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Hongkong hat Angst vor China

 

Wie jedes Jahr am 4. Juni gedenken die Menschen in Hongkong der Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz von 1989. Doch mit über 180.000 Demonstranten kamen vergangene Woche so viele Menschen wie noch nie zu der jährlichen Mahnwache. Das hängt sicherlich auch mit dem 25. Jahrestag zusammen. Ein Viertel Jahrhundert ist für die Demokratieaktivisten von damals eine lange Zeit. Sie kämpfen dafür, dass der Tag nicht vergessen wird. Doch anders als etwa in den neunziger und zu Beginn der nuller Jahre erhält der Protest seit einigen Jahren immer mehr Zulauf. Der Grund: Die Hongkonger fürchten um ihren politischen Status.

Aktivisten in Hongkong mobilisieren seit Tagen für ihre Aktionstage Occupy Central in der Hongkonger Innenstadt, in der auch die Hongkonger Regierung und die Pekinger Abgesandten ihren Sitz haben. Die Aktivisten planen eine mehrwöchige Besetzung. Medienberichten zufolge wollen die Bürgerrechtler am 22. Juni darüber abstimmen lassen, in welcher Form diese Aktion stattfinden soll.

Hintergrund der jüngsten Proteste ist ein sogenanntes Weißbuch, dass die Hongkonger Regierung in enger Absprache mit der chinesischen Führung am Dienstag veröffentlicht hat. Darin heißt es, der hohe Grad an Unabhängigkeit der Sonderverwaltungszone Hongkong bedeute auf keinen Fall eine vollständige Autonomie. Auch die Hongkonger sollten lediglich „lokale Angelegenheiten im Rahmen der Befugnisse durch die zentrale Führung umsetzen“.

Hongkong ist das einzige Territorium auf Boden der Volksrepublik, auf dem die Bürger frei ihre Meinung äußern und sich öffentlich versammeln dürfen. Die Briten hatten ihre ehemalige Kronkolonie erst 1997 an die Volksrepublik zurückgegeben und im Zuge der Verhandlungen der chinesischen Führung in Peking diesen Sonderstatus für Hongkong abgerungen. Nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ soll dieser Status 50 Jahre gelten. Peking hat den Hongkongern zudem versprochen, ab 2017 den Verwaltungschef frei wählen zu dürfen. Doch die Bürger der Achtmillionenmetropole trauen den Versprechen aus Peking nicht mehr.

In dem Weißbuch steht zwar nichts substanziell Neues. Doch die Hongkonger haben längst begriffen, dass hinter den blumigen Worten eine Machtdemonstration steckt: Wenn die Hongkonger nicht parieren, ist Peking jederzeit dazu in der Lage, die Freiheitsrechte noch weiter zu beschneiden. Keiner könnte die chinesische Führung daran hindern. Auch die Briten haben schon lange keinen Einfluss mehr.

Was neben der befürchteten Beschneidung der politischen Rechte vielen Hongkongern zusätzlich Sorge bereitet, sind wirtschaftliche Nöte: Seitdem Festlandchinesen in Hongkong Wohnungen, Geschäftsräume und Häuser erwerben dürfen, sind die Preise auf dem Immobilienmarkt rasant gestiegen. Viele traditionelle Restaurants und Geschäfte können sich nicht mehr halten, weil die Mieten aufgrund der völlig deregulierten Märkte in astronomische Höhe geschossen sind. Deswegen müssen auch immer mehr Hongkonger in die weit entfernten Satellitenviertel ziehen oder gleich auf die andere Seite der Grenze zur Volksrepublik. Zwar ist Hongkong schon immer eine Einwanderungsstadt gewesen. Doch einen solchen Ausverkauf wie derzeit hat die Metropole in ihrer knapp 180-jährigen Geschichte noch nicht erlebt.

Hinzu kommen die vielen Touristen vom Festland: Schon jetzt ist an sämtlichen Wochenenden und Feiertagen auf Hongkongs Geschäftsstraßen und den Einkaufszentren kein Durchkommen mehr. Zu Hunderttausenden überschreiten Chinesen aus der Volksrepublik Freitagabend die Grenzen und belagern für zwei Tage die Innenstadt. Das kurbelt zwar die Wirtschaft an. Wer jedoch nicht in der Tourismusbranche tätig ist, fühlt sich aus seiner eigenen Stadt verdrängt.

Peking ist über den wachsenden Unmut in Hongkong alarmiert. Doch anstatt auf die Sorgen einzugehen, droht der ehemalige Leiter der chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua in Hongkong, Zhou Nan, mit dem Einsatz der Volksbefreiungsarmee. Die Occupy-Bewegung sei von „antichinesischen Kräften in und außerhalb Hongkongs unterlaufen“, wird er von Hongkonger Medien zitiert. Das erinnert sehr stark an Pekings 4. Juni vor 25 Jahren – und dürfte die Ängste der Hongkonger vor China noch mehr befeuern.