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Drei Billionen Euro für Chinas Wanderarbeiter

 

Ein ambitionierter Plan: Immer mehr chinesische Bauern sollen vom Land in die Städte ziehen. So will es Chinas Führung. Das Ziel: Den Lebensstandard der Landbevölkerung zu heben. Langfristig soll der Anteil der Landbevölkerung weniger als zehn Prozent betragen.

Chinas Führung hat für ihr Vorhaben auch ökonomische Argumente. Eine entwickelte Volkswirtschaft braucht schlicht weniger Menschen in der Landwirtschaft. Eine Entwicklung, die Deutschland bereits vor Jahrzehnten vollzogen hat. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten 38 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft. Heute sind es rund zwei Prozent. Ähnlich sieht es in den meisten Industriestaaten aus.

In China arbeiten derzeit noch 50 Prozent der Erwerbstätigen als Bauern. Die meisten von ihnen sind sehr viel ärmer als die Menschen in den Städten. Eine Weg, die Einkommensschere zu schließen, lautet daher: Urbanisierung. Chinas Führung verspricht, in einem ersten Schritt mindestens 260 Millionen Menschen zu Stadtbewohnern zu machen – innerhalb von drei bis fünf Jahren. Fast alle von ihnen sind Wanderarbeiter und arbeiten schon in der Stadt. Allerdings sind sie dort nicht offiziell registriert und zählen deshalb weiter als Bauern.

Das hängt mit dem sogenannten Hukou-System zusammen. Um eine ungezügelte Landflucht zu verhindern, gibt es in China seit den frühen fünfziger Jahren das Hukou, eine Art Wohnsitzkontrolle. Jeder Bürger ist einem bestimmten Ort zugeordnet. Deshalb hat er auch nur Anspruch auf die jeweiligen Leistungen, die an seinem Wohnort gewährt werden. Wer also in Peking arbeitet aber dort nicht registriert ist, bekommt auch nicht die Sozialtransfers, die in Peking gezahlt werden. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist beträchtlich. Zu den Leistungen eines Bürgers mit einem Stadt-Hukou gehören etwa der freie Zugang zu Schulen und Universitäten, aber auch Sozialleistungen wie Krankenversicherung, Altersvorsorge und Anspruch auf sozialen Wohnungsbau. Bürger mit Land-Hukou genießen diese Privilegien nicht. Stattdessen werden ihnen Parzellen zugeteilt, die sie dann bebauen können.

Dieses Hukou-System war zum Teil erfolgreich. Es hat verhindert, dass im Zuge des wirtschaftlichen Aufstiegs, der sich vor allem in den Städten vollzogen hat, größere Slums entstanden sind. Obwohl viele Wanderarbeiter in den Städten arbeiten, zieht es sie oft wieder zurück auf das Land, weil es ihnen in der Stadt an sozialer Absicherung fehlt. Andererseits hat das Hukou-System zu den starken sozialen Unterschieden beigetragen, die zwischen der Stadt- und Landbevölkerung existieren.

Nun will die Regierung den rund 260 Millionen Wanderarbeitern, die ohnehin schon in den Städten arbeiten, die vollen Rechte und Privilegien eines Stadtbürgers zuerkennen. Das Problem daran: Die Sache wird sehr teuer. Das China International Urbanization Development Strategy Research Commitee, ein Thinktank der Zentralregierung, hat berechnet, wie teuer: Die Umwandlung eines Wanderarbeiters zu einem Stadtbewohner mit allen Sozialleistungen dürfte den Staat durchschnittlich rund 100.000 Yuan pro Person kosten. Das entspricht rund 12.200 Euro. Bei 260 Millionen Menschen macht das eine gigantische Summe von 3,17 Billionen Euro.

Eine Menge Geld, die Chinas Führung bislang gescheut hat, auszugeben. Auf dem Nationalen Volkskongress, der am Dienstag beginnt, soll aber eine Entscheidung für diese Ausgabe fallen.