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Chinas Internetwirtschaft mindert Stadt-Land-Gefälle

 

Chinas Wirtschaft hat seit Jahren vor allem zwei Probleme. Erstens: Abgesehen vielleicht von Militärtechnologie können Chinesen so ziemlich alles herstellen, was es auf der Welt gibt. Doch den Chinesen fehlt es an Innovation und eigenen Erfindungen.

Das zweite Problem: So sehr sich der Lebensstandard der chinesischen Mittelschicht in den großen Küstenstädten an dem der Menschen in den westlichen Industriestaaten angeglichen hat – auf dem Land herrscht trotz des rasanten Wirtschaftsaufstiegs nach wie vor sehr viel Armut. Abseits gut ausgebauter Autobahnen und Hochgeschwindigkeitsstrecken leben viele Menschen noch immer von kaum mehr als ihrer kleinen Parzelle Land, die ihnen der Staat einst zugeteilt hat. Die meisten von ihnen sind unterbeschäftigt. Diese Probleme könnten sich schon sehr bald mindern: der Internetwirtschaft sei dank.

Taobao ist sicherlich das prominenteste Beispiel. Die Handelsplattform – eine Art Kombination aus eBay und Amazon, deren Mutterkonzern Alibaba mehr Umsatz macht als beide US-Konzerne zusammen – hat schon dazu beigetragen, dass in China immer mehr Angehörige armer Bauernfamilien in die Internetwirtschaft eingestiegen sind. Sie bieten über eigene sogenannte Taobao-Shops ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse, aber auch handwerkliche Produkte direkt den Kunden an. Einige Bauern stellen auch einfach nur ihre Schuppen zur Verfügung, die Onlinehändler dann als Lagerstätten verwenden. Das bringt den Bauern Mieteinnahmen.

Seit Kurzem boomt in China auch die sogenannte Wirtschaft des Teilens, die Share Economy, sowie die Peer-to-Peer-Ökonomie. So werden Geschäftsmodelle bezeichnet, bei denen Geschäfte (vor allem Dienstleistungen) direkt zwischen den Nutzern abgewickelt werden und nicht über einen Zwischenhändler laufen. An den Betreiber der Internetplattform wird lediglich eine zumeist geringe Gebühr entrichtet. In der westlichen Welt sind aktuell der Fahrdienst Uber und die Zimmervermittlung Airbnb, beides Erfindungen aus den USA, Inbegriffe der Share Economy.

In China entstehen vor allem auf dem Land Plattformen dieser Art. So hat ein Unternehmer in der nordostchinesischen Provinz Liaoning vor zwei Jahren eine Plattform gegründet, auf der für eine geringe Vermittlungsgebühr Kleinunternehmer in der Region ihre Maschinen zum Verleih anbieten können. Mit Erfolg: Mehr als 1.000 Anbieter sind auf seiner Webseite registriert; einige Zehntausend Menschen monatlich nutzen das Angebot.

Abgesehen von den USA hat sich der Gedanke der Peer-to-Peer-Ökonomie nirgendwo so rasch verbreitet wie in der Volksrepublik. Nach Schätzungen der Boston Consulting Group wächst Chinas Internetwirtschaft seit Jahren zweistellig und ist mit rund 400 Milliarden Dollar die zweitgrößte der Welt. Allein 2015 wird der Umsatz um weitere 170 Milliarden Dollar zunehmen.

Was die Internetwirtschaft in China so besonders macht: Anders als etwa in Deutschland, wo sich in diesem Segment meist amerikanische Anbieter durchsetzen (Google, Facebook, Twitter, Uber, Airbnb), haben die Chinesen fast immer eigene Pendants geschaffen. Das liegt vor allem am Marktprotektionismus und der staatlichen Zensur. Facebook, Twitter und YouTube sind in China gesperrt, die meisten Google-Dienste ebenso oder sind nur unregelmäßig abrufbar. Das hat die Entstehung eigener Dienste begünstigt.

Sie sind aber keineswegs nur ein Abklatsch der US-Anbieter. Viele von ihnen sind verspielter, haben zusätzliche Funktionen oder bieten Dienste, für die es gar keine Vorbilder gibt. Das in China vor knapp zwei Jahren erst als Taxi-App gestartete Unternehmen Didi Mobility etwa vermittelt dem Kunden nicht nur Taxifahrten, sondern auch Privatfahrer oder Fahrgemeinschaften und stimmt Einzelfahrten ab auf die Fahrzeiten öffentlicher Verkehrsmittel. Mehr als zehn Millionen Chinesen täglich nutzen den Service. Uber nimmt jetzt viel Geld in die Hand, um sich auf dem chinesischen Markt zu behaupten.