Lesezeichen
‹ Alle Einträge

China setzt auf die staatliche Krankenversicherung

 

Horrende Arzneimittelkosten, lange Wartezeiten – und wer endlich dran kommt, muss dem Arzt auch noch häufig sogenannte Hongbaos zustecken, rote Tütchen mit Bargeld, die normalerweise Kindern zum chinesischen Neujahrsfest geschenkt werden. So sieht der Alltag in den meisten chinesischen Praxen und Krankenhäusern derzeit noch immer aus.

Unter allen Berufsgruppen haben in China Ärzte und anderes medizinisches Personal den schlechtesten Ruf. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Übergriffen von frustrierten Patienten auf Ärzte und Pflegekräfte. Kein Wunder, dass sich in den vergangenen Jahren immer weniger junge Leute in der Volksrepublik für den Arztberuf entschieden haben. Schon warnen chinesische Gesundheitsexperten, der Ärztemangel könnte Chinas soziale Stabilität gefährden.

Dieses Problem will die Führung in Peking nun angehen. Sie hat angekündigt, die Ärztedichte innerhalb der nächsten fünf Jahre zu verdoppeln. Bis 2020 sollen auf 1.000 Einwohner zwei statt bislang ein Allgemeinmediziner kommen. So sieht dieser „Fünfjahresplan“ unter anderem eine gigantische Ausbildungsoffensive vor allem von Landärzten vor. Außerdem wird darin die Ärztevergütung neu geregelt; sie sieht unter anderem deutlich höhere staatlich festgelegte Löhne vor. Zu einer allgemein deutlich besseren Versorgung soll vor allem eines beitragen: Sämtliche 1,3 Milliarden Chinesen sollen bis spätestens 2020 über eine staatliche Krankenversicherung verfügen, die den größten Teil der Kosten trägt.

In der Gesundheitsversorgung war China durchaus schon mal weiter. In den Jahren bis 1976 unter Mao Zedong war die städtische Bevölkerung über die jeweilige Arbeitseinheit in den Staatsbetrieben abgedeckt. Zu den Menschen auf dem Land schickte Mao sogenannte Barfuß-Doktoren – rudimentär ausgebildete Ärzte, die die Bauernfamilien mit dem Nötigsten versorgten.

Zu Beginn der 1980er Jahre liberalisierte Chinas Führung im Zuge allgemeiner Wirtschaftsreformen auch das Gesundheitssystem. Dieser marktwirtschaftliche Umbau hatte verheerende Folgen: Wer kein Staatsangestellter mehr war, fiel aus der staatlichen Versorgung heraus. Mit dem Aufstieg von Chinas Privatsektor betraf das immer mehr Menschen.

Zugleich hielten die staatlichen Gehälter der Ärzte nicht mit dem allgemein wachsenden Lohnniveau mit. Viele Ärzte sahen sich gezwungen, neue Einnahmequellen zu finden. Fortan verschrieben sie überteuerte und in vielen Fällen auch unnötige Medikamente und Behandlungen – was die Kosten für die Patienten in die Höhe trieb. Einige Krankenhäuser generierten bis zu 90 Prozent der Einnahmen aus solchen fragwürdigen Verschreibungen. Auf dem Land brach in vielen Regionen die medizinische Versorgung komplett zusammen, weil Ärzte in die Städte abwanderten, wo sie bei vermögenden Privatpatienten mehr verdienen konnten.

Mit dieser Praxis will Chinas Führung nun aufräumen. Ihre Kalkulation: Sobald flächendeckend jeder Bürger wieder mit einer Krankenversicherung ausgestattet ist, nehmen Kliniken und Praxen auch wieder jeden Patienten auf. Vieles ist in diesem Bereich auch schon geschehen. Mussten vor 15 Jahren rund 75 Prozent der Menschen für ihre Gesundheitskosten komplett selbst aufkommen, liegt der Anteil heute bei unter fünf Prozent – weil die meisten in den vergangenen Jahren wenigstens mit einer Grundversorgung ausgestattet wurden, die aber bei Weitem nicht ausreicht.

Das zeigt sich auch bei den staatlichen Gesundheitsausgaben: Die Summe hat sich in den vergangenen sieben Jahren auf heute rund 400 Milliarden Euro mehr als vervierfacht. Sie sollen bis 2020 die Billionengrenze überschreiten. Die weltweite Gesundheitsindustrie kann auf Milliardengeschäfte hoffen.

Ein komplett staatlich finanziertes Gesundheitssystem lehnt die Regierung aber ab. Das Ziel ist die 80-Prozent-Marke: Alle Chinesen sollen sich darauf verlassen können, dass etwa 80 Prozent der anfallenden Krankenkosten von der staatlichen Versicherung getragen wird. Mehr aber nicht. Würde der Staat alle Kosten übernehmen, würden die Leute ständig zum Arzt laufen, ist die Befürchtung. So viel Geld will die chinesische Regierung dann doch nicht ausgeben.