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Senioren: Radtraining für mehr Sicherheit

 

Die heutige Rentnergeneration ist in der Regel äußerst mobil. Elf Prozent der über 65-Jährigen steigen regelmäßig aufs Fahrrad und immer häufiger auch aufs Pedelec. Wissenschaftler beobachten diese Entwicklung wachsam. Fest steht: Radfahren ist ideal in diesem Alter, weil es gesund hält. Allerdings beunruhigt die steigende Unfallrate der radelnden Rentner die Experten. Jeder zweite tödlich verunglückte Radfahrer in Deutschland ist über 65 Jahre alt.

Um das Unfallrisiko zu senken, hat die Uni Dresden mit der Universität Leipzig in einer Studie Training für ältere Radfahrer untersucht. Die Ergebnisse sind aufschlussreich.

„Im Alter lässt die Beweglichkeit nach, ebenso die Muskelkraft, das Hör- und Sehvermögen“, sagt Carmen Hagemeister, Professorin für Diagnostik und Intervention an der Universität Dresden. Das führt dazu, dass Menschen ab 60 Jahren häufiger Unfälle auf dem Rad haben als Jüngere. Sie rutschen von den Pedalen, können schlechter die Spur halten oder stürzen bei Schlaglöchern, an Bordsteinkanten oder wenn sie sich zum Linksabbiegen umschauen. Auch das Auf- und Absteigen bereitet Senioren öfter Schwierigkeiten.

Natürlich passiert das auch Jüngeren. Doch die Folgen sind für Ältere in der Regel schwerwiegender. Senioren reagieren in Gefahrensituationen langsamer und können sich bei einem Sturz schlechter abfangen. Laut der jährlich erstellten Unfallstatistik ist von den Radfahrern, die tödlich verunglücken, jeder zweite über 65 Jahre alt. Zwar tragen häufig andere Verkehrsteilnehmer die Schuld an dem Unfall, und es verunglücken jährlich mehr Pkw-Fahrer über 65 als Radfahrer – aber das ändert nichts an der Tatsache, dass diese Altersgruppe gefährdet ist.

Damit müssen sich die Rentner allerdings nicht abfinden. Die abnehmende Fitness im Alter kann man bis zu einem gewissen Punkt aufhalten oder auch umkehren. Mithilfe eines von den Unis Leipzig und Dresden entwickelten fahrradbezogenen Sportprogramms sollen Ältere all das trainieren, was sie auf der Straße brauchen, wenn sie mit dem Rad unterwegs sind. Allerdings nicht auf der Straße, sondern im geschützten Raum einer Turnhalle.

Kraft in den Händen stärken

Die Reaktion auf das Training zeigt: Der Bedarf ist da. „Wir wurden regelrecht überrannt“, sagt Petra Wagner, Professorin am Institut für Gesundheitssport und Public Health an der Uni Leipzig. Sie betreute zusammen mit Carmen Hagemeister das Projekt. Die Wissenschaftlerinnen brauchten für die Sport- und die Vergleichsgruppe rund 300 Teilnehmer. Mehr als 400 Anmeldungen gingen bei ihnen ein.

In der Studie trainierten 148 Männer und Frauen zwischen 60 und 88 Jahren sechs Monate lang zwei Mal pro Woche jeweils eine Stunde in kleinen Gruppen in Turnhallen. Ziel der Übungen war, Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit zu stärken.

„Die Handkraft ist eine wichtige Größe beim Radfahren“, sagt Petra Wagner, „beim Geradeausfahren wie beim Abbiegen.“ Sie lässt mit zunehmendem Alter nach, deshalb lassen viele Ältere beim Radfahren das Handzeichen, um einen Fahrtrichtungswechsel zu markieren, gleich ganz weg. Mit gezielten Greifübungen wurde in den Sportstunden die Handkraft trainiert, ebenso wie die Reaktionsfähigkeit und das Gleichgewicht. Etwa mit dieser Übung: Ein Teilnehmer sitzt auf einem großen Gymnastikball und hält eine Stange in den Händen. Ein weiterer Teilnehmer versucht, den anderen aus dem Gleichgewicht zu bringen, indem er immer wieder die Stange anschubst.

Zu Beginn und zum Ende der Studie absolvierten die Senioren mit ihrem Fahrrad einen alltagsgerechten Parcours. Sie mussten langsam fahren, eine schmale Gasse bewältigen, Slalom und einhändig Achten fahren, immer wieder bremsen, auf- und absteigen. Der Vergleich der Ergebnisse vorher und nachher ist auf den ersten Blick ernüchternd. „Im Parcours machten die Teilnehmer nach dem Training etwa genauso viele Fehler wie zuvor“, berichtet Petra Wagner.

Demnach bereitet 20 Prozent der Senioren das punktgenaue Bremsen Schwierigkeiten, jeder dritte scheiterte beim Durchfahren einer schmalen Gasse und 44 Prozent beim Fahren einer einhändigen Acht. Und das, obwohl ihre Kraft ebenso zugenommen hatte wie ihre Beweglichkeit. Doch Wagner hat dafür eine Erklärung: Wahrscheinlich sei mit der Leistung auch die Risikobereitschaft gewachsen, und darum machten die Teilnehmer im Verhältnis mehr Fehler.

Hinzu kommt, dass die Testgruppe schon relativ fit war. 50 Prozent der Teilnehmer sagten bei der ersten Befragung, das sie täglich oder fast täglich Rad fahren. Bei ihnen ist eine Steigerung also kaum noch möglich. Aus der Untersuchung schließen die Wissenschaftlerinnen allerdings, dass das Sportprogramm noch verbessert werden muss. „Um einen Lerneffekt im Straßenverkehr zu erzielen, muss zukünftig das Fahrrad stärker ins Training einbezogen werden“, sagt Wagner.