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Peking fehlt eine Strategie

 

Gewisse Verhaltensweisen sind nur schwer abzulegen. Aus Furcht, die Bilder von den Protesten in Hongkong könnten auch die Fantasie der Unzufriedenen in der restlichen Volksrepublik beflügeln, beschäftigen sich die chinesischen Zensoren seit Tagen mit nichts anderem als sämtliche Einträge aus den sozialen Netzwerken zu löschen, die auch nur entfernt Bezug nehmen auf Occupy, gelbe Schleifen oder Regenschirme. Den Bilderdienst Instagram haben die Zensoren in China komplett gesperrt.

Dabei ist die Wirkung dieser Maßnahmen sehr fraglich. Denn längst gibt es in China wahrscheinlich Tausende von Netzaktivisten, die Wege finden, die Bilder und Kurznachrichten aus Hongkong dennoch im chinesischen Netz zu streuen. Mehr fällt der chinesischen Führung aber anscheinend nicht ein. Sie hat keine Strategie, wie sie mit den Protesten in der Sonderverwaltungszone umgehen soll.

Zwar hat die chinesische Volkszeitung (Renmin Ribao), das Zentralorgan der Kommunistischen Partei, am Donnerstag in einem Leitartikel bekräftigt, die Regierung werde „auch in Zukunft entschieden und unerschütterlich die Maßnahmen und Regeln der Regierung von Leung Chun-Ying (dem Hongkonger Regierungschef) und der Polizei“ unterstützen. Die Demonstranten würden „selbstsüchtig“ die soziale Ordnung und „den ökonomischen Wohlstands Hongkongs“ gefährden, heißt es weiter. Und das müsse gestoppt werden. Aber das steht zunächst einmal nur so in der Zeitung. Offizielle Regierungsposition ist das noch nicht.

Eskaliert der Protest?

Schon in den nächsten Stunden könnte sich abzeichnen, ob Peking weiter stur den Hongkonger Demokratieaktivisten jegliche Dialogbereitschaft verweigert oder sich nicht doch gesprächsbereit zeigt. Die protestierenden Studenten haben den unbeliebten pekingtreuen Hongkonger Regierungschef aufgefordert, bis Mitternacht zurückzutreten. Sollte er das nicht tun, wollen sie ihren Protest ausweiten und sogar Regierungsgebäude besetzen. Damit würde der bislang friedliche Protest ein neue Eskalationsstufe erreichen. Und spätestens dann ist die pekingtreue Führung in Hongkong unter Zugzwang.

Aus Logik der KP-Führung wird es keine leichte Entscheidung: Lässt sie die Proteste laufen, könnte dies als Zeichen der Schwäche gesehen werden – parteiinterne Widersacher hat der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping zur Genüge. Je länger zugleich die Blockaden anhalten, desto größer wird die Gefahr, dass sich der momentan noch friedliche Protest radikalisiert und die in der Stadt so dominierende Finanzindustrie handfesten Schaden erleidet.

Ein hartes Durchgreifen der Polizei könnte für Peking aber ebenso riskant werden. Der heftige Einsatz der Beamten mit Pfefferspray, Tränengas und Gummiknüppel am vergangenen Sonntag hat in der Siebenmillionenmetropole bereits für sehr viel Empörung gesorgt und dazu beigetragen, dass sich seitdem noch mehr Hongkonger mit auf die Straße setzen.

Sebastian Heilmann vom Berliner Mercator Institut für China-Studien hält es durchaus für möglich, dass Peking einen hochrangigen Sonderbeauftragten schicken könnte, um Verhandlungen mit der Hongkonger Verwaltung und Vertretern der Demonstranten zu führen. Heilmann weist zwar daraufhin, dass dies eine ungewöhnliche Konzession der Pekinger Regierung wäre; sie sei es nicht gewohnt, mit Demonstranten direkt zu verhandeln. Allerdings gebe es Erfahrungen mit solchen Verhandlungen auf Provinz- und Großstadtebene.

Extrem gefährlich werde die Lage aber dann, so Heilmann, wenn in Peking Begriffe wie „Abspaltung“ und „Separatismus“ fallen. Denn dann droht auch Hongkong ein Tiananmen.