Auch Premierminister Li Keqiang war baff. „Sie haben einen Tag des Kaufrauschs geschaffen“, sagte der chinesische Regierungschef zu Jack Ma, dem Gründer des Internetkonzerns Alibaba. Lis Verblüffung kommt nicht von ungefähr: Alibaba hat einen neuen Weltrekord aufgestellt. Seine zwei Online-Handelsplattformen haben am Montag binnen 24 Stunden umgerechnet mehr als 3,5 Milliarden Euro Umsatz generiert – so viel wie noch nie.
Grund für diesen Kaufrausch: Gestern war der 11. November. Er gilt in China seit einiger Zeit als sogenannter „Single-Tag“. Onlinehändler haben diesen Tag wegen seiner vier Einsen ins Leben gerufen. Die eins steht für „allein“. Mit Sonderangeboten sollen die vielen Unverheirateten des Landes über ihre Einsamkeit hinweggetröstet werden. Rund 180 Millionen Erwachsene in China haben keinen Partner – nicht zuletzt aufgrund der Einkind-Politik, die einen beträchtlichen Männerüberschuss verursacht hat. Auf 100 Frauen kommen inzwischen 120 Männer.
Alibaba-Chef Jack Ma ist es jedoch gelungen, diesen an und für sich traurigen Anlass in ein Shopping-Großereignis zu verwandeln. Am 11. November 2009 hat er auf den Handelsplattformen seines Unternehmens das erste Mal die vielen Sonderrabatte angeboten, viele Waren kosteten gestern im Rahmen des Single-Tages nur die Hälfte. Ob nun tatsächlich frustrierte Singles bestellten oder auch glückliche Paare spielt keine Rolle.
Premier Li zeigt sich glücklich über diesen Tag. In China hat Weihnachten keine Tradition, dementsprechend fällt auch das Weihnachtsgeschäft für den Einzel- und Großhandel flach. Dabei setzt der Regierungschef bereits seit Längerem auf einen wachsenden Konsum im Land. So soll die Abhängigkeit vom Export verringert und Wirtschaftswachstum gesichert werden. Geht es nach ihm, sollen Chinesen nicht mehr nur Waren für den Rest der Welt herstellen, sondern auch für sich selbst.
Der Kaufrausch spielt sich vor allem online ab. Der Umsatz auf Webseiten wie Taobao, Tmal, Amazon oder Suning erreichte im vergangenen Jahr 160 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der gesamte Einzelhandelsumsatz in Deutschland kommt auf 200 Milliarden pro Jahr – ohne Lebensmittel, Tankstellen und Apotheken. Und auf Taobao & Co wird so ziemlich alles angeboten, was das Herz begehrt: Ob selbstgebastelter Schmuck, importiertes Milchpulver oder aufgemotzte BMWs – wer eine Verkaufsidee hat und sie ins Netz stellt, erreicht auch den entlegensten Winkel des riesigen Landes. Der Onlinehandel hat China revolutioniert.
Der gestrige Kaufrausch hat bereits nur wenige Sekunden nach Mitternacht begonnen. Innerhalb von einer Minute verzeichnete Tmall.com bereits rund 15 Millionen Euro Umsatz. Bis zum Morgengrauen waren es 700 Millionen Euro. Dabei brach das Netz aufgrund des Andrangs immer wieder zusammen.
Aber auch die Paketdienste kommen nicht hinterher – trotz Sonderschichten. Sie werden noch die nächsten Tage damit beschäftigt sein, die vielen Bestellungen abzuarbeiten. Im vergangenen Jahr kam es bei der Auslieferung zu zum Teil wochenlangen Verzögerungen. Normalerweise liegt die Ware in China binnen weniger Stunden nach Bestellung vor der Haustür.
Kritiker werfen Premier Li vor, Schleichwerbung für den Waren-Wahnsinn und damit vor allem für den Konzern Alibaba zu betreiben. Das dürfte den promovierten Ökonomen aber unbeirrt lassen. Für ihn sind die vielen bunten Elektrodreiräder der Kurierdienste auf Pekings Straßen längst der Inbegriff für eine neue Episode von Chinas Wirtschaftswunder.