In der Chinapolitik zieht der Westen schon lange nicht mehr an einem Strang. Washington und Berlin sprechen auf Staatsbesuchen in Peking Menschenrechtsverletzungen immerhin an und setzen sich für verhaftete Dissidenten ein. Frankreich, Großbritannien und die meisten anderen EU-Staaten machen das schon lange nicht mehr. Nun könnte es auch in der Entwicklungs- und Finanzpolitik zu Zerwürfnissen kommen.
Einem Bericht der Financial Times zufolge wollen sich Deutschland, Frankreich und Italien an der von China initiierten Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) beteiligen. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), der sich derzeit in Peking aufhält, begrüßte diesen Schritt und bestätigte damit den Bericht. „Je mehr Länder mitmachen, desto besser“, sagte er vor Journalisten.
Großbritannien hat bereits in der vergangenen Woche seinen Willen bekundet, zu den Gründungsstaaten der von Peking angestoßenen Entwicklungsbank zu gehören – zum Ärger der USA. Großbritannien werde „eine Schlüsselrolle“ spielen, damit die AIIB transparente und verantwortlich geführte Strukturen bekomme, erklärte der britische Finanzminister George Osborne am vergangenen Donnerstag in London. Peking will mit der Bank weltweit Infrastrukturvorhaben wie etwa den Bau von Eisenbahnen, Straßen oder Energieprojekte finanzieren.
Washington lehnt das von Peking angeschobene Finanzinstitut ab. Die US-Regierung bezweifelt, dass die AIIB den hohen Anforderungen an guter Unternehmensführung und der Berücksichtigung sozialer und umweltpolitischer Standards gerecht werden kann. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Sie befürchtet außerdem, dass unter Pekings Ägide vor allem chinesische Staatsunternehmen bei der Vergabe von Aufträgen bevorzugt werden. Zudem sieht Washington in der AIIB eine unmittelbare Konkurrenz zur Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB).
China und die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer kritisieren seit Jahren, dass Weltbank und IWF Finanzorgane seien, die von den USA und ihren westlichen Verbündeten dominiert werden. Vor allem China hat mehrfach gefordert, den Stimmschlüssel im IWF und den Proporz zugunsten der Schwellenländer zu verschieben. So verfügen die USA nach wie vor über 16,75 Prozent der Stimmanteile, Deutschland über 5,81 Prozent. China, die inzwischen zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, hat nur 3,81 Prozent. Abgesehen von mehreren Absichtsbekundungen ist aber nicht viel geschehen.
Doch auch Chinas Führung geht es mit der Gründung einer neuen weltweiten Entwicklungsbank nicht um eine allgemein gerechtere Stimmverteilung, das Land will seinen Einfluss in Asien erhöhen. Ansonsten würde sie die anderen Gründungsstaaten nicht so vor vollendete Tatsachen stellen.
So soll die Bank ihren Sitz in Peking haben. Die Hälfte des vorgesehenen Gründungskapitals von rund 100 Milliarden US-Dollar will die chinesische Führung stemmen. Unverhohlen hat Chinas Finanzminister Lou Jiwei vergangene Woche auf einer Pressekonferenz Pekings Führungsanspruch betont. Zwar beteuerte er, die neue Entwicklungsbank stehe jedem Land offen, auch Japan und den USA. Doch im nächsten Satz rutschte es aus ihm heraus, dass seine Regierung noch nicht „endgültig entschieden“ habe, wer von den bislang 27 interessierten Ländern tatsächlich am Gründungsprozess teilnehmen werde. Die Entscheidungshoheit liegt also bei China.
Unter den Ländern, die im Oktober auf dem Gipfel der Asiatisch-Pazifischen Staaten (APEC) in Peking eine Absichtserklärung für eine Beteiligung an der AIIB unterzeichnet haben, fanden sich außer Japan und Vietnam sämtliche asiatische Staaten. Auch Australien zeigte Interesse, ließ sich aber von den USA zurückpfeifen. Die Financial Times berichtet, dass die australische Regierung nach dem Vorstoß der Briten ihre Haltung nun noch mal überdenke werde.
Großbritanniens Premier David Cameron hat in seiner China-Politik einen besonders radikalen Wandel vollzogen. Zu Beginn seiner Amtszeit vor drei Jahren empfing Cameron den Dalai Lama – und zog damit den Zorn Pekings auf sich. Als die chinesische Führung ihn daraufhin mehr als ein Jahr lang schnitt, kam er vor einem Jahr in Peking quasi auf Knien angekrochen und umschmeichelte Peking geradezu. Camerons Kotau fiel so tief aus, dass selbst die chinesischen Staatsmedien das als anbiedernd empfanden.
Cameron bot China sogar eigenständige Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen an – zum Ärger der anderen EU-Staaten. In westlichen Diplomatenkreisen in Peking waren die Briten daraufhin als „Panda-Küsser“ verschrien. So dürften sie nun nicht mehr bezeichnet werden.