Mehr als drei Jahrzehnte lang galt in China die Devise: bloß keine Kinder. Die Behörden verteilten in den Wohnquartieren kostenlos Kondome. Sie boten Frauen unkompliziert Abtreibungen an. Und es gab landesweit umfassende Aufklärungsprogramme. Wer dennoch ein zweites Kind bekam, musste mit hohen Geldstrafen rechnen. Sogar vor Zwangsabtreibungen schreckten die Behörden nicht zurück. Chinas Ein-Kind-Politik der letzten 35 Jahre hat dazu geführt, dass die offizielle Bevölkerungszahl heute bei rund 1,38 Milliarden liegt und nicht bei zwei Milliarden.
Vor gut einem Jahr verkündete die chinesische Führung in Peking eine Abkehr von dieser restriktiven Bevölkerungspolitik, weil Chinas Bevölkerung vergreist – mit dramatischen Folgen für die Sozialsysteme. Sie erlaubte jedem Paar ein zweites Kind, wenn mindestens ein Elternteil Einzelkind ist. Aber nach dem ersten Jahr der Lockerung geht die Rechnung nicht auf.
Nach Angaben der staatlichen Familienplanungsbehörde haben im vergangenen Jahr landesweit rund eine Million Familien den Antrag zur Genehmigung für ein zweites Kind gestellt. Die Regierung hatte mit doppelt so vielen Anträgen gerechnet. In der Hauptstadt Peking etwa hofften die Behörden auf 55.000 zusätzliche Geburten, doch tatsächlich wollten nur 30.000 Familien ein zweites Kind bekommen.
Damit hat sich in China ein Trend durchgesetzt, der auch in Industrieländern seit einigen Jahren zu beobachten ist: Immer mehr junge Paare wollen keine Kinder mehr. Die Zahl der kinderlosen Haushalte hat sich in Städten wie Peking und Shanghai in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. In ganz China bleiben rund 40 Prozent aller Haushalte ohne Kinder.
Viele Paare hätten nicht genug Einkommen für ein weiteres Kind, zitiert die China Youth Daily einen Demografie-Experten. Objektiv gesehen lässt sich das nicht belegen. Vor Einführung der Ein-Kind-Politik vor 35 Jahren waren die Menschen in China kaufkraftbereinigt sehr viel ärmer – und hatten häufig fünf Kinder oder mehr – auch, damit diese den Eltern im Alter beistehen.
Der anhaltende Geburtenrückgang könnte schon bald das Wirtschaftswachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft beeinträchtigen, warnen Fachleute. Sie kritisieren, dass die Abkehr von der Ein-Kind-Politik viel zu spät komme und die Lockerung unzureichend sei. Tatsächlich hat der Anteil der arbeitsfähigen Bevölkerung im Jahr 2011 seinen Höhepunkt erreicht und schrumpft seitdem: China gehen die Arbeitskräfte aus.
Bis aber die chinesische Wirtschaft unter der schrumpfenden Bevölkerung wirklich leidet, wird es noch ein paar Jahre dauern – trotz stockender Zwei-Kind-Politik. Zumal es einen großen Unterschied zwischen dem Leben auf dem Land und in der Stadt gibt. Noch immer strömen jährlich rund zehn Millionen junge Menschen vom Land in die Städte auf Suche nach Arbeit, weil sie von den ihnen zugeteilten Ackerflächen nicht mehr leben können. Die Landflucht hält weiter an.