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Chinesen wandern in Massen aus

 

Ende der siebziger Jahre beklagte US-Präsident Jim Carter während eines Treffens mit Chinas damaligem Machthaber Deng Xiaoping die fehlende Reisefreiheit in der noch weitgehend abgeriegelten Volksrepublik. Deng antwortete: „Gut, wer gehen will soll gehen“, fügte aber schnippisch hinzu: „Sind Sie wirklich auf zehn Millionen Chinesen vorbereitet?“

Aus den damals von Deng prognostizierten zehn Millionen sind inzwischen hundert Millionen geworden. Nach Angaben des Nationalen Statistikamtes haben noch nie so viele Chinesen das Land zumindest zeitweise verlassen wie im vergangenen Jahr. 2014 dürfte die Zahl nochmals zulegen. Bis 2020 soll sich die Zahl Experten-Schätzungen zufolge auf bis 200 Millionen verdoppeln.

Die große Masse besteht aus Touristen, die sich angesichts des wachsenden Wohlstands in China einen Urlaub im Ausland leisten können. Doch auch die Zahl der Ausreisewilligen, die auf Dauer der Volksrepublik den Rücken kehren, erreicht neue Höchstwerte. Chinesischen Staatsmedien zufolge haben 2013 über neun Millionen Chinesen ihr Heimatland verlassen. Das Wall Street Journal schreibt bereits über den „großen Exodus“.

Die meisten Auswanderwilligen gehören zu den Wohlhabenden im Land. Aus einer Umfrage des privaten Shanghaier Hurun-Instituts, das unter anderem jährlich Chinas Reichen-Liste veröffentlicht, geht hervor: 64 Prozent aller Chinesen, die über mehr als 1,6 Millionen Dollar verfügen, planen ihre Emigration oder sind bereits ausgewandert. Als Gründe nennen die meisten von ihnen Chinas extreme Umweltverschmutzung, mangelndes Vertrauen in die staatliche Lebensmittelsicherheit und das miserable Bildungssystem.

Viele Chinesen haben auch wenig Vertrauen in das politische System: Dank der rasanten Wirtschaftsentwicklung haben sie in den vergangenen Jahren viel Geld verdient. Jetzt fürchten sie, der Wohlstand könnte ihnen wieder genommen werden. Deshalb wollen sie ihr Vermögen im Ausland sichern. Der Kapitalabfluss aus der Volksrepublik machte im vergangenen Jahr mehr als drei Prozent der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung aus.

Das Ausland bildet Chinas Elite aus

Bevorzugtes Einwanderungsland reicher Chinesen sind die USA. Besonders beliebt sind die sogenannten EB-5-Visa. Dabei handelt es sich um ein Programm, das Ausländern den dauerhaften Aufenthalt in den USA erlaubt, wenn sie mindestens 500.000 Dollar investieren und zehn US-Bürgern zu einem Job verhelfen. Die Zahl dieser Visa ist auf 10.000 Stück pro Jahr beschränkt, 6.895 davon gingen 2013 an Chinesen. Kanada hatte bis vor Kurzem ein ähnliches Programm – hat es mittlerweile aber eingestellt. Es waren einfach zu viele Chinesen, die die Kriterien für ein solches Visum erfüllten.

Auch die EU-Staaten bemühen sich um reiche Chinesen. Da jedoch die Vergabe von Visa in den Schengen-Staaten inzwischen einheitlich gehandhabt wird, werben die einzelnen Länder mittlerweile mit einer Staatsbürgerschaft. Portugal vergibt sie für eine Investitionssumme von einer halben Million Euro. 250 Chinesen nahmen 2013 das Angebot in Anspruch. Erst so langsam spricht es sich herum. Besonders großzügig verteilt Nicht-Schengen-Land Großbritannien Aufenthaltsgenehmigungen an reiche Chinesen.

Bei der zweitgrößten Gruppe von Chinesen, die für längere Zeit oder sogar für immer ihr Land verlassen, handelt es sich um Studenten und Schüler. An amerikanischen Universitäten kommen die meisten Ausländer aus China. Ihre Zahl wuchs 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 21 Prozent und lag bei knapp einer Viertelmillion. In England sind inzwischen etwa so viele Chinesen für einen Master-Studiengang eingeschrieben wie Briten. In Deutschland studieren derzeit etwa 25.000 Chinesen, ihre Zahl hat sich seit 1999 verfünffacht.

Die chinesische Führung unterstützt diese Entwicklung. Sollen doch ruhig die Amerikaner und Europäer Chinas künftige Elite ausbilden, lautet ihre Devise. Selbst Staatspräsident Xi Jinping hat seine Tochter nach Harvard geschickt. Nach der Zusammenkunft mit dem damaligen US-Präsidenten Carter schickte Deng tatsächlich Tausende junger Chinesen zum Studium ins Ausland – schon damals auf die Gefahr hin, dass viele von ihnen nicht zurückkehren würden. Seine Rechnung: Selbst wenn nur ein Zehntel von ihnen zurückkommt oder zumindest der Volksrepublik verbunden bleibt, sei der Nutzen für China ausreichend. Seine Kalkulation ging auf.