Wer sich in China noch nicht bei einem der beiden großen Online-Bezahldienste Alipay oder Tenpay registriert hat, ist im Alltag inzwischen sehr häufig aufgeschmissen. Tickets für Chinas Hochgeschwindigkeitszüge etwa lassen sich online ohne dem Bezahldienst von Alibaba nicht kaufen. Und in Peking finden sich auf der Straße immer seltener freie Taxis, die einen mitnehmen. Die meisten Pekinger bestellen Taxis inzwischen über spezielle Taxi-Apps. Auch dafür wird Alipay oder Tenpay benötigt.
Wie in kaum einem anderen Land der Welt hat sich der Onlinehandel so rasant ausgebreitet wie in China. Um jährlich 70 Prozent und mehr sind die Umsätze im e-Commerce gestiegen. Allein im vergangenen Jahr erwarben chinesische Konsumenten nach Angaben der China Daily Waren im Wert von 1,8 Billionen Yuan online, das sind umgerechnet rund 288 Milliarden Dollar. Damit hat die Volksrepublik die USA als größtes Land im Onlinehandel abgelöst. Fast zehn Prozent des Einzelhandelsumsatzes findet inzwischen im Internet statt.
Während in Deutschland der Onlinehandel in vielen Regionen auf Kosten der Geschäfte in den Innenstädten geht und viele von ihnen dicht machen mussten, ist das Geschäftesterben in China bislang weit gehend ausgeblieben. Denn in vielen Städten und Regionen gab es vorher kaum Läden. Gerade auf dem Land, wo nach wie vor knapp die Hälfte der chinesischen Bevölkerung lebt, hat das Internet Massenkonsum erst ermöglicht. In einigen Landesteilen hat sich der Einzelhandel sogar erst aufgrund der Onlinegeschäfte entwickelt.
Das chinesische Großunternehmen Alibaba, das mit Taobao und TMall die zwei größten Verkaufsplattformen Chinas betreibt, hat auf diese Entwicklung reagiert und sogenannte „Taobao-Dörfer“ initiiert. Ein Dorf oder eine Gemeinde, in denen mindestens zehn Prozent der Bevölkerung einen eigenen Taobao-Shop betreiben und darüber Dinge im Netz verkaufen, dürfen sich als Taobao-Dörfer bezeichnen. Meistens bieten die Betreiber landwirtschaftlich oder industriell hergestellte Produkte aus ihrer Region an, oft auch Textilien.
Alibaba fördert diese Dörfer mit speziellen Angeboten, wie verkaufsfördernde Onlineschulungen. Zudem bietet Alibaba den Betreibern kostengünstig Lagerflächen an. Denn häufig werden diese Taobao-Läden von zu Hause betrieben. Der virtuelle Laden wird auf diese Weise dann doch reell. Mehr als 20 dieser Taobao-Dörfer gibt es in China bereits.
Aber auch der Online-Handel in den großen Städten entwickelt sich rasant: Dem Bericht der China Daily zufolge bestellen die Hälfte aller der chinesischen Internetnutzer ihre Waren im Internet. Die vielen Dienstleistungen, wie etwa Online-Reisebuchungen und Taxi-Apps, für die diese Bezahldienste Voraussetzung sind, werden diesen Trend beschleunigen. Analysten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten zehn Jahre mehr als die Hälfte des gesamten Einzelhandelsumsatzes in China im Internet stattfinden wird.
Das Ausland dürfte von dieser Entwicklung in China ebenfalls profitieren. Weil nach diversen Lebensmittelskandalen und Schadstofffunden in Konsumgegenständen viele Chinesen insbesondere aus der Mittelschicht den im eigenen Land angebotenen Produkten in den Geschäften nicht trauen, bevorzugen sie Importware. Das betrifft vor allem Milchpulver, häufig aber auch Luxusprodukte, die im Ausland oft sehr viel günstiger sind.
Auch dafür haben die Online-Verkaufsplattformen eine Lösung: Bereits seit einiger Zeit gibt es das Geschäftsmodell namens Daigou. Dabei handelt es sich um Händler, die auf Bestellung gezielt im Ausland Produkte erwerben. Aus Deutschland etwa sind derzeit insbesondere Waren der Drogerie-Kette dm gefragt. Der Umsatz mit Daigou-Geschäften lag im vergangenen Jahr bei rund zwölf Milliarden Dollar und soll den Prognosen zufolge 2014 die 20 Milliarden-Grenze überschreiten.