Um 9.30 Uhr New Yorker Ortszeit war es so weit: Alibaba-Gründer Jack Ma läutete auf die Sekunde genau die Eröffnungsglocke der New York Stock Exchange. Zuvor überreichte er dem Präsidenten der größten Wertpapierbörse noch eine etwa 1,20 Meter große Tao-Puppe, das Maskottchen von Alibabas erfolgreicher Handelsplattform Taobao.
Seitdem wird auf dem Börsenparkett eifrig gehandelt; die New Yorker Börse brauchte sogar mehr als zwei Stunden nach Handelsbeginn, ehe sie den ersten Kurs für die begehrte Aktie des chinesischen Online-Händlers nennen konnte. Der Preis für das Wertpapier kennt am ersten Handelstag nur eine Richtung. Und zwar nach oben. Die Aktien waren zu einem Stückpreis von 68 Dollar ausgegeben worden, doch angesichts der riesigen Nachfrage lag die Erstnotiz am Vormittag bereits bei 92,70 Dollar – ein Sprung von mehr als einem Drittel.
Damit sind tatsächlich die anvisierten 25 Milliarden Dollar Einnahmen für Alibaba zusammengekommen, der wahrlich größte Börsengang aller Zeiten. Mit dem ersten Kurs war Alibaba fast 230 Milliarden Dollar wert, mehr als etwa Coca-Cola. Der Hype verwundert – denn die Alibaba-Aktie ist alles andere als ein sicheres Papier.
Zwar beherrscht das 1999 von Ma gegründete Unternehmen mit seinen Plattformen Taobao, Alibaba und T-Mall sowie seinem Bezahldienst Alipay rund 80 Prozent des chinesischen Onlinehandels und setzt heute mehr um als die Online-Riesen Ebay und Amazon zusammen.
Dennoch könnte bereits in den nächsten Handelstagen der Kurs der Aktie einbrechen. Der Grund: Die Firmenleitung um Jack Ma konnte sich bei den Verhandlungen mit der New York Stock Exchange mit der Forderung durchsetzen, dass zumindest einige der ursprünglichen Eigentümer ihre Anteile sofort verkaufen dürfen.
Normalerweise werden Erstinvestoren verpflichtet, in den ersten Monaten an ihren Aktienanteilen festzuhalten. Mit diesen sogenannten Lockup-Vereinbarungen soll verhindert werden, dass gleich zu Beginn des Börsengangs die Ursprungseigentümer ihre Anteile verkaufen und einen Kurssturz auslösen. Beim Facebook-Börsengang etwa durfte kein einziger Erstinvestor seine Aktien loswerden. Im Fall von Alibaba gilt diese Einschränkung nach Angaben des Wall Street Journals bei etwa einem Drittel der bisherigen Eigentümer nicht. Sie dürfen ihre Anteile sofort verkaufen.
Und einige haben das auch vor: Allen voran Jack Ma selbst hat angekündigt, dass er 12,7 Millionen Aktien loswerden und seinen Anteil an Alibaba von rund acht auf dann etwa sechs Prozent senken will. Das macht ihn um einen Schlag um eine halbe Milliarde Dollar reicher. Ähnliches haben ein weiterer Mitgründer und die meisten Alibaba-Mitarbeiter vor. Sie alle waren schon vor dem Börsengang in New York Anteilseigner des Unternehmens. Chinesische Medien gehen davon aus, dass der Handel von Alibaba-Aktien in den kommenden Wochen etwa 10.000 Mitarbeiter in China zu Dollar-Millionären machen wird, eine Reihe von Alibaba-Topmanager gar zu Milliardären – und zwar auf Kosten der Anleger, die erst zum Börsenstart am Freitag eingestiegen sind. Wer von ihnen auf kurzfristige Gewinne gesetzt hat, könnte schon nach den ersten Tagen bitter enttäuscht werden.
Aktionäre haben keine Rechte
Was die Alibaba-Aktie aber auch für langfristig orientierte Anleger unattraktiv macht: Anders als bei anderen börsennotierten Unternehmen werden die Aktionäre bei Alibaba über kein Mitspracherecht verfügen. Die Führung in Peking erlaubt es ausländischen Investoren nicht, Einfluss auf chinesische Unternehmen auszuüben. Anleger aus dem Ausland haben zwar Anspruch auf die Gewinne, das Management bleibt aber in chinesischer Hand.
Probleme hat es durchaus schon gegeben: Als Ma 2011 den Bezahldienst Alipay in ein von ihm kontrolliertes Unternehmen ausgliederte, informierte er seine beiden größten Mitinhaber, Yahoo und das japanische Kommunikationsunternehmen Softbank, erst hinterher. Zusammen gehören ihnen immerhin mehr als die Hälfte von Alibaba. Ma führte damals an, dies sei notwendig gewesen, um nicht gegen chinesische Vorschriften zu verstoßen.
Wer sich aber dafür umso stärker ins Geschäft einmischen könnte, ist die chinesische Regierung. Ihr hat Alibaba überhaupt seinen Aufstieg zu verdanken. Erst nachdem Chinas Regierung ab 2005 systematisch damit begann, ausländische Internetseiten zu sperren und damit auch Konkurrenten wie eBay die Geschäfte in China zu vermiesen, konnte Alibaba zum Marktführer in der Volksrepublik aufsteigen.
Bis heute pflegt die Alibaba-Führung ihre Beziehungen zur Spitze der regierenden Kommunistischen Partei. So durfte auch der jetzige Börsengang erst erfolgen, nachdem Peking die Erlaubnis dafür gegeben hat. Ein Börsengang in New York wird vor dieser staatlichen Einflussnahme nicht schützen. Peking hat in der Vergangenheit bereits gelistete chinesische Unternehmen wieder von internationalen Börsen genommen. Verlierer waren stets die Anleger.
Deutsche Privatanleger können die Alibaba-Aktie zwar eh noch nicht direkt erwerben. Aber auch professionellen Investoren sollte klar sein: Wie derzeit bei den meisten Großunternehmen aus der Volksrepublik steckt auch hinter Alibaba der chinesische Staat. Oder wie es der US-amerikanische Starinvestor und Paypal-Mitgründer Peter Thiel auf CNN Money bezeichnet: Es handelt sich um eine „politische Investition“.