In Ländern mit unabhängiger Presse sind es normalerweise die Medien, die im Fall von Seuchen Alarm schlagen und die Bevölkerung aufrütteln. Nicht aber in China: Seit Wochen sind die Gesundheitsbehörden alarmiert und warnen vor einer neuen Welle der Vogelgrippe. Doch die meist staatlich kontrollieren Medien berichten höchstens sehr klein darüber. Fragt man die Geflügelhändler auf den Pekinger Märkten, erntet man Achselzucken. Die meisten haben vom Ausbruch der Krankheit noch nicht einmal gehört.
Dabei ist die Lage in diesem Winter durchaus kritisch. Seit November sind mehr als 50 Menschen an der Vogelgrippe des Typs H7N9 erkrankt, mindestens elf von ihnen sind daran gestorben. Das staatliche Gesundheitsamt berichtet von 15 weiteren Patienten, die sich im Krankenhaus in kritischem Zustand befinden. Infektionen mit dem H7N9-Virus wurden sowohl aus den Provinzen Guangdong und Fujian in Südchina als auch aus den ostchinesischen Provinzen Zhejiang, Jiangsu, Jiangxi, Shandong, der Hafenmetropole Shanghai und der Region Xinjiang im Nordwesten gemeldet. Trotzdem berichten die Staatsmedien nur sehr spärlich.
Am Dienstag ist zudem bekannt geworden, dass sich eine Kanadierin mit der Vogelgrippe angesteckt hat. Sie soll sich auf einer China-Reise infiziert haben und den Virus wahrscheinlich auch auf ihren Mann übertragen haben. Beide leiden nach kanadischen Behördenangaben derzeit unter Fieber und Husten, ihr Gesundheitszustand soll aber so stabil sein, dass sie nicht ins Krankenhaus müssten. Sie würden sich in selbst auferlegter Isolation erholen. Zum ersten Mal wurde damit ein Fall von Vogelgrippe des Typs H7N9 auch in Nordamerika festgestellt.
H7N9 gilt als besonders gefährlich
Diesen Erregerstamm haben Wissenschaftler erstmals vor zwei Jahren in China entdeckt. Er gilt auch deswegen als so gefährlich, weil vermutet wird, dass er sich nicht nur von Vogel auf Mensch, sondern auch von Mensch zu Mensch übertragen kann. Bei dem Virus-Subtyp H5N8 etwa, der zuletzt auch das Geflügel in Deutschland befallen hatte, wird eine Übertragung auf den Menschen bislang nicht angenommen.
Die ganz große Angst der Experten: H7N9 könnte so weit mutieren, dass er bei der Mensch-zu-Mensch-Übertragung eine Pandemie auslösen könnte. Davon gehen die Forscher bislang aber nicht aus. Kanadas Gesundheitsministerin Rona Ambrose versicherte, das Risiko einer Ansteckung sei sehr gering. Dieses Virus springe nicht so leicht von einer Person zur nächsten über.
Die bislang weltweit 500 infizierten Menschen kamen alle aus China. Ein Drittel der Erkrankten starb. Die meisten Infektionen konnten auf direkten Kontakt mit Geflügel zurückgeführt werden.
Warum in China dennoch so wenig darüber berichtet wird, dürfte wirtschaftliche Gründe haben. Berichte über die Krankheit lösten in China immer eine Überreaktion in der Öffentlichkeit aus, heißt es in einer kleinen Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua, die einen Geflügelhändler in der Provinz Fujian zitiert. Allein im vergangenen Winter soll die Vogelgrippe die Geflügelindustrie umgerechnet mehr als fünf Milliarden Euro gekostet haben.
Ganz anders hingegen auf der gegenüberliegenden Insel Taiwan, die formal zwar zu China gehört, faktisch aber unabhängig ist. Rund 300 Geflügelfarmen sind betroffen. Die Behörden haben bisher eine halbe Million Tiere gekeult. Dabei wurden lediglich die Virustypen H5N2 und H5N3 entdeckt, die für Menschen sehr viel weniger gefährlich sind als H7N9. Anders als auf dem Festland sind die Zeitungen hier seit Wochen voll von Vogelgrippe-Berichten.