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Auf der Suche nach dem guten Kinderrad

 

© 2soulcycles

Kinderfahrräder sind teuer, schwer und häufig mit minderwertigen Komponenten ausgestattet. Das ist ein alter Hut, und genau das ist das Problem. Hersteller von Kinderrädern verändern wenig – außer Farbe und Dekor. Seit Jahrzehnten suchen velophile Eltern robuste, leichte und bezahlbare Räder für ihren Nachwuchs. Das ist schwierig, aber machbar.

Laut Herstellerliste wiegen Kinderräder zwischen 10 und 15 Kilogramm. Juliane Neuß lacht. „Haben sie die Räder gewogen?“, fragt die Ergonomieexpertin und Fahrradhändlerin. Sie weiß, dass Hersteller die Gewichtsangaben gerne ohne Gepäckträger und weitere Anbauteile machen – sofern sie das Gewicht überhaupt nennen. Zehn Kilo klingt recht wenig, ist für einen Fünfjährigen, der selbst gerade 20 Kilogramm auf die Waage bringt, aber ein ziemlicher Brocken. Auf das Gewicht eines Erwachsenen übertragen, würde ein vergleichbares Rad 40 Kilogramm wiegen.

Leichte Kindervelos zu bauen ist eine echte Herausforderung. Schließlich ist die Ausstattung dieselbe wie bei einem Erwachsenenrad. Rahmenbauer Ingo Brantl hat die Pflicht zur Kür gemacht und für seine Tochter ein 20 Zoll großes Sportrad aus Stahl gebaut. Das wiegt 5,9 Kilo.

Brantl hat dafür konsequent Gewicht reduziert. Er hat es mit leichten BMX-Teilen ausgestattet, statt der häufig verwendeten Erwachsenenkurbeln kindgerechte 130er verwendet und vorne wie hinten nur ein Kettenblatt eingebaut. Seine Tochter fährt nun Eingangrad, ein Singlespeed.

Das Eingangrad hat Brantl auf das Wesentliche reduziert© 2soulscycles

„Kinder sind in der Lage, hochfrequent zu treten“, sagt Brantl. Sie brauchen nicht unbedingt eine Gangschaltung. Der Rahmenbauer wohnt in Schwäbisch Gmünd. Seine Tochter kommt hier prima zurecht. Steigungen pedaliert sie im Stehen. „Das ist gut und schult die Bikebeherrschung“, sagt er.

Wie viele Eltern, definiert Brantl Sicherheit etwas anders, als es die StVO vorsieht. Speichenreflektoren setzt er nicht ein. „Die verliert man leicht“, sagt er. Stattdessen hat er reflektierende Mäntel gekauft und den Rahmen mit einem reflektierenden Lack gestrichen. Passive Beleuchtung nennt er das. Ist es dunkel, schlingt seine Tochter eine helle LED-Leuchte um Lenker und Sattelrohr. Die ist nicht zugelassen, aber bedeutend heller als herkömmliche Fahrradlampen.

So helle Leuchten brauchen die Kinder nicht, sie dürfen bis zum vollendeten siebten Lebensjahr sowieso nur auf dem Bürgersteig fahren, werfen hier Kritiker ein. Aber selbst dort werden sie von Autos, die aus Ausfahrten rollen, schnell übersehen. Außerdem fallen die völlig veralteten Seitenläuferdynamos regelmäßig aus.

Glaubt man Brantl, könnte er noch leichter bauen. „Aber dann wäre das Rad nicht mehr bezahlbar“, sagt er. Schon jetzt kostet es rund 600 Euro. Auf den ersten Blick ist das ein Witz. Schließlich geben Deutsche im Durchschnitt rund 500 Euro für ein Erwachsenenrad aus.

Betrachtet man aber das Konzept genauer, wird es logisch und sogar günstig. Denn auf Grund einer speziellen Rahmengeometrie wächst Brantls Rad mit. Tauscht er Vorbau und Lenker, kann seine Tochter es fahren, bis sie zehn Jahre alt ist. Anschließend plant er, es für 80 bis 90 Prozent des Neupreises zu verkaufen.

„Das funktioniert“, sagt Juliane Neuß. Sie hat bereits vor 20 Jahren ein mitwachsendes Rad für Kinder entwickelt. Der Trick ist, den Sitzrohrwinkel flach zu halten. Dadurch wächst der Sattel mit zunehmender Höhe leicht Richtung Heck, der Abstand zwischen Sattel und Lenker wird geringfügig vergrößert – auch ohne Komponententausch.

„Kinder haben im Alter von vier bis fünf Jahren proportional sehr kurze Beine, aber fast die Oberkörperlänge eines Zehnjährigen“, erläutert Neuß. Zwischen dem fünften und zehnten Lebensjahr wachsen Kinderbeine etwa 20 Zentimeter, ihr Oberkörper aber nur 5 Zentimeter.

Deshalb hat Juliane Neuß von vornherein den Rahmen länger gebaut, als es normalerweise üblich ist. „Bei Kinderrädern bekannter Hersteller ist der Abstand oft zu kurz und die Lenker zu hoch“, sagt sie. Infolgedessen fahren die Kinder mit rundem Rücken. Dabei brauchen sie eine gewisse Neigung nach vorne, um dynamisch fahren zu können.

Juliane Neuß’ Rad ist mit 12 Kilogramm deutlich schwerer als Brantls. Dafür ist es mit Licht, Nabenschaltung und einem soliden Gepäckträger ausgestattet. Der Preis ist der gleiche. Die Ergonomieexpertin sagt: „Die Idee, hochwertige Kinderräder weiterzuverkaufen, geht auf.“ Sie kennt Kunden, die nach fünf Jahren noch 480 Euro für das Rad bekamen.

Das Skippy von Juliane Neuß wächst mit seinen Fahrern © Patria

Rahmenbauer, Ergonomie-  und ADFC-Experten sind sich einig: Die Hersteller von Kinderrädern können viel verbessern. Die Velos sollten robust, leicht und sicher sein und im besten Fall mitwachsen. Aber auch Eltern müssen bereit sein, mehr Geld für hochwertige Räder auszugeben, mit ihrem Nachwuchs zu üben und ihnen mehr zutrauen.

Es gibt bereits eine Handvoll Anbieter, die sehr hochwertige Kinderräder anbieten. Es lohnt sich, die Jungs und Mädchen mal ein Velotraum, Kaniabike oder Skippy testen zu lassen, damit sie den Vergleich erfahren. Grundsätzlich gilt: Kinder müssen beim Fahrradkauf dabei sein. Der ADFC hat in diesem Jahr ein neues Faltblatt herausgebracht, „Fahrradkauf kinderleicht“. Dort finden Eltern einige nützliche Tipps.