Lesezeichen
‹ Alle Einträge

China lacht sich ins Fäustchen

 

Whistleblower Edward Snowden hat seinen zwischenzeitlichen Zufluchtsort Hongkong verlassen und ist mit Zwischenstopp in Moskau auf dem Weg weiter, angeblich nach Ecuador. Nun wird auch bekannt, unter welchen Umständen der ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter nach seinen hochbrisanten Enthüllungen über die großflächigen Hackerattacken des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) die Sonderverwaltungszone im Süden Chinas verlassen hat – auf Betreiben der chinesischen Führung.

Offiziell heißt es von Hongkongs Behörden: Einen Antrag der USA, Snowden festzunehmen, sei wegen Formfehlern gescheitert. Am Montag aber offenbarte Snowdens in Hongkong angeheuerter Anwalt, Albert Ho: Vor einigen Tagen sei Snowden von jemandem kontaktiert worden, der angab, „die Regierung zu vertreten“. Es sei zwar nicht eindeutig gewesen, ob die Regierung Hongkongs oder der Volksrepublik gemeint gewesen sei. „Ich habe aber Grund zu der Annahme, dass diejenigen, die ihn zur Ausreise aufforderten, Peking repräsentierten“, sagte Ho.

Snowdens Enthüllungen zufolge hat die US-Regierung nicht nur über Jahre hinweg in großem Maße Cyberspionage bei staatlichen Einrichtungen der Chinesen betrieben. Mit dem Spähprogramm Prism soll der US-Geheimdienst auch chinesische Mobilfunkanbieter angezapft und dabei Millionen SMS gesammelt haben. Zudem habe er sich in die Datenübertragungsleitungen der Tsinghua-Universität in Peking gehackt, eine der renommiertesten Forschungseinrichtungen in China. Und auch die Hongkonger Universität und das Glaskabelnetz des asiatischen Betreibers Pacnet seien von den Cyber-Attacken der USA betroffen.

Der chinesischen Führung gefallen diese Enthüllungen: Offiziell äußert sie sich zwar auch weiterhin nicht zu Snowden. Hinter den Kulissen aber triumphiert sie. Die New York Times beruft sich auf „ungenannte Experten“ und berichtet: Peking habe sich mit der indirekten Ausweisung Snowdens aus Hongkong auf geschickte Weise aus der Zwickmühle befreien wollen.

Das ist ihr gelungen: Nach außen hin vermeidet die chinesische Führung einen diplomatischen Eklat in dem ohnehin angespannten Verhältnis zu den USA. Zugleich aber zeigt sie sich dankbar, indem sie den Informanten nicht an die Amerikaner ausliefert – hat er ihr doch einen Dienst von politisch unschätzbarem Wert erwiesen. Ausgerechnet in den ansonsten von Zensur bestimmten chinesischen Staatsmedien wird der Whistleblower nun als Held gefeiert.

Dabei waren es bislang die USA, die China Hackerattacken und der Computerspionage bezichtigten. US-Medien und Kongressabgeordnete berichteten immer wieder über Cyberattacken aus China auf Einrichtungen der USA. Die New York Times gab Anfang des Jahres eine Studie heraus, in der die chinesischen Angriffe erwiesen werden sollten. Eindeutig waren die angeführten Punkte nicht. Dennoch musste sich Chinas Staatspräsident Xi Jinping erst vor drei Wochen bei seinem US-Besuch vor Präsident Barack Obama rechtfertigen. Nun zeigen die Enthüllungen: Es war genau umgekehrt.

So sehr sich die chinesische Führung geschickt zurückhält – die staatlichen Medien holen umso heftiger aus. Jahrelang hätten sich die USA als Unschuldslamm von Cyberattacken dargestellt und den Finger auf andere gezeigt, wettert etwa die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Nun entpuppe sich Washington als „größter Schurke unserer Zeit“. Hämisch wünscht die englischsprachige Global Times Snowden „viel Glück in dieser schweren Zeit“.

Tatsächlich dürften Klagen der USA über chinesische Hackerangriffe künftig ins Leere laufen. Eine bedauerliche Entwicklung – zumal wegen der Ausspähungen noch größeren Ausmaßes durch den britischen Geheimdienst auch die Europäer als glaubhafte Instanz nun wegfallen.