Chinesen sagen westlichen Medien gerne nach, sie würden stets das Haar in der Suppe suchen. Die Berichterstattung erscheint ihnen oft zu kritisch, zu negativ. In China ist es umgekehrt: Die chinesischen Staatsmedien sind dazu angehalten, aus jedem Ereignis eine positive Erkenntnis zu ziehen. Ihren Auftrag haben sie in diesen Tagen mal wieder mehr als erfüllt.
Am vergangenen Wochenende versank eine Reihe von chinesischen Großstädten zum wiederholten Mal unter einer dichten Smogdecke. Die Feinstaubwerte in der Luft lagen vielerorts bei dem 30- und 40-fachen des Grenzwerts, den die Weltgesundheitsorganisation für unbedenklich hält. In einigen Städten war die Sicht so schlecht, dass Flüge gestrichen und Schulen geschlossen werden mussten. Die Zahl der Menschen mit Atemwegserkrankungen stieg in Shanghai, Nanjing und Peking. Trotz der „Airpokalypse“ fanden die regierungseigenen Zeitungen und Sendern dennoch jede Menge Gründe, dem Smog auch etwas Positives abzuringen.
Der Staatssender CCTV fand gleich „fünf gute Gründe“, warum der Smog doch nicht so schlimm sei. Die Luftverschmutzung fördere etwa die Solidarität, das Gesundheitsbewusstsein und die Bildung im Land. Die Bildung? Nun, die Bürger würden sich nun bewusster mit den Bestandteilen der Atmosphäre auseinandersetzen.
Der Fernsehbeitrag löste im Netz einen wahren Shitstorm aus. Die Nutzer fragten nach den „fünf guten Gründen von Bier“ oder „fünf gute Gründe, Scheiße zu essen“. Auch das bilde weiter – schließlich wisse man erst hinterher, ob einem das bekommt.
Die als besonders patriotisch bekannte chinesische Zeitung Global Times brachte am Montag in ihrer wöchentlichen Militär-Rubrik einen Bericht darüber, wie der dichte Smog die Navigation von Lenkwaffen beeinträchtige. Das sei zwar ungünstig für die eigenen Radarschirme, hieß es in dem Bericht. Das Gute daran jedoch sei: Der Smog halte auch die Feinde von einem Angriff auf China ab. Der Beitrag ist im Netz inzwischen nicht mehr auffindbar.
Vor einem Jahr hatte die Regierung den Medien explizit grünes Licht gegeben, ausführlich über die massive Luftverschmutzung in Chinas Großstädten zu berichten. Die Regierung wollte zeigen, dass sie die Sorgen ihrer Bürger ernst nimmt. Es wirkte allzu skuril, dass der Staatssender Bilder von glücklichen Zootieren zeigte, während sich die Menschen nur noch mit Atemmasken vor die Türe trauten. Nun aber haben die Staatsmedien offenbar genug von den vielen Horrorgeschichten über Chinas schlechte Luft. Sie sehnen sich nach guten Nachrichten.
Das ändert nichts daran, dass die Realität erschreckend bleibt: Die Weltbank hat darauf hingewiesen, dass die schwere Luftverschmutzung jedes Jahr der chinesischen Volkswirtschaft Kosten von rund 100 Milliarden US-Dollar im Jahr an Gesundheitskosten beschert. Der Smog verursacht schwere Atemwegserkrankungen, viele Menschen sterben an den Folgen. Greenpeace schätzt, dass die volkswirtschaftlichen Kosten zehnmal so hoch sind. Einer anderen Studie zufolge knapst der Smog jedem Chinesen fünfeinhalb Jahre von der durchschnittlichen Lebenserwartung ab. Auch chinesische Forscher rechnen mit „gigantischen ökonomischen Folgekosten“.
Auch die Deutsche Bank hat untersucht, was China machen muss, um das Problem der Luftverschmutzung in den Griff zu bekommen. Das Resultat: Solange der Kohleverbrauch weiterhin jährlich zwischen fünf und acht Prozent steigt, greifen alle anderen Maßnahmen zu kurz. Da der Strom aber von irgendwo herkommen muss, plädieren die Analysten für einen Totalumbau der chinesischen Energieversorgung. Alles, was jährlich an zusätzlicher Energie benötigt wird, muss aus den Erneuerbaren bezogen werden, heißt es in dem Bericht. Sonst könne die Regierung ihre Versprechen nicht halten.
Tatsächlich braucht China keine Schönrederei, sondern gnadenlose Berichterstattung über das wirkliche Ausmaß der Luftverschmutzung. Dann kann die Smog-Bekämpfung zum treibenden Faktor für den Umbau des chinesischen Energiesystems werden. Auch das würde Wachstum und Arbeitsplätze schaffen.