Mittlerweile reicht eine Mittagspause zwar nicht mehr, um sich einen Überblick über das Kunstgeschehen im Grenzbereich von Tiergarten und Schöneberg zu verschaffen. Aber ein paar flüchtige Momentaufnahmen gehen immer.
Während gestern die ersten Sammler durch die Stadt tigerten, befanden sich die Galerien in den letzten Vorbereitungen, justierten die Hängung und richteten das Licht aus. Noch ging es in den Galerien in und um das ehemalige Tagesspiegel-Gebäude entspannt zu.
Bei der Galerie Arndt erklärten Gilbert & George dem verfrühten Besucher geduldig, dass Bobby und Virgin Bottom die Ausnahmen sind, die die Regel bestätigen. Sie fallen aus dem Ordnungsprinzip, nachdem sie die übrigen 50 ausgestellten Bilder Postkarten, Telefonbox-Karten und Flyer angeordnet haben. Die Ausstellung The Urethra Postcard Art of Gilbert & George beeindruckt vor allem, weil sie nur einen Bruchteil ihres riesigen Werkkomplexes darstellt. Am Samstag signieren Gilbert & George übrigens ihren neuen Katalog bei einem Tee.
In der neuen Galerie Blain|Southern standen die britischen Künstler Tim Noble and Sue Webster Rede und Antwort. Ihre Arbeit Turning the Seventh Corner verwandelt einen Teil der noch im Umbau befindlichen Galerieräume in eine grabmalähnliche Ganganlage. Hat sich der Betrachter um die siebte Ecke getastet, erwartet ihn eine Skulptur aus vergoldeten Tiermumien. Ihr Schattenriss entspricht dem Profil der beiden Künstler, wobei sich deren Physiognomie faszinierenderweise nicht an der Skulptur festmachen lässt. Die elaborierte Installation ist durchaus begehenswert – vorausgesetzt, man erkundet sie allein. Das mit der meditativen Erfahrung könnte dieses Wochenende allerdings ein schwieriges Unterfangen werden. Daher präsentiert die Galerie zur Eröffnung auch ältere Arbeiten.
Weniger subtil, aber trotzdem sehenswert sind die Collagen und Objekte, die ph-Projects auf der gegenüberliegenden Hofseite präsentiert. Die Berliner Dependance der Hamburger Produzentengalerie zeigt unter anderem die jungen Künstler Malte Urbschat und Michael Conrads, die nach all der Ordnung und Feierlichkeit sehr erfrischend sind.
Richtig wild treibt’s John Bock bei Klosterfelde, wo dem Besucher buchstäblich die Türen um die Ohren fliegen. Danach ist man zumindest wieder wach – und aufnahmefähig für noch mehr Kunst.