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Das Ende von Occupy Hongkong

 

Mit Occupy ist es in Hongkong vorbei – zumindest vorerst. Nach 75 Tagen hat die Polizei am Donnerstag das Hauptlager der Demokratie-Aktivisten vor dem Sitz der Hongkonger Regierung geräumt. Einige Hundert Aktivisten leisteten in den letzten Stunden mit friedlichen Sitzblockaden noch symbolischen Widerstand. Gegen 22 Uhr war aber auch der letzte Demonstrant weggetragen und festgenommen. Seit dem frühen Morgen rollt auf den Straßen im Regierungsviertel wieder der Verkehr.

Alex Chow von der Hongkonger Studentenvereinigung bestritt zwar, dass die Proteste gescheitert seien und kündigte eine zweite große Blockadewelle für das nächste Halbjahr an. Aber auch er musste eingestehen, dass die Bewegung nach mehr als zwei Monaten ununterbrochener Blockaden keinen Sieg erringen konnte. Die Hongkonger Führung bleibt stur und stellt sich hinter die Pläne der Zentralregierung, bei den ersten direkten Wahlen ab 2017 nur Kandidaten zuzulassen, die von der KP-Führung in Peking vorher abgesegnet wurden. Die Demokratie-Aktivisten haben sich mit keiner ihrer Forderungen durchsetzen können. Mehr denn je stellt sich die Frage: Was ist auf Protestseite schief gelaufen?

Zunächst einmal: Die Aktivisten haben ihren mächtigen, autoritären Gegner unterschätzt. Die KP-Führung geht auf dem Festland kompromisslos mit Kritikern um und lässt sie brutal und ohne rechtliche Grundlage wegsperren. Das hat sie in Hongkong mit den Demonstranten nicht getan, die Stadt genießt als ehemalige britische Kronkolonie einen Sonderstatus. Trotzdem war von vornherein klar, dass sich Peking auf keinen Fall die Blöße geben würde, gegenüber den Aktivisten in Hongkong klein beizugeben. Das unterscheidet die KP-Führung in Peking auch weiter fundamental von Regierungen in demokratisch geführten Ländern.

Die Initiative Occupy Central unter Federführung des Jura-Professors Benny Tai hatte die Erfüllung des allgemeinen Wahlrechts ab 2017 zur als unabdingbares Ziel genannt. Das mag ein berechtigtes und in westlichen Demokratie selbstverständliches Anliegen sein, nicht aber in der Volksrepublik. Auf dem Festland sind Forderungen nach Demokratie ein Tabu, weil damit im Verständnis der herrschenden KP die Macht im Allgemeinen infrage gestellt wird. Nichts fürchtet sie mehr.

Angesichts dieser bedingungslosen Forderung gab es für die Hongkonger Regierung von vornherein keinen Verhandlungsspielraum, aus Sicht von Regierungschef Leung Chun-Ying war jegliches Gesprächsangebot unmöglich. Seine Stellvertreterin hat sich nur mit den Studentenführern getroffen, die ihre Ziele nicht ganz so absolut formuliert haben. Auf dieser Ebene ist der Gesprächsfaden noch nicht ganz abgerissen.

Der wahrscheinlich größte Fehler war aber, dass die Blockaden nicht, wie zu Beginn vorgesehen, nur im Regierungs- und Finanzviertel stattfanden, wo auch Hongkongs mächtige Magnaten ihre Hauptquartiere haben. Die Demonstranten weiteten sie schnell auch auf die Geschäftsviertel in den engen und wuseligen Stadtteilen Mongkok und Causeway Bay aus. Die Geschäftstreibenden – viele von ihnen kleine und mittelständische Händler – erlitten zum Teil beträchtliche Einbußen. Damit verspielten die Aktivisten  in der Bevölkerung viel Sympathie.

Ein Grund der Proteste war der in Hongkong um sich greifende sogenannte Crony-Capitalism, was übersetzt so viel heißt wie Vetternwirtschaft, aber weit darüber hinausgeht. Die Hongkonger Führung ist eng verbandelt mit den mächtigen Tycoons und ihrer Sippschaft in der Stadt. Diese Großindustriellen sind überproportional stark im Hongkonger Parlament vertreten, das zu mehr als der Hälfte nicht frei gewählt, sondern nach Berufsgruppen bestimmt wird. Für die sozialen Belange der Stadt, wie zu hohe Mieten, unzureichende Altersversorgung oder die zunehmende Ungleichheit, zeigen diese Tycoons wenig Interesse. Sie sind vor allem daran interessiert, wie sie in der Finanzmetropole zu noch mehr Geld und Einfluss kommen.

Die Wahlreform sah eigentlich auch vor, dieses enge Beziehungsgeflecht der Mogule mit der Hongkonger Führung aufzulösen. Das ist auch ein Anliegen der Zentralregierung in Peking, der diese enge Verquickung ein Dorn im Auge ist. Mit der Ausweitung der Blockaden vor allem auf das einstige Arbeiterviertel Mongkok ist dieser Aspekt aber völlig nach hinten gerutscht. Die Demonstranten hätten sich auf das Regierungs- und Finanzviertel konzentrieren sollen. Denn dort sitzen die wirklichen Missetäter.