Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Ein irrsinniges Szenario

 

Mit Geld lässt sich bekanntlich sehr viel erreichen. Das denkt sich zumindest der chinesische Multimillionär Chen Guangbiao. Obwohl die New York Times gar nicht zum Verkauf ansteht, wie die berühmte Verlegerfamilie Sulzberger mehrfach versicherte, möchte er Miteigentümer der renommierten US-Zeitung werden. Er fliegt am Wochenende nach New York, angeblich um erste Sondierungsgespräche zu führen und den Eigentümern ein Angebot zu unterbreiten.

Der 45-Jährige hat seine Millionen über eine Recycling-Firma in der chinesischen Provinz Jiangsu gescheffelt. Was genau den Erfolg seiner Firma ausmacht, ist nicht genau bekannt. Fest steht, dass sich 70 Prozent seiner Belegschaft aus ehemaligen Soldaten und Offizieren der Volksbefreiungsarmee zusammensetzt. Gute Kontakte zur Regierung und Armee sind ihm also sicher.

Chen wird unter den 400 reichsten Chinesen gelistet. Sein Vermögen wird auf rund 826 Millionen Dollar geschätzt – zu wenig, um die New York Times komplett zu kaufen. Ihr aktueller Marktwert liegt bei 2,4 Milliarden Dollar. Nach eigenen Angaben hat er aber in den vergangenen zwei Jahren eifrig weitere Investoren aufgetrieben. Unter anderem ein Hongkonger Immobilien-Tycoon habe zugesagt, 600 Millionen Dollar bereitzustellen. Insgesamt eine Milliarde Dollar will er den jetzigen Eigentümern  bieten. Vielleicht auch mehr.

Es ist nicht das erste Mal, dass der selbst ernannte Philantrop auf sich aufmerksam macht. Als die Hauptstadt Peking im vergangenen Jahr Rekordsmogwerte vermeldete, verteilte er medienwirksam den Pekingern Konservendosen mit angeblich frischer Luft. Nach dem schweren Erdbeben in der Provinz Sichuan 2008 verbrachte er fast zwei Monate im Katastrophengebiet und teilte Bargeld an die Opfer aus, insgesamt 15 Millionen Dollar. Angeblich sollen in den vergangenen zehn Jahren 700.000 Menschen in den unmittelbaren Genuss seiner Hilfe gekommen sein. Er selbst begründet seine Hilfsbereitschaft damit, dass er aus sehr armen bäuerlichen Verhältnissen kommt. Sowohl sein Bruder als auch seine Schwester waren verhungert, als er ein Kind war.

Zugleich gibt sich Chen als feuriger chinesischer Patriot. Als im vergangenen Jahre im chinesisch-japanischen Streit um ein paar verlassene Inseln im Ostchinesischen Meer in zahlreichen Städten Chinas antijapanische Proteste ausbrachen und wütende Demonstranten unter anderem Autos japanischer Marken demolierten und in Brand steckten, spendete Chen den Betroffenen 800.000 Dollar. Damit sollten sie sich neue Autos chinesischer Marken kaufen. Diese Aktionen haben ihm im chinesischen Internet viele Fans beschert. Viele halten ihn jedoch auch für bekloppt.

Die Berichterstattung der New York Times über den Inselstreit ist für ihn der Hauptgrund, warum er die Zeitung übernehmen will. Er hält ihr vor, negativ und verzerrt über China zu berichten. Dass er das angeblich schlechte China-Bild der US-Zeitung als Motiv für sein Übernahmeangebot angibt, zeugt von seinem Medienverständnis. Offensichtlich ist ihm nicht bewusst, dass – anders als in China – Verleger in den USA kein Mitspracherecht bei redaktionellen Entscheidungen haben.

In den USA wird es daher als unwahrscheinlich angesehen, dass die jetzigen Eigentümer sich auf das Angebot einlassen werden. Die Angst vor Chinas wachsendem Einfluss ist in den Vereinigten Staaten ohnehin groß. Ein Verkauf der „besten Zeitung der Welt“ an einen Chinesen, der sich auch noch ausdrücklich als regimetreu erweist, würde so viel Protest auf sich ziehen, dass der Ruf der Zeitung unwiderruflich zerstört wäre. Das schert Chen wenig. Er ist sich sicher, dass die schwindende Zahl amerikanischer Leser durch neue Kunden aus China wieder aufgefüllt werden kann. Er wolle sich persönlich dafür einsetzen, dass die New York Times in China künftig an jedem Kiosk erhältlich ist. Eine chinesischsprachige Onlineausgabe gibt es seit 2012 bereits. Sie ist in der Volksrepublik jedoch gesperrt, nachdem die US-Zeitung über das angebliche Familienvermögen des damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao berichtet hatte.

Chen ist dennoch überzeugt davon, dass die jetzigen Eigentümer sein Angebot zumindest prüfen werden. Er ist sich sicher: Es gebe nichts, was sich nicht kaufen lässt. Der Preis müsse eben stimmen – ein irres, aber nicht völlig ausgeschlossenes Szenario.