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Spannende Begegnungen

 

Attila Richard Lukacs, Polaroids (Installationsansicht, Detail) © NH/Filter

Mit den Ausstellungen Paintings und Polaroids wagt die Johnen Galerie eine explosive Mischung.

Die Johnen Galerie hat zum Gallery Weekend zwei neue Einzelausstellungen eröffnet. Sie konzentrieren sich beide auf ein Medium und damit jeweils auf einen Ausschnitt aus dem Werk des schottischen Künstlers Martin Creed (*1968) sowie des Kanadiers Attila Richard Lukacs (*1962). Damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Mehr noch: Die Kombination aus der cleanen Malerei Creeds und den homoerotischen Polaroid-Studien Lukacs‘ mutet ziemlich verwegen an. Und dass sich der Besucher an einem solchen Vergleich versuchen soll, legen zumindest die Ausstellungstitel Paintings und Polaroids nahe.

Martin Creed, Paintings, (Ausstellungsansicht mit No. 1219 und No. 1162, 2011) © Courtesy Johnen Galerie

Die Martin-Creed-Show präsentiert sich aufgeräumt mit gerade einmal acht kleinformatigen Bildern und drei mit Wandfarbe aufgebrachten Malereien. Klar strukturiert und von leuchtender Farbigkeit wirken die reduzierten, abstrakten Bilder leicht und unbekümmert. Der Betrachter kann sie, wie alle Arbeiten des minimalistischen Konzeptkünstlers, umgehend in ihrer Einfachheit ergreifen.

Creed ersetzt das Zur-Schau-Stellen von Genialität durch das Mitteilen von Ideen; oft enthalten die Werktitel bereits die Beschreibung der Arbeiten. Dass der Künstler den Rezipienten in seinen Arbeiten mitdenkt, macht dabei den Reiz seiner Installationen, Fotos, Videos oder der Musik seiner Band aus. (Unbedingt auf Creeds Seite stöbern!) Und eben diese reflektierte Leichtigkeit zeichnet auch Paintings aus.

Details aus Attila Richard Lukacs, Untitled, 1990 / Stephan, 1991/ Study for Christof © Courtesy Johnen Galerie

Bei Attila Richard Lukacs dringt der Betrachter dagegen ein in ein subkulturelles Bildgedächtnis, das wenig Kunstgeschichte mit viel Pornographie kombiniert. Bei den Arbeiten in der Ausstellung Polaroids handelt es sich um Studien für Lukacs Gemälde, die er zwischen 1986 und 1996 in Berlin fotografierte. Haarschnitte und Kleidung weisen die Modelle als Mitglieder der schwulen Skinhead-Szene aus – sofern sie überhaupt Kleidung tragen. Er porträtiert die jungen Männer in klassischen Porträtstellungen, wie auch in pornographischen und ausdrücklich provokanten Posen: Die Modelle heben da schon einmal den Arm zum Hitlergruß, liegen hilflos mit heruntergelassener Hose vor einem Rollstuhl oder baumeln gefesselt von der Decke.

Die Inszenierung von Körperlichkeit und Gewalt gewinnt durch die schiere Vielfalt der Polaroid-Gruppen eine erdrückende Intensität. Von den rotzig zusammengetapeten Fotografien geht ein gewisser Charme aus, und bei einzelnen Aufnahmen fühlt man sich kurz an frühe Arbeiten von Wolfgang Tillmanns erinnert. Allerdings funktionieren die Polaroids nur als Gruppe, wenn unterschiedliche Ausschnitte und variierte Positionen unverstellt den Akt des Posierens abbilden. Manchmal betrachten sich die Modelle auf bereits gemachten Aufnahmen selber.

Die intensive Beziehung von Modell und Fotograf verweist den Betrachter sehr direkt auf seine Rolle als Voyeur. Und tatsächlich stammen die Aufnahmen aus dem privaten Archiv von Lukacs, das teilweise in der Galerie aufgebaut ist, und waren nie für ein Publikum gedacht. Der Künstler Michael Morris hat sie als Werk entdeckt und zu Serien geordnet  – auch wenn Lukacs die Polaroids jetzt zur „künstlerischen“ Arbeit erklärt (hier bei der Eröffnung).

Jedenfalls begleitet einen beim Verlassen der Galerie die Frage, wie man als mündiger Betrachter (Creed) mit einer visuellen Vergewaltigung (Lukacs) umzugehen hat. Ein spannender Besuch.

bis zum 25. Juni 2011 | Johnen Galerie | Marienstraße 10 | Berlin Mitte