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Zwei-Meter-Regel: Stuttgarter Landesregierung sitzt Konflikt aus

 

Mountainbikerin im Wald
© www.flyer.ch/pd-f

„Weg mit der Zwei-Meter-Regel für Mountainbiker“: 58.000 Radfahrer haben die Petition der Deutschen Initiative Mountainbike (DIMB) mit genau diesem Ziel unterschrieben. Am Mittwoch übergeben die Mountainbiker die Listen der Landesregierung in Baden-Württemberg. Sie fordern damit, eine Regelung abzuschaffen, die in keinem anderen Bundesland existiert: das Verbot für Radfahrer und Mountainbiker auf Waldwegen mit weniger als zwei Metern Breite zu fahren. Die DIMB sieht darin eine unsinnige Diskriminierung und verweist auf die positiven Erfahrungen aus anderen Bundesländern, die ähnliche Regelungen teils schon vor einigen Jahren abgeschafft haben.

Die Stuttgarter Landesregierung zeigte sich in den vergangenen Wochen indes unbeeindruckt von dem Engagement der Radfahrer und wenig gesprächsbereit. Man fragt sich, worauf die sture Haltung eigentlich fußt – die Stimmung im Wald ist bedeutend besser, als die Regierung sie darstellt. Und das, obwohl viele Radfahrer die Zwei-Meter-Regelung nicht beachten.

Die grün-rote Landesregierung hält die Mountainbiker anscheinend für extrem gefährlich. „In der Vergangenheit ist es – wie eine Recherche der Stuttgarter Zeitung vom 15. Juli 2010 für den Großraum Stuttgart beispielhaft belegt – immer wieder zu teils schweren, in mehreren Fällen sogar tödlichen Unfällen mit Radfahrern im Wald gekommen“, sagte Alexander Bonde (Grüne), Minister für Ländlichen Schutz und Verbraucherschutz, Anfang Juli. Ein Abgeordneter hatte in einer offiziellen Antrag wissen wollen, ob die Zwei-Meter-Regel beibehalten wird.

Zugegeben, die Feststellung klingt dramatisch und beängstigend. Allerdings konnte die Dokumentationsabteilung der Stuttgarter Zeitung auf meine Nachfrage diese Behauptung nicht untermauern. Belegt ist ein sehr tragischer tödlicher Unfall 2010. Ein Mountainbiker raste damals aus dem Wald auf einen Feldweg direkt in eine 66-jährige Joggerin. Sie starb zwei Wochen später im Krankenhaus. „Das ist ein einmaliger Fall in der Geschichte der Stuttgarter Staatsanwaltschaft“, zitierte die Zeitung damals den Ankläger beim Gerichtsverfahren.

Die genaue Anzahl der Unfälle zwischen Mountainbikern und Wanderern hat bislang niemand statistisch erhoben, weder die Unfallforschung der deutschen Versicherer noch die Krankenkassen, Haftpflichtversicherer oder die Polizei. Allerdings heißt es aus verschiedenen Polizei-Pressestellen von Stuttgart über Tübingen bis Friedrichshafen: Es gebe vereinzelt Unfälle zwischen Radfahrern und Wanderern, aber in den Regionen sei keine besondere Häufung der Unfälle bekannt.

Wie kommt Bonde also zu dieser Aussage? Auf meine Frage hin rudert sein Ministerium zurück. „Der Bericht der Stuttgarter Zeitung geht auf die grundsätzliche Gefährlichkeit im Fahrradverkehr ein“, heißt es in der Begründung. Und etwas später: „Es geht nicht nur um die tatsächlich erfassten Unfälle, sondern auch um Belästigung oder Verängstigung anderer Waldnutzer. In diesem Sinne haben uns mehrere Briefe von Wanderern erreicht. Entsprechende Leserbriefe wurden in Regionalzeitungen abgedruckt.“

Studie zeigt: Mehrheit fühlt sich nicht gestört

Von den vehementen Vorwürfen bleibt also wenig übrig. Was bleibt, ist der Imageschaden. Die erhobenen Vorwürfe sind schwerwiegend, sie haften an den Radfahrern. Immer wieder werde die Passage von Befürwortern der Zwei-Meter-Regel zitiert, sagt Hendrik Ockenga von der DIMB.

Erst recht verwundert über die Haltung der Landesregierung ist man, wenn man eine wissenschaftliche Untersuchung der Uni Freiburg betrachtet, die sich im Schwarzwald mit dem Thema befasst. Die Studie zeigt, dass Radfahrer und Wanderer im Grunde ganz gut miteinander auskommen. Zwei Prozent der Wanderer stören sich an der bloßen Anwesenheit von Radfahrern im Wald, 4,6 Prozent der Wanderer sogar ziemlich. Aber 68 Prozent fühlen sich gar nicht gestört und 19 Prozent etwas. Die Uni Freiburg bietet übrigens selbst Mountainbikekurse an. Das Foto, mit der die Hochschule für ihre Veranstaltung wirbt, zeigt einen Mountainbiker auf einem Weg, der die Zwei-Meter-Marke deutlich unterschreitet.

Viele Radfahrer sind selbst häufig als Wanderer im Gelände unterwegs. Der Deutsche Alpenverein (DAV) mit über einer Million Mitgliedern hat 400.000 Mountainbiker in seinen Reihen, also 40 Prozent. DAV und DIMB weisen in ihren Broschüren und auf ihren Webseiten ausdrücklich auf Naturschutz und rücksichtsvolles Verhalten gegenüber Wanderern hin. Die DIMB hat zudem Trail Rules entwickelt, die man hier findet. Dort wird zum Beispiel gefordert, das Vorbeifahren an Wanderern frühzeitig anzukündigen und sie in Schrittgeschwindigkeit zu passieren.

