In China leben nach den USA inzwischen weltweit die meisten Millionäre. Beeindruckend ist, dass ihre Zahl so rasant steigt. Waren es 2012 noch rund 1,5 Millionen, so stieg ihre Zahl im vergangenen Jahr auf 2,4 Millionen. Nicht zuletzt weil die chinesische Währung, der Renminbi, zum Dollar immer mehr an Wert gewinnt, wird bis Ende 2015 mit einer weiteren Verdopplung gerechnet.
Die Armut im Land bleibt davon jedoch unberührt. So leben nach Angaben der chinesischen Wirtschaft derzeit über 82 Millionen Menschen von umgerechnet einem Dollar oder weniger pro Tag. Die Weltbank definiert Menschen als extrem arm, wenn sie weniger als 1,25 Dollar pro Tag zur Verfügung haben. Bei der Vorstellung des nationalen Armutsberichts vor ein paar Tagen gab der zuständige Kommissionsleiter der Zentralregierung Zheng Wenkai zu, dass diesem Maßstab zufolge die Zahl der Armen in der Volksrepublik sogar bei über 200 Millionen liegt. Das heißt: Mehr als jeder sechste in China gilt als bitterarm.
Dieser Teil der Bevölkerung hat nicht nur zu wenig Geld, sondern oft auch keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, keinen Stromanschluss und auch die Krankenversorgung ist miserabel. Sie leben oft in Regionen, die besonders häufig von Naturkatastrophen wie etwa Erdbeben, Trockenheit oder Überschwemmungen betroffen sind.
Dabei hat China bei der Armutsbekämpfung große Fortschritte gemacht. Mit einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich neun Prozent in den vergangenen 20 Jahren ist es der kommunistischen Führung gelungen, mehr als die Hälfte der rund 1,3 Milliarden Chinesen aus der Armut zu holen. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen hat sich seit 1980 mehr als verzehnfacht. Etwa 350 Millionen Menschen können sich heute einen Lebensstil leisten, der dem des Westens in kaum etwas mehr nachsteht. Es ist China zu verdanken, dass die Welt von den Vereinten Nationen festgelegten Milleniumziele zur Halbierung der weltweiten Armut bis 2015 erreichen wird.
Die Einkommensunterschiede sind extrem
In chinesischen Städten ist extreme Armut inzwischen auch nur noch selten zu sehen. Zwar gibt es nach wie vor jede Menge Wanderarbeiter, die zu knochenharten Bedingungen die Hochhäuser und Straßen errichten. Doch auch sie haben fast alle ein Dach über dem Kopf und verdienen zumindest so viel, dass es nicht nur für den eigenen Lebensunterhalt ausreicht, sondern sie auch Geld zu ihren Familien in ihre Heimatdörfer schicken können. Anders als in den meisten anderen Schwellen- und Entwicklungsländern gibt es in chinesischen Städten auch keine Slums.
Doch wo findet sich in dem Riesenreich dann die Armut? Tatsächlich hieß es bis vor Kurzem, es gebe sie vor allem auf dem Land. Aber auch dort hat sich viel getan. Mit gewaltigen Infrastrukturprogrammen hat die chinesische Führung in den vergangenen Jahren auch weite Teile der ländlichen Regionen erschlossen. Moderne Autobahnen und Landstraßen durchziehen nun selbst die Provinzen Guizhou, Gansu und Yunan – die bislang ärmsten Provinzen. Zugleich sind auch dort gewaltige Industriegebiete entstanden. Diese Provinzen weisen nun landesweit mit die höchsten Wachstumsraten auf.
Wenn der Regierungsvertreter dennoch von 80 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze spricht, handelt es sich zumeist um Bauernfamilien, die in besonders abgeschiedenen Gebieten vor allem im trockenen Westen und Nordwesten des Landes von ihren zugeteilten Parzellen leben und Subsistenzwirtschaft betreiben. Es dürfte aber nur eine Frage der Zeit sein, bis auch diese Dörfer erschlossen sind und auch dort der Lebensstandard dann langsam steigen dürfte.
Was China jetzt und in naher Zukunft allerdings sehr viel mehr Sorgen bereiten sollte, sind die inzwischen extremen Einkommensunterschiede. Wie aus einer Studie der Universität Peking von Beginn des Jahres hervorgeht, kontrollierte 2012 das oberste Prozent der Bevölkerung mehr als ein Drittel des gesamten Volksvermögens. Das untere Viertel hingegen verfügt nur über ein Prozent. Allen Erfolgen bei der Armutsbekämpfung zum Trotz könnte diese extreme Ungleichheit schon bald die sozialen Spannungen im Land schüren.
Insofern ist der rasante Anstieg an Millionären in der Volksrepublik keineswegs eine erfreuliche, sondern eine eher beunruhigende Entwicklung.