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Neue Blog-Serie: Zurück in den Sattel

 

Vom Fußgänger zum Mountainbiker: Im August will Christian Krämer seine erste Runde beim Mountainbike-Rennen Schlaflos im Sattel drehen © Sandra Jacques
Vom Fußgänger zum Mountainbiker bis August © Sandra Jacques

Der Termin ist fix. Am ersten Samstag im August will Christian Krämer eine Runde bei Schlaflos im Sattel (SIS) drehen. Das Moutainbike-Rennen ist einzigartig in der Bikeszene. Die Teilnehmer rasen nachts durch den Pfälzer Wald und wer nackt unterwegs ist, bekommt auf jeden Fall einen Preis. Warum er ausgerechnet dort starten will? Christian Krämer alias „Phaty“ hat sich das Rennen ausgedacht und organisiert es seit neun Jahren. Sein Handicap: Er ist Fußgänger und viel zu schwer. Deshalb muss der 46-Jährige abnehmen und bis zum Sommer Mountainbiker werden.

Um beides zu schaffen, setzt er auf soziale Kontrolle durch gute Freunde und macht sein Vorhaben im Internet öffentlich. Mit seinem Plan ist Phaty einer von vielen. Anfang vierzig – wenn es beruflich gut läuft und die Kinder größer sind – versuchen manche Männer an alte Zeiten anzuknüpfen und holen ihr verstaubtes Rennrad oder Mountainbike aus dem Keller. Mangelnde Kondition und reichlich Hüftspeck verleiden einigen von ihnen innerhalb kürzester Zeit den Weg zurück in den Sattel.

Zwar scheint der August 2014 momentan noch ziemlich fern, aber damit es mit dem Start auch klappt, muss Phaty jetzt los legen. ZEIT ONLINE begleitet ihn und schildert etwa einmal im Monat hier im Blog seine Erfahrungen. Es wird um sein Training gehen und um Hindernisse, auf die Menschen jenseits der 100 Kilo treffen, wie etwa den Fahrradkauf und die Auswahl an Radbekleidung. Weitere Punkte sind der Sinn von Leistungsdiagnostik sowie Organisatorisches wie Training trotz Geschäftsreise.

Natürlich drängt sich die Frage auf: Ist der Start für Phaty überhaupt realistisch? Mit jetzt 120 Kilogramm Gewicht und null Mountainbike-Erfahrung will er im Sommer die zwölf Kilometer lange Strecke fahren, mit durchaus anspruchsvollen Steigungen. Professor Helmut Lötzerich vom Institut für Natursport und Ökologie der Sporthochschule in Köln sagt gelassen: „Das kann er schaffen.“ Entscheidend sei, dass Phaty ein paar grundsätzliche Dinge beachtet. „Menschen, die abnehmen und mehr Sport treiben wollen, müssen ihre Alltagsaktivität erhöhen“, sagt der Wissenschaftler.

Das heißt: Gewohnheiten ändern. Mit dem Rad zum Einkaufen fahren. Oder eine Haltestelle vor dem Ziel aus Bus oder Bahn aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß gehen. Die Beispiele klingen simpel, haben es aber in sich. Ihr Ziel ist letztlich, perfekt eingependelten Lebensweisen ihren Takt zu rauben. Wer mag das schon?

Im Prinzip ist Radfahren die perfekte Sportart für schwere Menschen. „Bedeutend besser als Nordic Walking“, findet Lötzerich, weil es Gelenke und Hüfte schont. Ein Problem sei manchmal das Fahrrad. Wer einen Diamantrahmen fährt statt eines Tiefeinsteigers, habe häufig Schwierigkeiten, sein Bein über den Sattel zu heben. Das betrifft Übergewichtige, aber auch Menschen mit Rückenproblemen oder Ältere. Sein Tipp: Bis die Flexibilität wieder vorhanden ist, eine Bordsteinkante oder einen Findling als Aufstiegshilfe suchen.

Selbst wenn Radfahren gesund ist, kann man auch hier einiges falsch machen. Der klassische Fehler vieler Einsteiger ist die gewählte Übersetzung. Die sollte möglichst klein ausfallen, sonst werden die Knie zu stark belastet. „Die meisten Menschen treten eine 30er-Frequenz“, sagt Lötzerich, also 30 Pedalumdrehungen pro Minute. Das sei viel zu wenig. Er empfiehlt eine Frequenz von 80. Dann würden die Beine gut durchblutet und es reichere sich kein Laktat an, erklärt der Experte. Folglich werden die Beine nicht schwer. Lötzerichs Faustregel für die richtige Übersetzung lautet: immer zwei Gänge niedriger, als man meint.

Im August will Christian Krämer seine erste Runde beim Mountainbike-Rennen Schlaflos im Sattel drehen © Sandra Jacques
Christian Krämer © Sandra Jacques

Von Pulsmessern rät der Wissenschaftler ab. Man sollte so fahren, dass man noch sprechen kann. „Es ist besser, moderat und länger zu fahren als kurz und schnell“, sagt er. Aber selbst da kann man sich überschätzen. Phatys erste Ausfahrt endete aus Sicht von Außenstehenden wahrscheinlich katastrophal. Dabei lief es zunächst gut. Sechs Kilometer kurbelte er auf seinem 29er, er fühlte sich gut, die Strecke war relativ harmlos, jedenfalls für die Pfalz. 89 Höhenmeter ging es hinauf. Das war anstrengend, aber die Beine waren ok. „Kurz mal absteigen“, dachte Krämer. Doch kaum stand er, wurde ihm übel. Im nächsten Moment schoss ihm die Magensäure aus Nase und Mund. Das langte erstmal. Er fuhr heim. Phatys Fazit war dennoch positiv: Das Fahren ging gut. Es hat sogar richtig Spaß gemacht. Jetzt geht er es langsamer an.

Lötzerich empfiehlt Einsteigern folgendes Minimal-Programm: zwei bis drei Mal pro Woche 30 Minuten Rad fahren und immer, wenn möglich, das Rad für Alltagswege nutzen. Hält man sich an diese Vorgaben, kann man in den ersten sechs Wochen sogar zunehmen. „Anfangs wird Fett ab- und Muskeln werden aufgebaut“, sagt Lötzerich – und Muskeln sind schwerer als Fett. Realistisch sei ein Gewichtsverlust von ein bis zwei Kilo im Monat. Von dem Irrglauben „ich mache jetzt Sport, jetzt kann ich mehr essen“ muss man sich allerdings verabschieden.

Im nächsten Teil geht es um Fahrradkauf, Radkleidung und Phatys ersten Trainingseinheiten.