Diese Regeln beschreiben recht gut die Grundhaltung der Sportler und ihr Verständnis vom Miteinander im Gelände. Entscheidend sind jedoch immer der Dialog und die Gesprächskultur vor Ort.

In Heidelberg beispielsweise klappt das recht gut, wie der Forstamtsleiter Friedrich Kilian sagt. Dort treffen sich die Vorsitzenden der unterschiedlichen Sport- und Wandervereine regelmäßig mit Vertretern vom Forstamt. „Wichtig ist, dass ein Verständnis für den anderen entsteht“, sagt Kilian. In den Wäldern gibt es laut dem Forstamtchef ausgewiesene Mountainbike-Strecken mit Singletrails für Touristen. Die heimischen Radfahrer fahren unbehelligt auf nicht ausgeschilderten Wegen ebenfalls unterhalb der Zwei-Meter-Regel. Das funktioniert, weil alle aufeinander Rücksicht nehmen.

Doch Kilian ist realistisch. Bei der Menge an Waldbesuchern und unterschiedlichen Interessen zu allen erdenklichen Tageszeiten lasse sich nicht jeder Unfall vermeiden, sagt er.

Mountainbiker und Wanderer helfen einander

Was also tun? Das kompromisslose Festhalten an der Zwei-Meter-Regelung des Ministeriums hat sich jedenfalls längst überholt. Die Protagonisten im Wald sind schon viel weiter. Sie reden miteinander und helfen sich gegenseitig. Im Oktober haben elf Mountainbiker den Schwarzwaldverein bei einem Arbeitsansatz im Wald unterstützt. Sie stellten gemeinsam eine schwere Bank aus einem Baumstumpf auf und säuberten einen Wanderweg. Im Sommer halfen Mountainbiker der Ortsgruppe Süßen des Schwäbischen Albvereins bei einer Wege-Instandhaltung. Teilnehmer des Mountainbike-Rennens „Schlaflos im Sattel“ bedanken sich jedes Jahr bei ihren Gastgeber, der Stadt Weidenthal, mit einem Waldtag. Dann helfen sie Wanderwege freizulegen oder sie räumen den Sportplatz auf, der mitten im Wald liegt.

Das Bild, das die Landesregierung von Mountainbikern zeichnet, ist nicht zeitgemäß. Ebenso wenig wie die Begründung für ihr Festhalten an der Zwei-Meter-Regel: „Aktuell sieht die Landesregierung keinen Anlass, die bestehende Zwei-Meter-Regelung abzuschaffen, da diese bei Waldbesitzern und Waldbesuchern einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt“, schreibt sie im September in einer Stellungnahme und erklärt ein paar Sätze weiter: „Der Gesetzgeber bietet hiermit Rechtsklarheit, insbesondere was die Haftung nach Unfällen angeht. Eine amtliche Statistik zum Gefährdungspotenzial bzw. Unfallgeschehen liegt nicht vor.“

Das ist denkbar wenig, um ein Verbot zu rechtfertigen, das in keinem anderen Bundesland besteht. Der Wald ist Erholungsraum für Radfahrer unterschiedlichen Alters. Die Mittfünfziger sind dort ebenso unterwegs wie der Jugendwart der DIMB mit Fünfzehnjährigen zum Techniktraining. Mit ihrem Vorstoß wollen die Mountainbiker raus aus dem Regelbruch. Sie wollen Ernst genommen und vor allem gehört werden.

„Nicht mehr weltfremd, sondern schon borniert“

„Selbstverständlich ist es angebracht, bestehende Regelungen regelmäßig einer kritischen Überprüfung zu unterziehen“, sagt die Sprecherin des Ministeriums  angesichts der Petition. Aktuell nehme die Regierung Kontakt zu den verschiedenen Vereinen auf. Die Sprecherin verweist aber sofort auf die Möglichkeit, im Einzelfall Singletrails auszuweisen. „Würde man die Zwei-Meter-Regelung abschaffen, würde man diese nur durch eine andere, unbestimmte Regel ersetzen, die den Bürgerinnen und Bürgern zudem Rechtsunsicherheit zumuten würde“, fügt sie hinzu.

Die Landesregierung weigert sich offensichtlich weiterhin, das Anliegen der Sportler Ernst zu nehmen. Das ist ärgerlich – vor allem, weil Grüne und SPD in ihrem Koalititonsvertrag die Relevanz von Sport ausdrücklich betonen:

„Der nichtorganisierte Sport und die Bewegung im öffentlichen Raum gewinnen indessen an Bedeutung. Der  Sport bewegt die Menschen – nicht nur körperlich. Er hat eine starke integrative Kraft als Brücke zwischen den Generationen, zwischen Menschen mit verschiedenem sozialen oder kulturellen Hintergrund und unterschiedlicher Herkunft. Außerdem befriedigt Sport das Grundbedürfnis des Menschen nach Spiel, Bewegung und Wettkampf. …Wir werden die Belange des Sports stärker als bisher berücksichtigen. Sport und Bewegung in der Natur soll in einer nachhaltigen, umwelt- und landschaftsverträglichen Ausgestaltung erfolgen. Zur einvernehmlichen Lösung von Interessenkonflikten zwischen verschiedenen Nutzern wollen wir unseren Beitrag leisten.“

„Die Regierung Kretschmann, angetreten mit großem Getöse um Bürgerbeteiligung, weigert sich, über die Bitte von rund 57.000 Radsportlern um eine schiedliche Neuregelung überhaupt nachzudenken. Das wiederum ist nicht mehr weltfremd, sondern schon borniert“, schreibt Chefredakteur Christoph Reisinger in seinem Kommentar in den Stuttgarter Nachrichten. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.