleidung, Spielzeug und iPads her. Aber können sie auch S-Bahn – und dann auch noch in Berlin? Das fragte vor wenigen Tagen die Berliner Zeitung. Sie will erfahren haben, dass sich eine Reihe ausländischer Verkehrsunternehmen um Anteile an der Berliner S-Bahn bemüht. Der Senat der Hauptstadt will den Betrieb des S-Bahn-Netzes in einem Wettbewerb ausschreiben, nachdem sich der bisherige Betreiber, die Deutsche Bahn, nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat.

Im Rennen soll sich auch das Hongkonger Verkehrsunternehmen MTR Corporation befinden. Die Firma ist mit einem Nettogewinn von umgerechnet rund 800 Millionen Euro einer der profitabelsten Verkehrsbetriebe der Welt. Verkehrsbetrieb und profitabel? Das klingt in Deutschland eher ungewöhnlich. Öffentliche Verkehrsmittel sind in den meisten europäischen Metropolen so gut wie immer ein Zuschussgeschäft. Das ist bei der MTR anders. Sie macht in der südchinesischen Finanzmetropole zwar auch über den Verkauf von Fahrkarten ein Plus. Im Jahr 2010 lag der Gewinn bei mehr als 200 Millionen Euro – ein Drittel des gesamten Geschäftes. Rund zwei Drittel erwirtschaftet das Hongkonger Unternehmen mit Immobilien und der Entwicklung von Shopping Malls.

Das Prinzip von MTR funktioniert so: Als das damals noch staatliche Unternehmen Ende der siebziger Jahre das U-Bahnsystem der Stadt zu bauen begann, erwarb es neben den U-Bahnstationen auch die umliegenden Grundstücke und Flächen. Die Planer dachten offenbar schon damals, dass sich U-Bahnstationen früher oder später zu lukrativen Verkehrsknotenpunkte entwickeln würden. Was wiederum heißt: Um die Stationen herum würden sich auch Geschäfte und andere Dienstleistungen lohnen. Inzwischen betreibt MTR in Hongkong die beliebtesten Einkaufszentren, darunter den Maritime Square.

In den vergangenen Jahren hat sich MTR auch an U-Bahn-Linien in Peking, Hangzhou und Shenzhen beteiligt. Zudem expandierte die Firma international. Am Londoner Overground ist MRT in einem Joint Venture mit einem britischen Verkehrsunternehmen beteiligt. Seit 2009 betreibt das Unternehmen auch die Stockholmer Metro, zunächst für acht Jahre mit der Option auf sechs weitere. Auch für den innerstädtischen Bahnbetrieb von Melbourne ist das Hongkonger Unternehmen verantwortlich.

Um weiter expandieren zu können, hat sich MTR zuletzt drei Milliarden Dollar auf dem Anleihenmarkt geliehen. Allein am Montag nahm das Unternehmen rund 250 Millionen Dollar auf, verzinst zu zwei Prozent. Das Unternehmen genießt offenbar Kredit bei den Anlegern.

Doch was könnte ein Einstieg von MTR bei der Berliner S-Bahn bedeuten? Wären die Züge pünktlicher, die Bahnhöfe moderner, kommt etwa ein Funkchipkartensystem? Das Unternehmen schweigt auf Anfrage von ZEIT ONLINE zu seinen Berliner Plänen.

Realistisch betrachtet dürfte der Einfluss des neuen Investors begrenzt sein. Innerhalb des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg ist die Berliner S-Bahn nur ein Anbieter von mehreren. Jede größere Änderung wie ein neues Fahrkartensystem müsste MTR mit den anderen Partnern absprechen.  Zudem wäre die MTR ab 2017 auch nur der S-Bahn-Betreiber für die kommenden 15 Jahre. Dann wird der Weiterbetrieb erneut ausgeschrieben. So viel dürfte sich also gar nicht ändern. Was aber immerhin schon etwas wäre.