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Die Zukunft der Kuration liegt im Mitmachen

 

© Courtesy WERT SACHE

Das Plakatprojekt WERT/SACHE verteilt gute Kunst an wache Beobachter.

Die Kuratorin Anna-Catharina Gebbers hat für das Gallery Weekend leer stehende Räume im ehemaligen Tagesspiegel-Areal bezogen. An der Potsdamer Straße veranstaltet sie das demokratische Gegenprogramm zum kommerziellen Massen-Event. Ihr Plakatprojekt WERT/SACHE ist nicht einfach eine weitere Ausstellung unter unzähligen anderen. Gebbers will, dass sich ihre Besucher mit der Kunst auseinandersetzen: Jeder darf sich eines der zehn Plakate aussuchen und seine persönliche Wertsache mit nach Hause nehmen.

Die Bildposter haben die Künstler Arno Brandlhuber, Tue Greenfort, Beate Gütschow, Gregor Hildbrandt, Lisa Junghanß, Alicja Kwade, Isa Melsheimer, Florian Slotawa, Dirk Stewen und Katja Strunz gestaltet. Einige Arbeiten sind eigens für die Ausstellung entstanden oder wurden noch nie ausgestellt. Andere hat die Kuratorin ausgesucht.

Die Höhe der Stapel verrät, welches Motiv den Besuchern das Teuerste ist. Und die verlassen sich einfach auf ihren Geschmack. Denn bei WERT/SACHE finden sie weder die Namen der Künstler noch Text zu den Arbeiten. Was sich die Kuratorin dabei gedacht hat, erklärt Gebbers vorab in einem Gespräch.

ZEIT ONLINE: Frau Gebbers, wie funktioniert WERT/SACHE?

Anna-Catharina Gebbers: Dem Projekt liegt die Überlegung zugrunde, die wir immer in Galerien durchspielen: „Was würde ich mitnehmen, wenn ich mir eine Arbeit aussuchen dürfte?“ Ich bitte die Besucher, nur ein Poster auszusuchen. Es geht also nicht darum zu raffen, sondern überlegt auszusuchen. Weil ich die Namen nicht angebe, funktioniert auch kein: „Das ist doch der bekannte sowieso, das nehme ich mal mit“. Das Plakat, das sie am Ende mitnehmen ist dann wirklich das, was für sie das wertvollste und beste ist.

ZEIT ONLINE: Wie sind Sie auf Idee zu ihrem Plakatprojekt gekommen?

Gebbers: Der WERT/SACHE ging 2008 das Plakatprojekt WERT/SCHÄTZUNG voraus. Das war die Zeit des großen Markt-Hypes, als sich alle fragten: Wann platzt die Blase? Man kennt das ja von Kunstmessen, dass Großsammler extrem modisch sammeln. Du kommst in diese Sammlungen und siehst überall die gleichen Sachen. Insofern fand ich es interessant, die Namen der Künstler wegzulassen. Einige Leute erbosten sich daraufhin, dass sie wissen müssten, von wem die Arbeiten seien. Die haben ihren Augen nicht getraut. Es war interessant zu merken, wie die Ausstellung die Leute auch provoziert.

ZEIT ONLINE: Und wie haben die Künstler auf Ihre Idee reagiert?

Gebbers:
Viele Künstler haben Lust, ihre Werke mal als Poster zu sehen. Du gibst ein Pamphlet von Dir – und ein Künstler hat nunmal eine visuelle Sprache.

ZEIT ONLINE: Die Poster sind so unterschiedlich, dass man sich fragt, was die von Ihnen präsentierten Künstler verbindet.

Gebbers:
Zwar verhandelnd die Künstler das Thema der Wertsache sehr vielfältig. Aber alle präsentierten Künstler verbindet politisches Denken – auch wenn das die Arbeiten nicht immer auf den ersten Blick verraten. Bei Isa Melsheimer geht es immer um das Ordnen sozialer Beziehungen durch Gebautes. Beate Gütschows Werke hinterfragen kritisch die uns anerzogenen Blickregimes. Für WERT/SACHE greift sie zudem die Fukushima-Situation auf. Alicja Kwade bezieht sich auf ökonomische Kreisläufe. Und Tue Greenfort bringt den verbrannten Müll aus dem die Rigips-Wände der Galerie bestehen wieder auf genau diese Wände.

ZEIT ONLINE: Apropos Wände – wieso stapeln Sie die Plakate ?

Gebbers: Ich wollte diesen skulpturalen Effekt, wenn die Besucher die Stapel mit den Postern abtragen. Dazu kommt das Moment der Partizipation: Die Leute schauen sich die Arbeiten nicht nur an. Sondern sie beugen sich herunter. Sie müssen in die Knie gehen und ihre WERT/SACHE einrollen.

ZEIT ONLINE:
Sie nehmen sich als Kuratorin sehr zurück. Im Verlaufe der Ausstellung füllen sie die Stapel nicht mehr auf, die Zuschauer greifen nachhaltig in die Installation ein.

Gebbers:
Das Mitnehmen von Plakatarbeiten gibt es ja schon lange. Aber Felix Gonzales-Torres beispielsweise hat die Höhe seiner Stapel exakt vorgegeben. Mir geht es um die Demokratisierung der Kunst. Meiner Ansicht nach liegt die Zukunft der Kuration darin, dass die Leute mitmachen. Daher will ich auch nicht, dass die Leute einen Diskurs übernehmen, den ein kuratorisches Konzept oder einen Text vorgibt. Die Namen und Künstlertexte können sich die Besucher der Ausstellung auch später noch auf der Website durchlesen. Ich will ihnen die Auseinandersetzung nicht vorsetzen.

ZEIT ONLINE: Sie fordern die Betrachter sozusagen heraus.

Gebbers: Ich rege die Kommunikation stärker an. Sonst rauschen die Leute durch und sind schon wieder unterwegs zur nächsten Eröffnung. Hier bleiben die Besucher lange, stehen um die Arbeiten herum, überlegen und debattieren. Zwei Kunstvermittlerinnen suchen den Dialog mit den Leuten. Miteinander zu diskutieren, was man ausgesucht hat, hat auch viele spielerische Aspekte. Das Ganze macht alles ziemlich viel Spaß. Amüsant ist im Übrigen auch die kriminelle Energie, die die Leute an den Tag legen, um an mehr Poster zu kommen – letztes Mal kamen sie mit Perücken und Sonnenbrillen.

16 Uhr | 29. April 2011 | Tagesspiegel-Areal | Potsdamer Straße 87 | Berlin-Tiergarten