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Cooler Langstreckenrenner auf drei Rädern

 

 © HP Velotechnik
© HP Velotechnik

Und wo ist der Sicherheitsgurt? Diese Frage blitzt kurz auf, als ich das erste Mal auf dem Scorpion fs 26 Platz nehme. Der Sitz ist bequem, seine Position 30 Zentimeter über dem Boden sportlich. 500 Watt hat der Bionx Motor, das Hinterrad ist mit 26 Zoll größer als die beiden vorne. Das erhöht den Fahrkomfort auf schlechten Straßen. In Kombination mit der verbauten Automobiltechnik wird schnell deutlich: Das ist kein Rad für Träumer oder Trödler, das ist ein Renner.

45 km/h schafft der Scorpion mit Motor. „Fahren Sie vorsichtig“, hatte mich der Hersteller Paul Hollants von HP Velotechnik vor der ersten Probefahrt gewarnt. Auch ein Dreirad kann umkippen, wenn man die Kurven zu schnell nimmt.

Die Warnung ist angebracht, denn die Versuchung ist groß. Mit Motor erreicht jeder Fahrer Geschwindigkeitsbereiche, in denen sich sonst nur trainierte Rennradfahrer bewegen. Sie haben sich die Fähigkeit zum Tempo meist lange erarbeitet. Anders die Fahrer mit Motor: Sie bekommen das Tempo frei Haus, das fahrerische Können muss im Schnellverfahren nachrücken. Denn langsam fahren die wenigsten, wenn die Energie aus der Konserve kommt.

Bei dem Scorpion fs 26 ist das Techniktraining recht unkompliziert. Wer sich auf einer vertrauten, kurvenreichen Strecke mit wenig Verkehr langsam einfährt, hat den Dreh schnell raus. Dann beginnt das, was mir mit dem Dreirad am meisten Spaß gemacht hat: um die Kurven zu tanzen. Gerne immer wieder und dann auch mit 35 km/h.

Dabei ist der Scorpion eher ein Langstreckenrenner, ein ziemlich cooles Pendlergefährt und, wenn ich an die vielen Kommentare auf der Straße denke, anscheinend ein echtes Männerfahrzeug.

MacPherson Federbein © Reidl
McPherson Federbein © Reidl

Sobald ich anhielt, wurde ich von Männern in acht von zehn Fällen nach den McPherson Federbeinen gefragt. Das ist eine Einzelradaufhängung. In Kombination mit einem Querstabilisator sorgt sie dafür, dass der Scorpion bei schnellen Kurvenfahrten die Spur hält. Die Federung fällt auf: Sie ist an dem Fahrzeug das einzige Element in blau. Das sieht gut aus und ist ein cleverer Schachzug des Herstellers. Technikaffine Fahrer erkennen dieses Detail sofort und schauen sich das Fahrzeug intensiv an.

Das zweite beliebte Gesprächsthema mit Unbekannten auf der Straße ist die Reichweite, denn Liegeräder sind von jeher Kilometerfresser. Das Scorpion fs 26 hat einen sehr variablen Aktionsradius. Mit Unterstützungsstufe zwei bin ich 70 Kilometer weit gefahren und hatte noch zwei von fünf Akkuladungen in petto. Bei voller Motorleistung und Steigungen saugt der Motor den Akku dagegen so schnell leer, dass man fast dabei zusehen kann. Ich kam damit etwas über 50 Kilometer weit.

Was man nicht vergessen darf, ist die Arbeit, die man selbst leistet. Ein Pedelec fährt nicht von allein. Der Fahrer muss kräftig in die Pedale treten, um Geschwindigkeiten von über 40 km/h überhaupt zu erreichen. Das ist beim Scorpion anfangs etwas ungewohnt, weil andere Muskeln beansprucht werden als beim herkömmlichen Radfahren. Grundsätzlich ist das Fahren in der Liegesitzposition aber erstaunlich bequem. Verspannte Schultern gibt es auf dem Rad nicht. Im Gegenteil, die Haltung entlastet den gesamten Nacken- und Schulterbereich.

Man kann mit dem Trike durchaus auch Feldwege bewältigen, aber sein Terrain ist die Straße. Als Verkehrsteilnehmer ist man dort komfortabler unterwegs als mit einem herkömmlichen Zweirad. Das hat einen einfachen Grund: Die Autofahrer halten mehr Abstand. Vielleicht macht einen das Kennzeichen am Heck zum Verbündeten, vielleicht ist es auch nur das fremde Gefährt oder ein subjektives Empfinden. Schließlich sind beim Trike nicht die Hände am Lenker die äußerste Seitenbegrenzung, sondern die beiden Vorderräder mit ihren Schutzblechen. Sie erweitern noch mal die Pufferzone zu dem größeren Abstand, den die Autos einhalten.

Als Fahrer bewegt man sich im Stadtverkehr aufmerksamer als üblich. Insbesondere an Kreuzungen. Auf dem Trike beginnt man aus Eigeninteresse das, wofür Verkehrsplaner in Berlin und Freiburg mit ihrer Rücksicht-Kampagne derzeit werben: Man nimmt bewusst Blickkontakt zu den Autofahrern auf. Denn die Befürchtung, von abbiegenden Autos übersehen zu werden, ist an unübersichtlichen Kreuzungen durchaus realistisch.

Akku und 500 Watt Bionx Motorim neuen Design. Das Hinterrad misst 26 Zoll, die Vorderräder 20 Zoll © Reidl
Akku und 500 Watt Bionx Motor im neuen Design. Das Hinterrad misst 26 Zoll, die Vorderräder 20 Zoll © Reidl