Normalerweise haben wirtschaftliche Interessen für die chinesische Führung Priorität. Wenn sich jedoch die Generäle zu Wort melden, müssen Wachstum und Arbeitsplätze zurückstehen. Das zeigt sich derzeit beim Luftverkehr.
Seit nunmehr zwei Wochen kommt es an den meisten chinesischen Flughäfen zu erheblichen Verspätungen – zum Teil werden Flüge komplett gestrichen. Allein an Shanghais Flughäfen Pudong und Hongqiao sind in der vergangenen Woche an einem Tag über 200 Flugzeuge nicht gestartet, zwei Drittel verspätete sich um mindestens zwei Stunden. Und auch die Hallen des Hauptstadtflughafens in Peking sind derzeit regelmäßig überfüllt mit wartenden Gästen, weil die viele Flüge unpünktlich sind oder gar nicht erst starten.
Der Grund: Chinas Volksbefreiungsarmee hält seit Mitte Juli Militärübungen ab. Sie sollen noch bis mindestens zum 15. August andauern. Wo genau die Übungen stattfinden, teilte das chinesische Verteidigungsministerium nicht mit. Von „weiten Teilen der Südostküste“ ist lediglich die Rede.
Die Volksrepublik ist inzwischen der zweitgrößte Flugverkehrsmarkt der Welt. Der zivilen Luftfahrt stehen aber nur rund 30 Prozent des Luftraums zur Verfügung. Die übrigen 70 Prozent sind den chinesischen Luftstreitkräften vorbehalten. Zum Vergleich: In den USA kontrolliert das Militär gerade einmal 15 Prozent des Luftraums.
Dieses Missverhältnis geht auf die Herrschaft unter Mao Zedong vor rund 50 Jahren zurück. China überwarf sich damals mit der Sowjetunion und Mao lebte in der ständigen Angst vor einem Angriff des sozialistischen Bruderstaats. Er weitete die Befugnisse des Militärs aus, unter anderem über den Luftraum. Für Chinas zivile Luftfahrt spielte das damals kaum eine Rolle. Sie existierte quasi nicht.
Heute stellt die weitgehende Kontrolle des Militärs über den chinesischen Luftraum ein großes Problem dar. Auf den wenigen Korridoren, die für den Zivilverkehr zur Verfügung stehen, drängen sich die Flugzeuge. Auch ohne Militärmanöver ist China derzeit das Land mit den meisten Verspätungen. Dem Portal Flightstats zufolge führt Peking die Rangliste mit den häufigsten Verspätungen an. Gerade einmal 18 Prozent aller Maschinen hebt pünktlich ab. Der Pekinger Flughafen fertigte im vergangenen Jahr mehr als 80 Millionen Passagiere ab.
Der Schaden für die Wirtschaft ist enorm: Die Wirtschaftsleistung Chinas würde um 30 Milliarden Dollar pro Jahr höher liegen, wenn das chinesische Militär nur ein Zehntel des von ihm kontrollierten Luftraums dem zivilen Flugverkehr zur Verfügung stellen und es damit zu weniger Verspätungen kommen würde, sagte ein chinesischer Luftfahrtexperte dem Economist.
Das Problem dürfte künftig auch noch größer werden, denn Chinas Flugverkehr wächst rasant. Die Zahl der Passagiere lag im ersten Halbjahr 2013 bei 186 Millionen, ein Plus von 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Dass immer mehr Hochgeschwindigkeitszüge durch China fahren, entlastet den Flugverkehr zwar etwas. Aber nur bei Inlandsflügen. Allein die Zahl der Auslandsreisen von Chinesen soll sich aktuellen Schätzungen zufolge bis 2020 auf über 200 Millionen erhöhen. Entsprechend planen die chinesischen Fluggesellschaften, ihre Flotten weiter zu vergrößern. Derzeit haben die chinesischen Fluggesellschaften zusammen rund 2.200 Maschinen in Betrieb. 2020 sollen es über 4.000 sein.
Chinas Führung sieht aber nur wenig Handlungsbedarf. Anstatt die Hoheit des Militärs über dem Luftraum einzuschränken, sagte das Verteidigungsministerium lediglich zu, Offiziere für einige besonders stark betroffene Flughäfen abzubestellen. Sie sollen den Lotsen bei der Umleitung von zivilen Flügen helfen.