Alle wettern gegen die Fed. Beim diesjährigen chinesischen Ableger des Davoser Weltwirtschaftsforums in der ostchinesischen Hafenstadt Dalian, auf dem vor allem die Wirtschaftselite der Schwellenländer zusammenkommt, findet sich kaum eine Veranstaltung, auf der nicht eifrig über die US-Notenbank Federal Reserve hergezogen wird. Die Geldmarktpolitik der USA sei ein wesentlicher Grund für das derzeit schwächere Wachstum der Weltwirtschaft vor allem der Schwellenländer, beklagt sich etwa der chinesische Top-Ökonom und derzeitige Vizechef des Internationalen Währungsfonds (IWF) Zhu Min.
Und der ebenfalls auf dem Forum in Dalian anwesende türkische Vize-Regierungschefs Ali Babacan wettert, die Fed habe zwar das gute Recht, aus ihrer ultra-lockeren Geldpolitik auszusteigen. Er kritisiert aber den Zeitpunkt. Die Launen der Fed mache die Kapitalmärkte verwundbar und gehe vor allem auf Kosten der Schwellenländer. So wie die Tigerstaaten vor 15 Jahren dem zur Hilfe eilenden IWF für seine Umstrukturierungsprogramme die Schuld für die damalige Asien-Krise gaben und daher bevorzugt von der Krise des IWFs sprachen, kursiert in Dalian bereits der Begriff der Fed-Krise. Nur was ist an der Kritik dran? Trägt die US-Notenbank wirklich Schuld an der sich nun abzeichnenden Krise in den Schwellenländern?
Ziemlich genau fünf Jahre ist es her, das die US-Investmentbank Lehman Brothers kollabierte und vor allem die Industriestaaten in eine schwere Krise stürzten. Um diesen Sturz aufzuhalten, warf die Fed die Notenpresse an und überschwemmte zu Niedrigstzinsen die Welt massenhaft mit Dollars. Zudem kaufte sie der US-Regierung auch monatlich Anleihen im Wert von 85 Milliarden Dollar ab, sodass sich das gesamte Anleihen-Kaufprogramm inzwischen auf mehrere Billionen Dollar summiert – ein bisheriger Rekord.
Diese Politik des billigen Geldes sollte vor allem dazu beitragen, dass sich die US-Wirtschaft von ihrem schweren Schock erholt. Doch weil die Zinssätze in den Schwellenländern höher liegen und die Aussichten der Märkte dort aus Sicht der Investoren lukrativer erschienen, hatte diese lockere Geldpolitik der USA zugleich zur Folge, dass sehr viel Geld auch in die Schwellenländer floss. Das beflügelte unter anderem die Märkte der Türkei, Brasilien, aber auch Indonesien, Indien, Thailand sowie Russland und China.
Nun aber scheint es den USA langsam wieder besser zu gehen und die Fed möchte umschwenken. Bereits im Mai kündigte sie für den Herbst einen Wechsel an. Dafür trifft es nun die Schwellenländer. Die bloße Ankündigung reichte, dass Investoren weltweit sehr viel Kapital vor allem aus den besonders labilen Volkswirtschaften Türkei, Indien, Brasilien und Indonesien abzogen. Deren Aktienmärkte befinden sich seitdem im Sinkflug. Ihre Währungen stürzen ab. Und auch ihre bislang hohen Wachstumsraten gehen drastisch zurück.
Und der Tiefpunkt ist noch gar nicht erreicht. Die Lage in diesen Ländern könnte sich in der nächsten Woche weiter zuspitzen, wenn die Notenbanker der Fed zusammenkommen und ganz offiziell das Ende ihrer billigen Geldpolitik verkünden. Das dürfte die Kapitalflucht aus den Schwellenländern noch mehr beschleunigen.
Ausgenommen von den Schwellenländern scheint nur China zu sein: Zwar wächst auch die chinesische Wirtschaft nicht mehr wie in den vergangenen Jahren zweistellig, sondern verlangsamt sich auf 7,5 Prozent in diesem Jahr. Aber der Finanzsektor der Volksrepublik ist streng reglementiert, es gibt einen Einheitszinssatz, die Landeswährung ist nicht frei konvertierbar. Das heißt: Geld kann zumindest nicht auf regulärem Wege abfließen.
Doch auch für die chinesische Wirtschaft dürfte es schwierig werden. Denn aus diesem abgeschotteten Kapitalsektor ergibt sich für die Chinesen ein Folgeproblem. Innerhalb der chinesischen Führung könnten sich mit dem dramatischen Kapitalfluss in den anderen Schwellenländern diejenigen bestätigt fühlen und durchsetzen, die die drängenden Reformen der nach wie vor von Staatsunternehmen dominierten Wirtschaft verhindern wollen. Wegen weiter fehlendem Wettbewerb und wenig Anlagemöglichkeiten werden die Staatsbanken und Großunternehmen noch reicher, mächtiger, aber auch ineffizienter. Dies geht immer weiter auf Kosten der chinesischen Sparer, die keine Renditen erhalten, und des Mittelstands, der nur schwer an Kredite kommt. China droht im Reformstau stecken zu bleiben.
Was die Lage der Schwellenländer insgesamt betrifft, gibt es unter den Ökonomen auf dem Weltwirtschaftsforum in Dalian aber die Hoffnung, dass es die Schwellenländer dieses Mal nicht ganz so hart treffen wird wie bei der Asienkrise vor 15 Jahren. Viele der Länder haben hohe Währungsreserven angehäuft und sind im Ausland wenig verschuldet. Finanzexperte und Notenbank-Berater Alan Posen vom renommierten Peterson-Institut verweist zudem darauf, dass die Fed den Wechsel ihrer Geldpolitik frühzeitig angekündigt hat und die Länder sich auf das Ende dieser Dollar-Schwemme entsprechend einstellen und die Investitionen entsprechend herunterdrosseln konnten. Nur wer das nicht getan hat, darunter etwa Indien oder die Türkei, dürfte härter von der Krise getroffen werden.
Aber auf noch einen Punkt weist Posen zu Recht hin: Nicht die US-Notenbank trägt die Schuld. Sie bemüht sich lediglich wieder um eine Normalisierung des US-Kapitalmarktes. Es sind die Spekulanten, die das Kapital in so rasanter Geschwindigkeit weltweit hin- und herschieben. Und sie wurden weiterhin nicht in ausreichendem Maße in die Schranken gewiesen.