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Nestlé will den Markt für chinesische Medizin erobern

 

Die Zeiten, in denen chinesische Kräutertrunks, Akupunkturnadeln und Qigong-Behandlungen im Westen als Hokuspokus galten, sind lange vorbei. Die Nachfrage nach Traditioneller chinesischer Medizin (TCM) ist auch in Deutschland groß. Nun steigt das Schweizer Lebensmittelunternehmen Nestlé in das Geschäft mit der traditionellen Heilkunde ein.

Vergangene Woche gab Nestlé bekannt, dass seine Gesundheitssparte mit dem Pharmakonzern Hutchison China Meditech (Chi-Med) des Hongkonger Industriemoguls Li Ka-Shing ein Joint Venture eingehen wird. Nutrition Science Partners Limited soll das neue Unternehmen heißen. Beide Partnern halten je die Hälfte der Anteile. Die Firma soll Medikamente auf Basis der traditionellen chinesischen Medizin herstellen.

Vorerst soll Nutrition Science Partners nur ein Präparat gegen Magen-Darm-Beschwerden vertreiben. Dass die chinesische Heilkunde bei solchen Beschwerden hilft, ist schulmedizinisch weitgehend nachgewiesen. Nestlé will es indes nicht dabei belassen. Der Konzern plant auch den Verkauf chinesischer Arzneimittel, die bei Stoffwechselstörungen oder neurologischen Krankheiten wie etwa Alzheimer Anwendung finden. Dass traditionelle chinesische Heilmethoden gegen diese Krankheiten helfen, wird erheblich stärker bezweifelt.

Die Tradition der Chinesischen Medizin reicht mindestens zweitausend Jahre zurück. Zu den sogenannten fünf Säulen der chinesischen Medizin zählen Kräutermischungen, Akupunktur, Massagetechniken, Bewegungsübungen wie Qigong und Tajiquan und eine Ernährungsweise, die sich in „heiß“ und „kalt“ unterteilt. Ein Vorteil, den die Anhänger der chinesischen Medizin anführen: Die Medikamente haben oft nur wenig Nebenwirkungen. Westliche Schulmediziner hingegen bestreiten ihre Wirksamkeit. Vieles sei auf Placeboeffekte zurückzuführen.

Dennoch wenden in vielen Ländern Europas immer mehr Ärzte Akupunktur und chinesische Massagetechniken an. In Deutschland erkennen die Krankenkassen Akupunktur bei chronischer Kniegelenkarthrose und bei Rückenschmerzen als Leistung an. Die Forschungsgruppe Akupunktur und Chinesische Medizin (FACM) hat heute rund 2.300 Mitglieder und ist damit einer der großen Ärzteverbände in Deutschland.

Nestlé geht es bei dem Geschäft weniger um Europa, als um den chinesischen Markt. Die Gesundheitsbranche in der Volksrepublik boomt. Im vergangenen Jahr wuchs sie um mehr als 30 Prozent. Rund ein Viertel der ärztlichen Behandlungen erfolgt nach traditioneller Art. Der laufende 12. Fünfjahresplan der chinesischen Führung sieht vor, dass bis 2015 jede Kreisstadt mindestens ein Krankenhaus unterhält, das sich nur der chinesischen Medizin widmet. Landesweit soll jedes Krankenhaus eine eigene TCM-Abteilung betreiben.

Der Schweizer Konzern erhält mit dem Deal auch Zugriff auf die geheime botanische Bibliothek für Traditionelle Chinesische Medizin von Chi-Med. Darin enthalten sind Informationen über mehr als 50.000 pflanzliche Extrakten von 1.200 Heilpflanzen. „Die neue Partnerschaft verschafft Nestlé Zugang zu einem der führenden Bibliotheken der traditionellen chinesischen Medizin“, verkündet Luis Catarell, der Chef der Nestlé-Gesundheitssparte. Man kann es auch so sagen: Rund 2.000 Jahre altes Wissen wandert in die Hände des Schweizer Weltkonzerns.