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Chinesen trinken künftig Milch aus Europa

 

Vor einigen Jahren gab es die Befürchtung, Chinesen könnten uns den Käse wegessen. Dann ging die Angst um, China esse zu viel Schokolade. Und aktuell wird angesichts einer leicht steigenden Milchnachfrage in Fernost bereits ein allgemeiner Mangel an Milch heraufbeschworen. Dahinter steckt stets die Angst, dass es angesichts von 1,3 Milliarden Chinesinnen und Chinesen, von denen viele zu Wohlstand und auf den Geschmack von westlichen Produkten gekommen sind, schon bald nicht mehr genug zu Essen für alle geben könnte. Doch gefährden die Chinesen wirklich die globale Ernährungssicherheit?

Das auf China spezialisierte Forschungsinstitut Dragonomics kommt in ihrer jüngsten Studie zu dem Ergebnis: Zumindest bislang hat Chinas zunehmender Wohlstand nicht zu einer weltweiten Knappheit von Lebensmitteln geführt. Im Gegenteil: In den vergangenen zehn Jahren hat China mehr Nahrungsmittel aus- als eingeführt. Zwar importiert die Volksrepublik zunehmend größere Mengen an Mais und Soja. Doch die Chinesen erzielen zugleich auch immer mehr Überschüsse bei der Produktion von Reis, Obst und Gemüse, was dann zu einem inzwischen nicht geringen Teil exportiert wird.

Tatsächlich hat die chinesische Landwirtschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten beachtliche Fortschritte erzielt. Ihr jährliches Wachstum lag im Schnitt bei fünf Prozent. Das ist zwar niedriger als das Wachstum der Gesamtwirtschaft, aber immer noch höher als Chinas Bevölkerungswachstum. Obwohl die Volksrepublik nur über acht Prozent der globalen Anbaufläche verfügt, muss sie 20 Prozent der weltweiten Bevölkerung ernähren. Bislang ist es Chinas Führung gelungen, ihr Land weitgehend unabhängig vom Rest der Welt zu versorgen.

Doch künftig dürfte es für die Regierung schwerer werden, an diesem Ziel festzuhalten. Der Hauptgrund: Mit zunehmendem Wohlstand verändern sich auch die Essgewohnheiten.

Vor allem der Konsum von Fleisch und Milchprodukten ist in China binnen weniger als einem Jahrzehnt rasant gestiegen und dürfte in ähnlichem Tempo weiter zunehmen. So wird dem Forschungsinstitut Draegonomics zufolge der Fleischkonsum in den nächsten zwei Jahrzehnten in China um mehr als 60 Prozent zunehmen, der Konsum von Milchprodukten sogar um 150 Prozent. Bis 2030 wird jeder Chinese im Durchschnitt 70 Liter Milch im Jahr zu sich nehmen. Das Problem: Die Erzeugung von tierischen Lebensmitteln braucht sehr viel mehr Fläche und Energie als der Anbau von Gemüse. Wird Chinas Landwirtschaft mit diesen sich ändernden Essgewohnheiten mithalten können?

Die Forscher von Draegonomics glauben: Alles in allem ja. Immerhin sei China bereits in den vergangenen Jahren eins der wenigen Länder gewesen, das in den vergangenen Jahrzehnten seine öffentlichen Ausgaben für die Landwirtschaft kontinuierlich gesteigert habe. Und diese Bereitschaft werde fortgesetzt: Bis 2020 will die chinesische Führung allein für Bewässerungsanlagen weitere 630 Milliarden US-Dollar investieren. Aufgrund dieser Investitionen und einer Steigerung der Produktivität geht das Forschungsinstitut davon aus, dass China imstande sei, seine landwirtschaftlichen Erträge weiter um jährlich drei Prozent zu steigern. Zumindest bis 2030 werde die Volksrepublik ihre Bevölkerung auch weiter weitgehend selbst ernähren können, so die Kalkulation von Draegonomics.

Was allerdings die wachsende Nachfrage nach Fleisch und Molkereiprodukten betrifft – da könnte es mit der Selbstversorgung sehr viel schwieriger werden. Kein Problem, schreibt Draegonomics. Genug Milch und Butter gebe es ja – unter anderem in Europa. Und gegen ein paar Cent mehr Einnahmen pro Liter Milch dürften hiesige Bauern auch keinen Einwand haben.